DER WEG DES VATIKANS FÜHRT IN DIE ENGE, DER DER EKD IN DIE WEITE: Römischer Fundamentalismus
Konrad Raiser ist evangelisch, er ist Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, dem weltweit über 340 Kirchen angehören, und er hat eine feine Nase: Vor ein paar Wochen warnte er vor „wachsenden konservativen und fundamentalistischen Tendenzen“ bei Katholiken und Protestanten. Wurde er gestern bestätigt, als – zufällig zeitgleich – einerseits die Protestanten ihre Haltung zu nichtchristlichen Religionen festschrieben, andererseits der Vatikan mal wieder die Homoehe verteufelte, ja den Widerstand katholischer Politiker dagegen als „sittliche Pflicht“ einstufte?
Nein und ja: Das Vatikanschreiben ist Ausdruck eines zunehmenden Fundamentalismus, dem vor allem der oberste Glaubenshüter in Rom, Kardinal Ratzinger, verfällt. Die Aussagen des Vatikans zu Homosexuellen sind zwar von einer fast rührenden Vorgestrigkeit – deshalb fällt es schwer, sie überhaupt noch ernst zu nehmen. Doch was er sagt, bleibt empörend. In dem EKD-Text hingegen werden Grenzen gezogen und Pflöcke eingerammt; fundamentalistisch ist das nicht.
Zugegeben: Es klingt immer nach Verschärfung, wenn etwas schwarz auf weiß festgeschrieben wird. Auch die Sprache der EKD-Leitlinien entbehrt nicht einer gewissen Härte – etwa wenn da in fast schon einem Kirchenbann gleicher Diktion vom „Irrweg“ die Rede ist. Theologisch aber ist dies keine neue Linie. Und so ist es kaum verwunderlich, dass etwa der Zentralrat der Muslime in dem Schreiben nichts Skandalöses entdecken will.
Dennoch hat der EKD-Text etwas Radikales: im Sinne des lateinischen Ursprungs des Wortes: radix = die Wurzel. Gerade die evangelische Kirche wendet sich verstärkt ihren eigenen Wurzeln zu, sucht ihre Identität – und beleidigende vatikanische Schreiben wie „Dominus Iesus“, in denen vor drei Jahren den Kirchen Luthers ihr Kirchesein abgesprochen wurde, tun da ihr Übriges.
Der Protestantismus sucht in seinen Traditionen das Fundament, auf dem er dialogfähig bleibt. Der Katholizismus Roms betont seine Traditionen, um sich gegen Neues abzugrenzen. Das eine führt ins Weite, das andere in die Enge. PHILIPP GESSLER
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