: „Die Grünen duzen“
Die Linke fordert – die Grünen wollen, sagt der Sprachforscher Noah Bubenhofer, der die Rhetorik der Politik untersucht
■ Das Projekt: Noah Bubenhofer arbeitet als Linguist am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Er gründete die Forschungsgruppe „semtracks: Laboratory for Computer Based Meaning Research“ am Heidelberger Center for American Studies im Mai 2008. Mit seinem Kollegen Joachim Scharloth analysiert er Pressemitteilungen, politische Reden und Wahlprogramme der Parteien.
■ Die Vorgehensweise: Für die vergleichende Studie über die Grünen und Die Linke untersuchten sie 1.375 Pressemittelungen. „semtracks“ arbeitet mit Wortwolken, die zeigen, welche Wörter für eine Partei spezifisch sind. Dazu wird ausgewertet, wie oft ein Wort in Relation zur Gesamtzahl der Wörter vorkommt. Je typischer ein Wort ist, desto größer erscheint es in der Wortwolke.
INTERVIEW JANA PETERSEN
taz: Herr Bubenhofer, Sie haben die Sprache der Grünen und der Linken untersucht. Was hat Sie am meisten überrascht?
Noah Bubenhofer: Die Grünen etablieren ein Wir-Gefühl, das finde ich spannend. Gegenüber den anderen Parteien verwenden sie auffällig häufig Personalpronomen: wir Grünen, uns. Damit wollen sie Wähler ansprechen und in die Politik integrieren. Wir hatten in den vergangenen Jahren den US-Wahlkampf zwischen Obama und McCain sprachlich genau analysiert. Obama hat das genauso gemacht mit dem Wir.
Haben die Grünen sich diese Wir- Rhetorik von Obama abgeschaut?
Das kann ich nicht genau sagen. Der Wahlkampf dauerte ja länger an. Man weiß schon seit geraumer Zeit, dass es ein gutes Rezept ist, ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Das kann man so natürlich kopieren. Aber es muss trotzdem zur Sprache einer Partei passen. Wenn eine Partei plötzlich eine ganz neue Rhetorik fährt, dann wirkt das nicht sehr glaubwürdig.
Warum passt das Wir denn genau bei den Grünen so gut?
Ich habe vorhin noch einmal auf der Website von den Grünen geschaut und war überrascht, wie die Leute da angesprochen werden: Die Leser werden geduzt, alles ist ganz unkompliziert. Da passt das Wir schon sehr gut.
Welches Wort steht symbolisch für Die Linke, welches für Die Grünen?
Typische Nomina für Die Linke sind: Arbeit, Wirtschaft, Armut, Rente, Arbeitslosigkeit. Bei den Grünen sind es – nicht überraschend – Umwelt, Atomlobby, Energie, Klimaschutz. Aber auch Wörter zu Inlandsthemen werden häufig benutzt: Rechtsextremismus, Verfassung, Rechtsstaat.
Und wenn Sie sich auf ein Wort festlegen müssten?
Bei den Grünen ist es Klimaschutz, in Kombination mit dem Wort neu. Die Linke verwendet häufig Gerechtigkeit. Damit meinen sie einerseits soziale Gerechtigkeit im Inland, eine gerechte Gesellschaft. Auf der anderen Seite thematisieren sie internationale Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden.
Die Linke verwendet ihren Parteinamen auffällig häufig. Will sie sich damit als verhältnismäßig junge Marke etablieren?
Das ist sicher ein Grund. Außerdem muss Die Linke verdecken, dass sie aus unterschiedlichen Gruppierungen besteht. Besonders signifikant ist aber, dass die Linke in der dritten Person als Die Linke fordert, nicht wie bei den Grünen: Wir Grünen wollen.
Warum machen sie das?
Das hängt natürlich auch am Namen. Syntaktisch wäre es anders schwierig: Wir, Die Linke, fordern – das klingt komisch. Ich weiß nicht, ob bei der Wahl des Namens bedacht wurde, wie sperrig oder wie geeignet der Name für solche Formulierungen ist. Das ist bei den Grünen natürlich praktisch.
In den Pressemitteilungen der Linken kommen sehr häufig Zahlen vor. Warum?
Das ist ein Teil ihrer Argumentationsstrategie. Indem sie möglichst viele – teilweise sehr eindrückliche und erschreckende – Zahlen nennen, wollen sie Sach- und Faktenkenntnis demonstrieren. 2,3 Millionen, mehr als 1,5 Millionen – bei solchen Zahlen spielt es keine Rolle mehr, was genau gezählt wird. Hauptsache, diese Ziffer steht da.
Auch wenn die Zahl völlig abstrakt ist.
Ja, keiner kann sich vorstellen, was 2,5 Millionen Arbeitslose sind. Es gibt rhetorische Strategien, solche Zahlen in kleine Geschichten zu verpacken. Damit soll den Leuten plausibel gemacht werden, was so eine Zahl für den Einzelnen bedeutet. Das verwendet Die Linke aber nicht besonders häufig – im Gegensatz zum Beispiel zu Obama im US-Wahlkampf.
Verwendet Die Linke versteckt oder bewusst eine gewisse DDR-Rhetorik?
