ERST ABBAS, JETZT GEWALTVERZICHT: PALÄSTINENSER ÜBEN REALPOLITIK: Arafats Vermächtnis schrumpft
Es wird wie eine kleine Sensation gehandelt. Seit der neue PLO-Chef Mahmud Abbas in einem Interview kürzlich die Anwendung von Gewalt gegen Israel als „schädlich“ und die von Selbstmordattentaten geprägte zweite Intifada als Fehler bezeichnet hat, schlägt ihm viel Lob entgegen. Der Widerstand gegen die israelische Besatzung sollte besser mit friedlichen Mitteln betrieben werden, sagte Abbas: als Intifada ohne Waffen.
Prompt bescheinigte ihm der israelische Präsident Mosche Katzav, er zeige Verantwortungsbewusstsein, und auch die USA begrüßten seine Haltung. Die Hamas dagegen schäumte, das Problem sei die israelische Besatzung, nicht der Widerstand. Und auch der Islamische Dschihad betonte, solange die Besatzung fortdauere, hätten die Palästinenser jedes Recht auf bewaffnete Verteidigung.
Beide Gruppierungen hatten während der zweiten Intifada die Welle der Selbstmordattentate hochgeschaukelt mit dem sinistren Motiv, den Blutzoll der anderen Seite möglichst hoch zu treiben. Arafat hatte währenddessen zu all dem eine betont ambivalente Haltung an den Tag gelegt.
Dass sich dieser Kurs nicht ausgezahlt hat, dürfte den meisten Palästinensern inzwischen klar geworden sein. Die PLO erkannte diese Tatsache an, indem sie Abbas zum Arafat-Nachfolger kürte. Er hat sich seit Beginn des blutigen Aufstandes gegen Israel vor mehr als vier Jahren wiederholt gegen bewaffnete Angriffe ausgesprochen, im Unterschied zum inhaftierten Volkshelden Marwan Barghuti etwa. Das waren die feinen Unterschiede im palästinensischen Lager, die in der westlichen Öffentlichkeit jedoch nie so deutlich zur Kenntnis genommen wurden.
Nach Arafats Tod haben sich die politischen Gewichte zu Gunsten von Mahmud Abbas verschoben: Aus den Wahlen am 9. Januar dürfte er als nächster palästinensischer Präsident hervorgehen. Das zeigt, welche Bewegung in den Nahost-Konflikt gekommen ist. Sowohl Israel als auch die USA würden ihn gern als nächsten Verhandlungspartner sehen. Sie würden Abbas allerdings am meisten helfen, wenn sie ihm nicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit politischen Initiativen entgegenkämen. DANIEL BAX
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