: Mission Fleischerbeil
Der Kritische Polizist Thomas Wüppesahl soll einen Raubmord geplant haben. Ab morgen wird ihm vor dem Landgericht Hamburg der Prozess gemacht. Kronzeuge der Anklage ist ein langjähriger Freund und Kollege. Ein ungewöhnliches Verfahren voller Fragezeichen und Merkwürdigkeiten
VON KAI VON APPEN
Kaum ein anderer Kriminalfall in Hamburg seit Jahren steckt so voller Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten, keiner weist so viele auch abstruse Hintergründe auf wie dieser. Ab morgen muss sich Thomas Wüppesahl, Kritischer Polizist und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Anklage lautet auf Verabredung zu einem Raubmord.
Die genauen Vorwürfe, von der Staatsanwaltschaft in einer 63-seitigen Klageschrift aufgelistet, lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Der 49-jährige Kripomann soll aus „Habgier“ und „Heimtücke“ seinen früheren Kollegen Andreas Sch. angestiftet haben, gemeinsam mit ihm in Berlin einen Geldtransporter zu überfallen, 400.000 Euro zu erbeuten und einen Menschen zu ermorden.
Laut Anklage sollte Sch. den Fahrer des Transporters mit einer Pistole in Schach halten. Wüppesahl habe beabsichtigt, den zweiten Security-Mann kaltblütig zu erschießen und ihm dann mit einem Fleischerbeil die Hand abzuhacken, um an den am Handgelenk angeketteten Geldkoffer zu kommen. Dann wollten beide ein zufällig vorbeikommendes Auto kapern und flüchten.
Der Hinweis
Sch. soll in diesen vermeintlichen Tatplan, den Wüppesahl ihm vorgeschlagen habe, nicht eingewilligt haben. „Du tickst nicht richtig“, soll er gesagt haben. Dann vertraute er sich dem Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) der Hamburger Polizei an. Das DIE habe auf Sch. eingewirkt, zum Schein auf den Plan einzugehen.
Auf den ersten Blick mag die Planung plausibel erscheinen. Doch Hauptkommissar Wüppesahl war seit langen Jahren ein erfahrener Kriminalist, er arbeitete bei der Dienststelle für Organisierte Kriminalität (OK) und bei der Mordkommission in Hamburg. Er weiß, dass die Aufklärungsquote bei Mord sehr hoch ist, da die ganze polizeiliche Maschinerie in Gang gesetzt wird.
Warum also sollte der Fahrer des zu kapernden Autos, ein Tatzeuge, am Leben bleiben? Und wäre ein Bolzenschneider nicht effektiver, um an den Geldkoffer zu kommen. Welcher kühl kalkulierende Verbrecher wartet auf ein zufälliges Fluchtauto, tauscht dieses später mit dem eigenen PKW, fährt mit diesem zu einem Berliner Hotel, übernachtet dort, und fährt am nächsten Tag mit der Beute trotz Ringfahndung nach Hamburg zurück?
Der Kronzeuge
Staatsanwaltschaft und DIE präsentieren Andreas Sch. als Kronzeugen. Er war bis 1987 bei der Polizei in Hamburg. Dann nahm er wegen rechtsradikaler Tendenzen im Einsatzzug-Mitte eine Auszeit. Er arbeitete als Animateur in Spanien, und schrieb dort eine polizeikritische Abhandlung, die 1990 als 26-teilige Serie in der taz hamburg erschien und ihren Teil dazu beitrug, dass 1994 der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Hamburger Polizeiskandal eingerichtet wurde. Sch. kehrte zunächst in den Polizeidienst zurück, quittierte ihn aber später wegen Mobbings.
Der Lockspitzel
Im Fall Wüppesahl wurde Sch., daraus macht die Staatsanwaltschaft hinter vorgehaltener Hand keinen Hehl, als Lockspitzel eingesetzt. Dass seine Angaben über eine Tatplanung – wenn es sie denn gegeben hat – nicht für eine Anklage ausreichten, geht aus einem Vermerk von Oberstaatsanwalt Peter Stechmann hervor. Das bloße Gerede über eine Tat reiche nicht aus, die „Verabredung eines Verbrechens“ zu beweisen. Wüppesahl müsse bei der konkreten Entgegennahme einer Waffe überführt werden.
