: Union versucht Geschichts-Rollback
Günter Nooke stellt ein neues Erinnerungskonzept vor: mehr Geld für DDR-Gedenkstätten – auf Kosten der KZ-Gedenkstätten. Salomon Korn, Vizevorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, rügt die Gleichsetzung von NS- und SED-Diktatur
VON STEFAN REINECKE
Als der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann, der die Juden als Tätervolk bezeichnet hatte, aus der Unionsfraktion ausgeschlossen wurde, deuteten viele dies als erinnerungspolitische Neuorientierung der Union. Weg von allen Unschärfen, hin zur Anerkennung der Singularität des Holocaust – dies schien die Botschaft der Merkel-Union zu sein. Seit gestern dürften die Zweifel, ob der Hohmann-Ausschluss einen echten Einschnitt bedeutet, gewachsen sein.
Die Union hat gestern im Bundestag ein neues Konzept für Gedenkstätten eingebracht. Federführend war der Ex-DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke, unterstützt wurde er unter anderem von Vera Lengsfeld, Peter Gauweiler und der Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach. Über den Antrag wurde nach Redaktionsschluss abgestimmt. Die Chancen auf eine Mehrheit galten indes als gering.
Der Nooke-Antrag zielt auf ein „Gesamtkonzept für eine würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen“. Gefordert wird ein neues Gesamtkonzept des Bundes. Im Klartext geht es, so Nooke gestern zur Welt, um eine Neuverteilung der Mittel. Es könne nicht angehen, dass „die NS-Gedenkstätten Geld bekommen, aber die SBZ/DDR-Gedenkstätten nichts mehr abbekommen“.
Thomas Lutz, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten, meinte dazu zur taz: „Wir haben ein gut funktionierendes System, wie Gedenkstätten vom Bund Geld bekommen. Deshalb brauchen wir kein neues Gesamtkonzept.“ Nookes Behauptung, dass die DDR-Gedenkstätten kein Geld bekämen, sei sachlich falsch. Wenn DDR-Erinnerungsstätten Mittel verweigert würden, dann liege das in der Regel daran, dass ihre Anträge den wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügten. Dringender als Geld bräuchten viele DDR-Gedenkstätten ein Konzept. Dass die Union das Bewusstsein für das Unrecht in der DDR schärfen wolle, sei richtig und notwendig – der Weg sei allerdings mehr als zweifelhaft. Denn die Union wolle den DDR-Gedenkstätten „auf Kosten der KZ-Gedenkstätten“ zu mehr Mitteln verhelfen.
Nooke hatte seinen Antrag nach scharfer öffentlicher Kritik im Januar zurückgezogen und verändert. Neu ist in dem Antrag der Satz, dass der Mord „an den europäischen Juden ein singuläres Verbrechen ist, das immer ein spezielles Gedenken erfordern wird“. Die Kritik ist keineswegs verstummt. Salomon Korn, Vizevorsitzender des Zentralrats der Juden, meinte gestern zur taz: „Dieser Satz reicht allein nicht aus.“ Die Rede von den deutschen Diktaturen und der doppelten Vergangenheit, die den Antrag durchzieht, lege eine unzulässige Verwischung und Parallelisierung nahe. In der Tat heißt es in dem Antrag sogar, dass „beide deutsche Diktaturen die systematische Verfolgung und Unterwerfung ganzer Bevölkerungsgruppen“ betrieben haben. Da wird, so Korn, „der Vernichtungswille der Nazis mit dem, was die SED getan hat, in eins gesetzt. Da wird alles in einen Topf geworfen.“
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