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Große Mehrheit mit kleinen Kratzern

Die Agenda 2010 und die vorgezogene Steuerreform werden am Freitag Gesetz – da ist es für den Kanzler und seine rot-grüne Regierung nicht überlebenswichtig, ob sie bei jeder einzelnen Abstimmung im Bundestag eine eigene Mehrheit bekommen

Der Appell an Langzeitarbeitslose: Lauft als Lohndrücker durch die Gegend

AUS BERLIN JENS KÖNIG, HANNES KOCH UND ULRIKE HERRMANN

Nach dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss kämpft Gerhard Schröder nach wie vor um die Kanzlermehrheit bei den zahlreichen Gesetzesabstimmungen am Freitag im Bundestag. Gleichzeitig beginnt der Kampf um die Interpretation dessen, was einzelne Vorhaben, wie die uneingeschränkte Zumutbarkeit von Billigjobs, für die Betroffenen bedeuten. Und es rücken Regelungen ins Blickfeld, die angesichts der vorgezogenen Steuerreform und des Subventionsabbaus ein wenig untergegangen sind. Dazu gehören Veränderungen im Unternehmenssteuerrecht.

1. DIE KANZLERMEHRHEIT. Die Fraktionen von SPD und Grünen werden sie nicht bei jeder der über zehn Abstimmungen am Freitag erreichen. Die Koalition stellt 306 Bundestagsabgeordnete, die absolute Mehrheit liegt bei 302. Bis Dienstagabend hatten drei Abgeordnete angekündigt, beim Hartz IV-Gesetz, das unter anderem die Zumutbarkeit von Billigjobs für Langzeitarbeitslose regelt, mit Nein zu stimmen: Ottmar Schreiner und Horst Schmidtbauer (beide SPD) sowie Hans-Christian Ströbele (Grüne). Andere Abgeordnete wie Sigrid Skarpelis-Sperk, Klaus Barthel und Rüdiger Veit (alle SPD) sowie Winfried Hermann, Jutta Dümpe-Krüger und Werner Schulz (alle Grüne), von denen bekannt ist, dass sie die Agenda 2010 in einzelnen Punkten ablehnen, haben sich auf ein mögliches Nein bislang nicht festgelegt. Auf Kritik stößt bei ihnen vor allem die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln sowie die Aufweichung des Kündigungsschutzes.

Die Partei- und Fraktionsführungen von SPD und Grünen setzen offiziell auf eine „eigene Mehrheit“ im Bundestag (Mehrheit der abgegebenen Stimmen), was nicht gleichbedeutend mit der Kanzlermehrheit (Mehrheit der Mandate) ist. Intern jedoch wird eher nicht mit einer eigenen Mehrheit gerechnet – und das auch nicht als so dramatisch empfunden. „Das Wichtigste ist, dass die Agenda 2010 und die vorgezogene Steuerreform Gesetz werden“, sagte Volker Beck, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, zur taz. „Dafür wird es die notwendigen Mehrheiten geben.“ Kein Wunder, weil Union und FDP gemeinsam mit SPD und Grünen stimmen werden.

2. ZUMUTBARKEIT. Künftig sollen Langzeitarbeitslose auch Jobs annehmen, die unterhalb des „ortsüblichen“ Lohnes liegen. Als letzte Grenze bleibt die Sittenwidrigkeit; Sozialgerichte verorten sie bei etwa zwei Drittel des Tariflohns. Löhne knapp darüber sind allerdings längst gängig: Viele Unternehmen sind nicht in den Arbeitgeberverbänden – und damit nicht tarifgebunden. Es gibt bereits einen ausgeprägten Niedriglohnsektor. Stundenlöhne von 6 Euro für ungelernte Helfertätigkeiten sind üblich.

Der Trend zum Lohndumping könnte sich durch die Neuregelung jedoch verschärfen. Schon jetzt müssen Arbeitslose „Eigeninitiative“ zeigen; das Arbeitsamt Bremen verlangt zum Beispiel zehn Bewerbungen pro Monat. Die allermeisten kommen zurück. „Da freut sich nur die Post“, sagt Georg Schaff, Rechtsberater der Arbeitnehmerkammer Bremen. Künftig könnten die Arbeitslosen jedoch gezwungen werden, in ihren Bewerbungen von vornherein eine untertarifliche Bezahlung anzubieten. Noch mal Rechtsberater Schaff: „Die Aufforderung lautet dann: Lauft als Lohndrücker durch die Gegend!“

3. UNTERNEHMENSSTEUER. Für Unternehmen wurden einige Möglichkeiten der Steuerersparnis verstopft. So müssen Firmen, die mehr als eine Million Euro Gewinn pro Jahr erwirtschaften, künftig 40 Prozent des Profits in jedem Fall versteuern. Bisher war es Praxis, den Gewinn durch die Abschreibung von Verlusten auf null zu rechnen. Die Regelung soll sowohl für die Körperschafts- als auch für die Gewerbesteuer gelten. Eine Verschärfung gibt es auch in Fällen, in denen ein Gesellschafter seiner eigenen GmbH einen Kredit gewährt. Bisher konnte die Firma die Schuldzinsen als Kosten vom Gewinn abziehen. Ab 2004 werden Zinszahlungen an Eigentümer dagegen teilweise der Steuer unterworfen. Gestrichen wurde auch die Halbjahresabschreibung. Firmen können Investitionskosten nicht mehr rückwirkend von der Steuer absetzen, sondern nur noch vom Zeitpunkt der Bezahlung an.

wirtschaft und umwelt SEITE 7

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