Am 25. Oktober 2004 wurde Wüppesahl in Sch.‘s Wohnung, die mit dessen Einverständnis abgehört worden war, festgenommen. Doch was bisher aus den mitgeschnittenen Gesprächen zwischen Wüppesahl und Sch. an die Öffentlichkeit kolportiert wurde, klingt zwar prickelnd, könnte aber auch ein ganz anderes Szenario ergeben: Wüppesahl wurde unter einem Vorwand in die Wohnung gelockt, Sch. sagte lediglich: „Da hast Du sie [die Waffe, d. Red.], das Fleischerbeil liegt noch im Auto“, dann erfolgte der DIE-Zugriff – das könnte nach Experten-Meinung auch „inszeniert“ gewesen sein.
Das Rätsel
Andreas Sch. und Wüppesahl waren lange Jahre eng befreundet, sie kannten sich von den „Kritischen Polizisten“, Sch. war sogar Trauzeuge bei Wüppesahls Heirat: Warum sollte Sch. seinem Freund und Weggefährten eine solche Falle stellen? Aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis gibt es nur Andeutungen. Danach soll Sch. nach seinem Ausscheiden bei der Polizei immer mehr in finanzielle und persönliche Schwierigkeiten gekommen oder sogar in dubiose Kreise geraten sein. Fragen, die nur der Prozess klären kann, da der Kronzeuge Andreas Sch. von den Sicherheitsorganen abgeschirmt wird.
Die Ermittlungen
Kriminaltechnisch stellt sich die Frage, warum das DIE die Ermittlungen nicht abgegeben hat, obwohl es in „operativer Verbrechensprävention“ über keinerlei Kompetenz verfügt. Warum wurde nicht die Ausführung der Tat – sollte sie denn stattfinden – abgewartet, bevor zugeschlagen wurde? Die Telefone waren angezapft, der vermeintliche Plan bekannt, mit Sch. sogar ein V-Mann eingeschleust: Eine hervorragende Ausgangsbasis für Fahnder der OK-Verbrechensbekämpfung.
Dass Wüppesahl viele Feinde in Polizeiapparat und Staatsanwaltschaft hat, steht außer Frage. Er gilt als „Querulant“, der in vielen Vorfällen eine Verfehlung witterte, sie veröffentlichte und einschlägig kommentierte. Selbst wenn er sich dabei mit Oberstaatsanwälten, Polizei- und Gerichtspräsidenten oder Staatsräten und Senatoren anlegte. Auch wenn dies in der Öffentlichkeit oft schräg ankam, in der Substanz war seine Kritik, über die auch die taz hamburg häufig berichtete, meist berechtigt.
Die Verteidigung
Unmittelbar nach Wüppesahls Verhaftung kündigten seine Anwälte die Präsentation einer „zweiten Version“ an. Die blieb bisher aus, Wüppesahl schweigt. Nur in privaten Briefen an Freunde gibt es Andeutungen. Mit den Staranwälten Gerhard Strate, Uwe Maeffert und Peter Wulf hat Wüppesahl drei Koryphäen als Strafverteidiger, die sich von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Regel nicht vorführen lassen. Ihre dezenten Hinweise gegenüber der taz hamburg, sich den Kronzeugen erst einmal „anzusehen“, nährt die Vermutung, dass sie etwas in der Hinterhand haben.
Die Komplott-Theorie
Wüppesahl sieht sich, wie schon bei diversen anderen angestrengten Strafverfahren gegen ihn, als Opfer eines Komplotts. Der Prozess sei „ein weiterer Versuch der Staatsanwaltschaft, Wüppesahl als politische Person aus- und abzuschalten“, schrieb er Anfang der Woche an die taz hamburg. In der Tat hat er wegen seines Egozentrismus viele Freunde verprellt, in der Öffentlichkeit hat er wegen seiner ausschweifenden Selbstdarstellungen viel Profil verloren. In den zahlreichen gegen ihn angestrengten Strafverfahren witterte er immer politischen Verrat, bei konkreter Betrachtung der Faktenlage konnte er aber immer wieder Beweise für seine Unschuld liefern.
Kurz nach Weihnachten noch hob das Hanseatische Oberlandesgericht einen umstrittenen Schuldspruch gegen ihn auf. Wäre er bestätigt worden, hätte Wüppesahl seine Pensionsberechtigung verloren, und das wird von der Staatsanwaltschaft als wesentliches Motiv für den angeblich geplanten Überfall herangezogen. Wüppesahl und sein Anwalt Strate aber waren in diesem Revisionsverfahren stets siegesgewiss gewesen.
Es gibt eine Menge zu klären. Davon geht offenbar auch das Gericht aus. Der Prozess ist auf zunächst 26 Verhandlungstage bis Mitte Juli terminiert.
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