: Das Dorf und der Revolutionär
In den bolivianischen Bergen zwischen Santa Cruz und Sucre endete Che Guevaras ungewöhnliches Leben. Nun soll die Ikone der Revolution mehr Touristen in diese Region locken. An den Revolutionär erinnern bislang eine Büste und einige Graffiti
VON MARTIN H. PETRICH
Bedeutungsvoll zeigt Manuel auf eine freie Stelle mitten im Gestrüpp: „Hier wurde er gefangen genommen“, sagt der Touristenführer so feierlich, als wäre er, heute 56 Jahre alt, damals dabei gewesen. Schweißüberströmt nicken ihm seine Zuhörer zu und versuchen sich vorzustellen, was in diesem steilen Taleinschnitt – dem Quebrada del Churo – vor 37 Jahren geschehen ist. An jenem schicksalsträchtigen 8. Oktober 1967, als Soldaten der bolivianischen Armee Ernesto Guevara de la Serna und seinen Mitstreiter „Willy“ gefangen nahmen und zur Schule des nahe gelegenen Bauerndorfs La Higuera brachten, wo die Guerillas am nächsten Tag erschossen wurden.
Das 100 Einwohner zählende La Higuera liegt in den Bergen Boliviens zwischen der Wirtschaftsmetropole Santa Cruz und Sucre auf 2000 Meter Höhe. Nicht weit entfernt schlängelt sich der Rio Grande durch die Täler. In dieser idyllischen Landschaft, den Ausläufern der Anden, wollte der „Comandante de las Américas“ seine panamerikanische Revolution beginnen. Bolivien im Herzen Lateinamerikas schien ihm dazu geeignet. Doch sei er von den Bauern in der Umgebung nicht unterstützt worden, weil die bolivianische Militärregierung sie zuvor mit einer Landreform zufrieden gestellt habe, heißt die übliche Erklärung für sein Scheitern. Vielleicht war es auch nur der karge, steinige Untergrund, den selbst der große Che nicht in fruchtbaren Ackerboden verwandeln konnte. Ein paar Kühe und Maisfelder waren alles, was die Bewohner hatten. Weshalb sollte der Bauer Pedro Peña also nicht die 17 Guerillas an das Militär verraten, als er sie beim nächtlichen Vieheintreiben im unterhalb des Dorfes gelegenen Taleinschnitt entdeckte? Schließlich lockte ein üppiges Kopfgeld.
Knapp 40 Jahre später ist das Dorf genauso arm. Noch immer hat La Higuera keine Stromversorgung, noch immer leben die Bewohner von Maisanbau und Viehzucht. Von den damals 80 Familien ist nur ein Viertel geblieben, der Rest ist abgewandert. An den Revolutionär erinnerten bislang nur eine gewaltige Büste und einige Graffiti, die Che-Anhänger bei ihren Besuchen zu seinem alljährlich wiederkehrenden Todestag hinterlassen hatten. Immerhin führt seit gut 20 Jahren eine Sandpiste an dem Dorf vorbei. Einmal am Tag hält der „Camion“ – ein altersschwacher, offener Lastwagen, der für die Fahrt aus der 60 Kilometer entfernten Provinzstadt Vallegrande gute vier Stunden benötigt. Von dort aus tauchen auch gelegentlich Touristen auf, die meist mit dem Taxi angefahren kommen. Sie stellen sich vor die Che-Büste, lassen sich fotografieren, drehen eine Runde auf dem Dorfplatz und verschwinden dann wieder.
„Keine Kommerzialisierung von Che“, steht an einer Hauswand geschrieben. Dies mag vielleicht auf Buenos Aires, Havanna oder Berlin zutreffen, wo sein Porträt auf T-Shirts, Fahnen und Postkarten verkauft wird. In La Higuera dagegen wäre man ganz froh, wenn der tote „Comandante“ etwas mehr Geld einbringen würde. „Die meisten Touristen kaufen hier nicht mal eine Cola“, klagt Irma Rosara, die einen kleinen Tante-Emma-Laden besitzt. Das soll nun anders werden – wenn es nach den Plänen der internationalen Hilfsorganisation Care geht. Mit ihrem Projekt „Geschichts- und Kulturtourismus entlang der Ruta del Che“ will sie mehr Touristen zu den letzten Lebensstationen der Revolutionslegende locken. Deshalb finanzierte sie in La Higuera ein kleines Museum, das seit einem Jahr an der Stelle des einstigen Schulgebäudes steht, wo Che Guevara erschossen wurde. Dort allerdings sind weder die berühmte Baskenmütze noch Reste seiner letzten gerauchten Zigarre zu finden.
