: Für einen „Orden der Freundschaft“
Im Fall Yukos verzichten deutsche Politik und Wirtschaft auf laute Kritik. Ganz anders verhalten sich die USA
BERLIN taz ■ Die deutsche Wirtschaft steht nicht in dem Ruf, besonders risiko- und innovationsfreudig zu sein – weder zu Hause noch bei Investitionen im Ausland. Russland scheint da eine Ausnahme zu sein. Das lässt sich zumindest dem Verhalten der deutschen Wirtschaftsvertreter in der Affäre um den früheren Chef des Ölgiganten Yukos, Michail Chodorkowski, entnehmen. Vom der deutschen Industrie- und Handelskammer, über die in Moskau tätigen Großbanken bis hin zum Ostausschuss der deutschen Wirtschaft sind sich scheinbar alle einig: Das Vorgehen des Kreml gegen Russlands reichsten Oligarchen beeinflusst weder das Investitionsklima noch die eigenen Profitinteressen.
Andrea von Knoop, Vorsitzende des Verbandes der deutschen Wirtschaft in Russland, sah in der Verhaftung und Enteignung des Milliardärs eine erfreuliche Vervollkommnung des Rechtsstaates: „Schließlich kann man das ja auch von der anderen Seite sehen“, erläuterte die Wirtschaftsfunktionärin, „es wurden die Rechtsstandards auch für die Oligarchen hochgeschraubt.“ Als „russische Usancen“ bezeichnete sie das körperbetonte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Chodorkowski bei seiner Festnahme. Zwei Tage später bedankte sich Kremlchef Wladimir Putin und verlieh von Knoop per Ukas 1236 den „Orden der Freundschaft“, die höchste Auszeichnung des Kremls für Ausländer.
Deutschland, das schon jetzt Moskaus größter Handelspartner ist, hat selbstverständlich ein berechtigtes Interesse, aus dem dynamischen Wachstumskurs Russlands Kapital zu schlagen. Eine Frage jedoch stellt sich: wie und auf wessen Kosten.
Irritierend ist, dass die deutschen Wirtschaftsbosse sich genauso verhalten wie die anderen noch nicht in die Schusslinie des Kreml geratenen russischen Superreichen, die zum Fall Chodorkowski schweigen. In der Hoffnung, einem ähnlichen Schicksal durch individuelle Lösungen mit dem Kreml vorbeugen zu können. Die unsägliche Allianz aus Bürokratie und Wirtschaft wird damit zementiert.
Die deutsche Politik ist ebenfalls zögerlich. Wie schon den Tschetschenienkrieg behandelt sie auch den Fall Chodorkowski als sei es eine „innere Angelegenheit“ Russlands. Bundeskanzler Schröder will es sich auf keinen Fall mit Moskau verderben, nachdem sich Berlin schon mit den USA angelegt hat. Querelen nun auch noch mit dem Kreml würden dem Ansehen des Kanzlers nicht zuträglich sein. Daher schweigt die Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen, Gleichschaltung der Medien und zur zynischen Instrumentalisierung rechtsstaatlicher Grundsätze.
Außenminister Fischer hat sich ganz und gar aus dem Ostgeschäft verabschiedet, nicht weil ihm die Praktiken missfallen, sondern weil in Moskau keine Lorbeeren zu holen sind. Die Kritik delegiert er an schwache Stimmen in den hintersten Reihen der Fraktion. Deutliche Worte fand allein die Grünen-Geschäftfsführerin Steffi Lemke nach einem Aufenthalt in Moskau. Es gebe einen Zusammenhang zwischen dem Fall Yukos und der eingeschränkten Freiheit der Medien in Russland, sagte sie.
Der Opposition vorbehalten blieb die Forderung, von Berlin aus Druck auf den russischen Präsidenten auszuüben. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Friedbert Pflüger, forderte Schröder auf ein „klares Wort mit seinem engen Freund Putin“ zu reden.
„In sowjetischen Zeiten hatten wir einen Ansprechpartner, heute sind es hundert“, meint ein Vertreter eines deutschen Multis in Moskau. Und meint dies durchaus negativ. Denn die Notwendigkeit zu einer Vielzahl von Kontakten führe zu Reibungsverlusten, weshalb die Gewinne früher eben auch größer gewesen seien. Die deutsche Wirtschaft hielt sich damals an den starken Mann der Kommunistischen Partei und fuhr gut damit. Heute hält man wieder dem Führer die Treue, pardon: dem Kremlführer. Dass das auf Kosten der demokratischen Entwicklung geht, gehört in dieser Logik in die Rubrik „innenpolitische Angelegenheit“.
Ganz anders dagegen die USA. Washington ließ es an Deutlichkeit im Fall Yukos nicht fehlen. Das Vorgehen „lasse ernste Zweifel an der Vorherrschaft des Rechts in Russland aufkommen“, verlautete aus dem State Department. Und weiter: „Sicher gibt es einen politischen Faktor, der nach unserer Ansicht ausschlaggebend dafür ist, warum das Recht gezielt gegen einen Oligarchen angewandt wird.“ Die strategische Partnerschaft mit Moskau werde zwar „ihre Bedeutung behalten“, doch müssten in Zukunft dem Fortgang der Demokratisierung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Moskau warf den USA daraufhin vor, „notorisch mit zweierlei Maß zu messen“, es sei Russland gegenüber respektlos.
Mit den Europäern hat der Kreml weniger Probleme. Die Hoffnung der 90er-Jahre, Russland in europäische Institutionen wie etwa den Europarat einzubinden und so Demokratisierung und Zivilisierung zu beschleunigen, hat wenig Früchte getragen. Die neue Putin-Elite wird sich den von den internationalen Institutionen vorgegebenen Regeln noch mehr widersetzen. Mit Macht und Verantwortung kann sie nicht umgehen.
Die großen deutschen Unternehmen haben von Putins Roll-back in Russland nichts zu befürchten. Mittelständische Betriebe indes, die es nicht zur Chefsache schaffen, könnten schon mal unter die Räder geraten. In der Provinz hat das Beispiel Yukos bereits Schule gemacht. Mitarbeiter der Sicherheitsorgane nehmen Reprivatisierungen gelegentlich selbst in die Hand. Daher scheint hinter der deutschen Nachsicht gegenüber dem Kreml die Erkenntis zu stehen, dass Russland ohne autoritäre Führung ganz einfach keine Zukunft hat.
KLAUS-HELGE DONATH
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