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Der Besuch der alten Dame

Ein Anruf verändert Barbara Principes Leben – aber nicht die Zeitläufte des Unrechts. Seit Jahren kämpft die Erbin mit dem Karstadt-Konzern um den einstigen Besitz der Gebrüder Wertheim. Ein schändliches Kapitel Berliner Geschichte

VON JOHANNES GERNERT

Vor fünf Jahren noch gab es wenig Ungewöhnliches aus Barbara Principes Leben zu berichten. Sie ging stark auf die siebzig zu, war Mutter von sieben Kindern, Großmutter, sogar Urgroßmutter und arbeitete, ohne einen Gedanken an die Rente zu verschwenden, in der Knopffabrik ihres Manns in New Jersey. Eines Tages rief der Anwalt Gary Osen an und erzählte einiges über ihre Vergangenheit. Es hat sich in Barbara Principes Leben nicht viel geändert seitdem. Sie arbeitet immer noch in der Knopffabrik. Der Gedanke an Rente erscheint ihr genauso absurd wie früher. Trotzdem hat der Anruf sie zu einer anderen Frau gemacht. Sie wusste anschließend, dass ihre jüdischen Vorfahren einmal sehr reich gewesen waren. Sie wusste auch, dass man ihnen den Besitz genommen hatte. Und sie wusste, dass es jetzt eine Chance gab, etwas davon zurückzufordern. Um die Details würde sich Gary Osen kümmern. Er ist Anwalt. Er hat Ahnung von solchen Dingen.

Barbara Principe führt seit jenem Anruf so etwas wie einen inoffiziellen Titel vor dem Namen. Sie ist Wertheim-Erbin. Ihr Großvater war Teilhaber einer der größten Kaufhausketten Berlins. Auch ihr Vater hielt noch Anteile, bevor er 1939 vor den Nazis nach Amerika fliehen musste. Die Wertheims besaßen vier Warenhäuser in Berlin und etliche unbebaute Grundstücke. Um einige dieser Flächen wird vor zwei Gerichten auf zwei Kontinenten gestritten.

Es geht dabei vor allem um Grundstücke in Ostberlin, die zuerst von den Nazis und später von der Sowjetunion enteignet wurden. Nach der Wende stellt sich wieder die Frage nach den rechtmäßigen Eigentümern. Drei widerstreitende Parteien finden jeweils eigene Antworten: die Erben der Wertheim-Familie, die Kaufhaus-Kette Hertie und die Bundesregierung. Sie alle fordern die Grundstücksrechte für sich.

Hertie sieht sich als Rechtsnachfolger der Firma Wertheim. Tatsächlich hatte der Konzern nach 1945 über Umwege Unternehmensanteile von Fritz und Günther Wertheim, von Principes Vater also, gekauft. Die Anteile hatten die beiden Brüder nach Kriegsende von deutschen Behörden zurückerhalten. Der Verkauf an Hertie aber, sagt Principe, sei nur durch eine Lüge zustande gekommen. Arthur Lindgens, langjähriger Justiziar der Wertheim-Warenhäuser, habe ihrem Vater erzählt, von dem ganzen Besitz sei nichts mehr übrig. Kaum hatte er sich die Anteile preiswert gesichert, fusionierte Wertheim mit Hertie. Das Unternehmen baute ein neues Wertheim-Kaufhaus in Steglitz. Auf einem der ehemaligen Wertheim-Grundstücke.

Principes Anwälte Gary Osen und Olaf Ossmann fanden nach der Wende Unterlagen, aus denen sie schlossen, dass Lindgens die Fusion mit Hertie abgesprochen hatte, bevor er den Brüdern die Anteile abkaufte. Ein Schwindel also, oder juristisch: Betrug.

Vor einem US-Gericht klagten Osen und Ossmann 2001 gegen Karstadt, weil der Konzern mittlerweile Hertie gekauft hatte und damit Rechtsnachfolger war. Die Anwälte klagten auf Auszahlung des Westvermögens der Firma Wertheim. Zudem verlangten sie den Erlös aus dem Verkauf des Lenné-Dreiecks, auf dem heute das Beisheim-Center steht.

Die Parzelle war 1988 bei einem Gebietstausch zwischen DDR und BRD in Westberliner Besitz gelangt. 1991 dann überließ das Land Berlin das Dreieck der Firma Hertie. Gratis. Vermutlich in der Hoffnung, Hertie werde seine Unternehmenszentrale darauf bauen, nach Berlin ziehen und kräftig Steuern zahlen. Hertie verkaufte stattdessen für 150 Millionen Euro an den Metro-Gründer Otto Beisheim.

Ein Richter in New Jersey entschied im Frühsommer 2004, dass Karstadt nicht der Rechtsnachfolger Herties sei – und damit das Gericht nicht zuständig. Principes Anwälte fechten dies an. Wenn es sein muss, auch vor deutschen Richtern, verkündet seinerseits Matthias Druba.

Der Berliner Anwalt vertritt die Erbin und ihre Verwandten bei dem anderen Wertheim-Verfahren vor der 31. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts. Dort klagt nicht Principe, sondern Karstadt. Weil das Unternehmen sich nach wie vor als Rechtsnachfolger von Wertheim sieht, reklamiert es für sich die Rechte an Grundstücken in Ostberlin. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht Mitte der Neunzigerjahre schon entschieden, dass von der Sowjetischen Militäradministration enteignetes Land nicht zurückerstattet wird. Aber Karstadt änderte daraufhin die Strategie. „Die haben einfach gesagt: Jetzt sind wir eben auch die verfolgten Aktionäre“, erinnert sich Druba. Denn was die Nazis nahmen, lässt sich zurückfordern.

2001 befand das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (Larov), dass die „arisierten“ Grundstücke nicht Karstadt, sondern der Jewish Claims Conference (JCC) zustehen. Die JCC hatte im Gegensatz zu den Wertheim-Erben rechtzeitig, vor Ablauf der Fristen, Ansprüche auf die Flächen angemeldet. Der Verband klagt immer dann um jüdisches Eigentum, wenn die Erben fehlen oder nicht schnell genug sind. In der Regel bekommen die Angehörigen etwa 80 Prozent von dem, was erstritten wird. Bisher haben Barbara Principe und ihre europäischen Verwandten allerdings noch gar nichts bekommen.

Nach dem Larov-Urteil nämlich klagten Karstadt und das Finanzministerium beim Verwaltungsgericht. Das Ministerium behauptet, die Ostberliner Immobilien würden dem Bund zustehen. Vergleichsgespräche scheiterten. Die Angebote waren zu niedrig, sagt Anwalt Druba. Irgendwann beschloss das Finanzministerium, seine Ansprüche zurückzuziehen. „Wir haben letztlich das Larov-Urteil anerkannt“, erklärt ein Sprecher. Aus welchem Grund, „kann man so nicht genau ausdifferenzieren“. Nun klagt nur noch Karstadt.

Darüber, dass Wertheim während des Nazi-Regimes geschädigt und gezwungen wurde, seine Anteile „Ariern“ zu überschreiben, darüber sind sich der Kaufhaus-Konzern und die Erbenvertreter ausnahmsweise einig. Wer aber soll nun entschädigt werden? Natürlich Karstadt, sagt Karstadt. Nein, die Erben, sagen die Erben.

Das ist eine moralische Frage“, findet Druba, „Kann ein deutsches Großunternehmen es verantworten, dass die Familie weiterhin nichts hat?“ Hertie habe ohnehin nach dem Krieg keinerlei Rechte an den Ostgrundstücken erworben. „Karstadt verlangt damit etwas, was sie gar nicht bezahlt haben.“ Karstadt-Sprecher Elmar Kratz betrachtet die Sache ökonomisch: „Ein Gericht entscheidet nicht über moralische Fragen, das entscheidet über Vermögensrecht. Wer ist anspruchsberechtigt und wer nicht.“

Formal wird in Berlin nur um die Rechte für die Leipziger Straße 126.130 gestritten. Dort, wo jetzt – neben der Baracke des Kellerclubs Tresor – um vereinzelte Bäumen das Gras wächst, stand in den Zwanzigerjahren das größte Wertheim-Kaufhaus. Ein Prachtbau, zwischen dessen Marmorsäulen man sich verlieren konnte wie heute nur noch im KaDeWe. Das Urteil soll langfristig auch für die anderen umstrittenen Grundstücke gelten. Für jenes am Rosenthaler Platz etwa, wo sich ein anderes Warenhaus befand. Oder für den Platz, auf dem die Bundestagsbibliothek, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, gebaut wurde. Rund 250 Millionen Euro stehen insgesamt zur Verhandlung. Und die nicht unwesentliche Frage, wem künftig der Grund gehören wird, auf dem die Bundestagsbibliothek steht. Doch die Verhandlungen sind festgefahren, seit Monaten steht ein neuer Gerichtstermin aus.

Als das neu errichtete Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im vergangenen Dezember eingeweiht wurde, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse auch Barbara Principe eingeladen. Sie ist damals zum zweiten Mal in ihrem Leben nach Berlin gekommen. Die Orte, wo die vier Wertheim-Kaufhäuser einmal gestanden hatten, kannte sie da schon. Bei den Feierlichkeiten sagte Thierse, er wolle sich einsetzen dafür, „dass berechtigte Wiedergutmachungsansprüche anerkannt und in angemessener Form gewürdigt werden“. Mit Barbara Principe hat er sich nicht unterhalten. Sie fand den Berlinbesuch trotzdem schön. Auch die neue Bibliothek. „Beautiful“, sagt sie. Sie will jetzt „weiterkämpfen“. „Das bin ich meinen Kindern und Enkelkindern schuldig. Und meinem Vater.“ Der musste sein Geld nach der Vertreibung aus Deutschland mit einer Hühnerfarm im Süden New Jerseys verdienen. Er wurde damit nicht glücklich. „Das Einzige, was der über Hühner wusste, war, wie man sie kocht“, sagt Principe.

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