Che-Anhänger mögen angesichts derartiger fehlender Erinnerungsstücke enttäuscht sein. Dafür beschreibt eine Foto- und Textdokumentation nüchtern die letzten Tage des Revolutionärs und seiner Mitkämpfer. Wenigstens auf der Schautafel friedlich nebeneinander vereint, finden sich die Namen der gefallenen 51 Regierungssoldaten als auch die der Guerillas. Augenscheinlich soll hier keine Heldenverehrung betrieben werden.
Die Verantwortung für das Museum liegt in den Händen der Dorfbewohner. Im Rotationsverfahren übernehmen sie den Schlüsseldienst und achten darauf, dass die Besucher auch eine Spende hinterlassen, die ihnen zugute kommt. Damit die Touristen über Nacht bleiben können, wurde im Dorfzentrum eine Albergue Comunal eingerichtet. Dank einer Solaranlage gibt es im einzigen Schlafsaal sogar Strom. Für die Verköstigung der Gäste sorgt die Ladenbesitzerin Irma. Etwas mehr Komfort bietet das neue, von einem französischen Ehepaar betriebene Posada de Telegrafista. In ihrer Pension war einst das Telegrafenamt untergebracht, wo der verantwortliche Colonel Zenteno den Tötungsbefehl entgegennahm. Neben Manuel hat Care vier weitere Touristenführer ausgebildet, um Besucher in der Umgebung fachkundig herumzuführen: zum Ort seiner Gefangennahme, Quebrada del Churo, oder auch nach Abra el Picacho – dem eine Wanderstunde entfernten Nachbardorf. Dort seien die Guerillas bei ihrer erstmaligen Ankunft am 25. September 1967 herzlich aufgenommen worden, ist von einer gesprächigen alten Bäuerin oberhalb des Ortes zu erfahren.
Zu Unrecht verirren sich in ihre Provinz nur wenige Touristen, bedauert die Verwaltung in Vallegrande. Das soll mithilfe von Che Guevara geändert werden. Deshalb wurde ihm 2003 mit Unterstützung von Care ein Raum im Casa Municipal de Cultura gewidmet. Schließlich sind in Vallegrande einige Stätten mit dem Revolutionär verbunden, wie zum Beispiel das Hospital Señor de Malta. Im dortigen Waschhaus wurde das berühmte Bild mit dem aufgebahrten Leichnam aufgenommen. „Er sah eindrucksvoll aus. Wohin wir auch gingen, seine Mirada (Blick) verfolgte uns. Er hatte einen Vollbart und schaute aus wie Christus“, wird noch heute gern die Krankenschwester Susana Osinaga Robles zitiert, die den Leichnam gewaschen hatte. Der starre Blick des toten Che verfolgt auch den heute 75-jährigen Erich Blößl. Der damalige Entwicklungshelfer schoss vom aufgebahrten Che Erinnerungsfotos. Diese hängen nun an der Wand seines vor acht Jahren eröffneten Restaurants El Mirador.
Auch jene Besucher, die vorwiegend wegen der leckeren Frankfurter Würstchen hierher kommen, möchten oft mehr über die damaligen Ereignisse wissen. Und Blößl erzählt gern – zum Beispiel über die Exhumierung von Guevaras wiederentdeckten Überresten 1997 auf dem alten Flugplatz. Schließlich wurde er ja auch zu ihrer Identifizierung herangezogen. Er könne nicht bestätigen, dass es tatsächlich die Knochen des Revolutionärs gewesen sind, die da am 28. Juni ans Tageslicht kamen und nach Kuba abtransportiert wurden, meint der Oberbayer. Vielmehr vermutet er, dass diese schon lange vorher ausgegraben worden sind. „Mausoleo“ nennt sich diese ehemalige Grabstätte unweit des Cemeterio General, doch außer einem überdachten Erdloch mit Gedenksteinen ist dort nichts weiter zu sehen. Lediglich ein paar Grabsteine blieben auch von einem weiteren Guerilla-Gräberfeld übrig, wo bis 1998 unter anderem der Leichnam von Guevaras deutscher Kampfgefährtin Tamara Bunke bestattet lag.
Niemand möchte jedoch die Region zum Pilgerziel von Revolutionsromantikern werden lassen. „Che kann uns behilflich sein, mehr Touristen in diese ärmliche Gegend zu locken“, meint Michael Blendinger, der im 120 Kilometer entfernten Samaipata eine Reiseagentur unterhält, „doch sie hat noch viel mehr zu bieten: etwa die üppigen Baumfarnwälder im nahen Amboró-Nationalpark oder die Kakteenlandschaft bei Mataral!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen