: Das Volk entmachtet
Hamburgisches Verfassungsgericht weist Klage gegen Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser ab. Volksentscheid ist aus formalen Günden für den Rechts-Senat nicht bindend. Opposition: Abgewirtschafteter Senat darf keine Fakten schaffen
von KAI VON APPEN und GERNOT KNÖDLER
Der Senat kann den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) verkaufen, ohne das Ergebnis des dazu anstehenden Volksentscheids abzuwarten. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat gestern einen Antrag der Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware“ auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Verkauf zurückgewiesen. Die Initiative sei zwar antragsberechtigt, sie habe den Senat aber nur „aufgefordert, sicherzustellen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg Mehrheitseigentümerin des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK), seiner einzelnen Krankenhäuser und anderer Einrichtungen bleibt“. Diese Aufforderung sei für den Senat rechtlich nicht bindend.
Mit dem Eilantrag hatten die Initiatoren der Volksinitiative – ver.di-Landeschef Wolfgang Rose und DGB-Chef Erhard Pumm – verhindern wollen, dass die Bürgerschaft am 30. Dezember dem vom Rechts-Senat eingebrachten Gesetz zum Verkauf der sieben staatlichen Kliniken zustimmt. Damit würden zwei Monate vor den Bürgerschaftswahlen und dem Volksentscheid am 29. Februar 2004 Tatsachen geschaffen.
Zwar räumt das Verfassungsgericht den Initiatoren in diesem fortgeschrittenen Stadium nach der Hürde des Volksbegehrens grundsätzlich den Status eines Verfassungsorgans ein, das mit der Bürgerschaft gleichzusetzen und daher klageberechtigt sei. Dennnoch gibt es in den Augen des Gerichts keinen Grund, eine einstweilige Anordnung zu erlassen: Die im Petitum enthaltene „Aufforderung“ an den Senat komme lediglich einem „Ersuchen“ der Bürgerschaft gleich. „Der Senat kann Ersuchen nachkommen, sie ablehnen oder sie auch unbeantwortet lassen“, fand das Gericht.
Im Übrigen richte sich die Volksinitiative in Form einer „Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung“ nur an den Senat. Die Klage vor dem Verfassungsgericht richte sich jedoch gegen Senat und Bürgerschaft, weil sie verhindern solle, dass die Bürgerschaft ein Gesetz erlässt. Das gehe über den ursprünglichen Antrag der Volksinitiative hinaus. „Die Umdeutung des Wortlauts der Volksinitiative und des Willens der Antragstellerin in eine bindende Gesetzgebungsinitiative ist rechtlich nicht möglich“, urteilte das Gericht.
Rose zeigte sich über den Richterspruch enttäuscht. „Die heutige Entscheidung offenbart eine Lücke in der Volksgesetzgebung“, beklagt der ver.di-Chef. „Eine Formulierung der Volksinitiative als ‚Gesetzentwurf‘, wie es heute von den Verfassungsrichtern verlangt wird, ist vor zwei Jahren nicht denkbar gewesen – niemand kannte das heutige komplizierte Verfahren, mit dem der LBK verkauft werden soll“, moniert Rose.
SPD-Fraktionschef Walter Zuckerer forderte die Koalitionspartner CDU, Schill-Partei und FDP auf, den Verkaufsbeschluss bis nach dem Volksentscheid auszusetzen. „Alles andere wäre politisch unanständig“, sagte Zuckerer. Er rief dazu auf, sich an dem Volksentscheid zu beteiligen, um den künftigen Senat politisch zu binden.
FDP-Fraktionsvize Wieland Schinnenburg erkannte „die Chance, den LBK schnell zu privatisieren und so grundlegend neu aufzustellen“. Gesundheitssenator Peter Rehaag (Schill-Partei) stellte fest, „dass dem LBK Hamburg auf seinem Weg in die Zukunft keine juristischen Hindernisse entgegenstehen“. Auch ein Volksentscheid wäre „rechtlich wirkungslos“.
Die GAL dagegen sorgte sich um die Volksinitiative zur Rettung des Rosengartens, die vor dem Schritt zum Volksbegehren steht und ebenfalls keinen Gesetzesvorschlag zur Abstimmung stellt. Die Erweiterung des CCH auf Kosten des Rosengartens in Planten und Blomen steht heute auf der Tagesordnung des Senats. Sie zu beschließen wäre „undemokratisch und ignorant gegenüber dem erklärten Willen der Bürgerinnen und Bürger“, findet Antje Möller von der GAL-Bürgerschaftsfraktion.
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