Es gibt durchaus noch Spuren, zum Beispiel von „Schimpfvokabular“: Die Linke und insbesondere die Kommunistische Plattform als Teil der Linken verwenden viele negativ wertende Adjektive wie kalt, schlimm, falsch, bitter. Außerdem ist ein gewisses ideologisches Vokabular bei der Linken nach wie vor sehr ausgeprägt, was für die DDR ebenfalls typisch war. Wir haben auch untersucht, wie extremistisch Die Linke argumentiert und ob es sprachliche Parallelen zu Gruppierungen am rechten Rand gibt. Wir haben herausgefunden, dass die Kommunistische Plattform sprachliche Muster verwendet, die für extremistische Parteien generell üblich sind.
Was genau hat denn Die Linke rhetorisch mit der NPD gemein?
Man muss unterscheiden: Die Linke ist nicht so nah an rechtsextremer Rhetorik. Die Kommunistische Plattform dagegen spielt auch mit Emotionalität, sie treten sprachlich sehr rigoros für etwas ein. Beide setzen ein Mittel der Sprachthematisierung ein, sie schreiben „so genannte“ oder setzen Begriffe in Anführungszeichen. Damit stellen beide, Rechte und Linke, sehr grundsätzliche Dinge in Frage, Demokratie oder Freiheit zum Beispiel. Außerdem verwenden beide extrem wertende Adjektive. Je extremistischer eine Partei ist, desto stärker wertend und vor allem negativ wertend sind die Adjektive: sie sollen skandalisieren und dramatisieren.
Bei der Europawahl waren die Grünen mit ihrer Wums!-Kampagne sehr erfolgreich. Wie ordnen Sie solche Wortneuschöpfungen ein?
Akronyme wie Wums überraschen und irritieren. Die Partei versucht so, Frische und Unkonventionalität zu demonstrieren – das ist der Versuch, Vorurteile über langweilige Politik und die Politikverdrossenheit in gewissen Bevölkerungskreisen zu bekämpfen.
Die Grünen hatten dann zum Teil sogar mehr Stimmen als die SPD; in der „Neuen Bürgerlichkeit“ haben sie eine neue Zielgruppe gefunden. Mit welchen Worten sprechen die Grünen diese Menschen an?
Es fällt auf, dass die Grünen einen Mix sehr unterschiedlicher Themen und Begriffe verwenden: Atomausstieg, Datenschutz, Energieeffizienz, Internet, Klimawandel, Modernisierung. Das sind neue Kombinationen von Umweltschutz, Wirtschaft und Technik, die diese „neuen Bürgerlichen“ ansprechen. In meiner Heimat, in der Schweiz, wurden die Grün-Liberalen gegründet, die genau diese Nische zwischen grünem und bürgerlichem Denken ausfüllen wollen.
Im Zusammenhang mit Klimaschutz verwenden die Grünen häufig das Wort neu. Hat das damit zu tun, dass sie seit 25 Jahren ganz ähnliche Themen bearbeiten?
Damit wollen die Grünen zeigen, dass man Klimaprobleme auch mit neuer Technologie lösen kann. In diesem Diskurs ist bei den Grünen auch das Wort Effizienz wichtig geworden. Heute wird anders über Umwelt und Umweltpolitik gesprochen als früher: Technik und Umweltschutz sind kein Widerspruch mehr. Das ist neu, früher waren die Grünen ja eher technikfeindlich. Andere Kombinationen mit dem Wort neu sind die Begriffe Forderungen, Gefahr und europäisch. Damit kennzeichnen sie, dass neue Sichtweisen auf alte Themen notwendig sind.
Würden die Grünen andere Worte verwenden, wenn sie wieder Teil der Regierungskoalition wären?
Ich vermute das stark. Natürlich muss man Wahlkampfrhetorik von Regierungsarbeit unterscheiden. Da sind andere Themen wichtig, auch andere rhetorische Stilmittel.
Welchen anderen Parteien sind Die Grünen und Die Linke in ihrer Rhetorik am ähnlichsten?
Was Themen betrifft, gibt es bei der Linken schon auch Ähnlichkeiten zur SPD. Aber die SPD formuliert weniger emotional, weniger rigoros. Bei den Grünen ist uns das zum jetzigen Stand der Forschung noch nicht ganz klar.
Beide Parteien sind in der Opposition. Einerseits müssen sie sich von der Regierung abheben, auf der anderen Seite müssen sie die Fähigkeit zum Regieren suggerieren. Wie schaffen die Parteien sprachlich diesen Spagat?
Das Integrative bei den Grünen funktioniert über das Wir-Gefühl. Wir Wählerinnen und Wähler und wir als Partei müssen das jetzt anpacken. Das gibt den Wählern das Gefühl: „Wow, ich kann da mitwirken.“
Und Die Linke?
Die arbeitet einerseits mit klaren Forderungen. Dadurch greifen sie das Establishment an. Sie stellen das Fordern in den Vordergrund, um zu zeigen: Wir sind stark, wir wollen mit festem Willen etwas erreichen. Auf der anderen Seite sprechen sie die Mehrheit der Menschen an. Mit Floskeln wie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger oder oder die Mehrheit der Menschen in Deutschland suggerieren sie, dass die große Mehrheit da draußen gar nicht will, was die Regierung macht. Auch Phrasen wie immer mehr Menschen oder so viele Menschen zeigen, dass sie sich für eine Mehrheit einsetzen – zumindest behaupten sie das.
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