: Affekt oder nicht?
Im so genannten Ehrenmord-Prozess um Morsal Obeidi kamen nun Angaben des angeklagten Bruders und des Cousins zur Sprache. Neben der Ehre sollen Drogen eine Rolle gespielt haben
VON KAI VON APPEN
Im Prozess um den so genannten Ehrenmord an der Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi kommen auf der Zielgerade des Verfahrens Details zu Tage. Der wegen Mordes angeklagte Bruder Ahmad O. (24) verweigert bekanntlich die Aussage, ebenso wie die gesamte Familie und der Cousin als Tatzeuge. Im Zeugenstand war am Montag der psychiatrische Gutachter Michael Kreißig, der von der Anklagebehörde ursprünglich als Sachverständiger bestellt und danach vom Landgericht wegen Befangenheit ablehnt worden ist. Nun ist Kreißig als Zeuge vernommen worden, da O. ihm gegenüber Angaben gemacht hatte.
O. hatte Kreißig berichtet, dass er am Tattag, dem 15. Mai 2008, Morsal, die mit ihrer traditionsbewussten Familie im Clinch lag, zufällig gesehen habe. Der 16-jährige Teenager wäre gekleidet gewesen „wie eine Prostituierte“, habe er Kreißig berichtet. Dann hätten ihm noch drei Bekannte erzählt, dass Morsal einen Zuhälter hätte. O. hätte daraufhin Cousin Mohammad A. angerufen, dass er heimlich ein Treffen mit Morsal arrangieren solle. Kurz davor hätte er zwei Gramm Koks und eine 0,7 Liter Flasche Wodka konsumiert, habe O. angegeben. Tatsächlich sei es dem Cousin gelungen, Morsal zum Bahnhof Berliner Tor zu locken. Dort hätte O. seine kleine Schwester sofort gestellt und sie mit dem Vorwurf konfrontiert, „anschaffen“ zu gehen. Als sie schroff geantwortet hätte: „Das geht dich einen Scheißdreck an“, habe er „schwarz-rot gesehen“, hatte er Kreißig berichtet. „Er habe nicht gewusst, was er tut“, sagte er Kreißig. Er hat auf Morsal eingestochen – das ist unstrittig –, als sie flüchtete und um Hilfe rief, verfolgt, zu Boden geworfen und immer wieder auf sie eingestochen – 23 Mal. Er hätte ihr nur ins Gewissen reden wollen und ihre Antwort als „tiefe Kränkung“ empfunden.
Ob es eine „Affekttat“ gewesen ist – worauf die Anwälte Hartmut Jacobi und Thomas Bliwier ihre Verteidigung ausrichten –, stellt die toxikologische Gutachterin der Rechtsmedizin Hilke Andresen zumindest in Frage. Denn im Blut seien einen Tag nach der Tat keine Koks-Spuren gefunden worden. Und auch die von der Polizei abgehörten Telefonate zwischen Ahmad O. und seiner Familie, die im Prozess vorgespielt wurden, deuten nicht auf eine Rauschtat hin. Während die Mutter im Hinblick auf die Familie schluchzte, „Alle hast du getötet, mein Junge“, antwortet er: „Besser als Ehrlosigkeit. Es geht alles in Ordnung, auf Männer kommen solche Tage zu.“
Inzwischen sind auch Details von Cousin Mohammed A., der die die Aussage vor Gericht verweigert, um sich nicht selbst zu belasten, bekannt geworden. A. hatte sich nach der Tat bei der Polizei gestellt und umfangreich ausgesagt. Er hatte dem Mordermittler Michael G. erklärt, Morsal gutgläubig zum Treff „hingelockt“ zu haben, obwohl O. gedroht habe „ich bring sie um“ oder „die kleine Schlampe ist von zu Hause abgehauen“. Er hatte zudem angegeben, dass es die Pflicht des ältesten Bruder sei, die „Familienehre“ zu schützen, so Cousin A. „Da handelt man von alleine, das ist nicht mit der Familie abgesprochen.“
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