piwik no script img

Mit Bischofs Hilfe

FREIHEIT In einer Zeit, in der Analsex unter Strafe steht, kämpfen zwei Männer im Mittleren Westen der USA für die Rechte von Schwulen und Lesben. Vor dreißig Jahren überlisten sie ihre Gegner

Rechte für Schwule und Lesben

■ Damals: Ende der siebziger Jahre gibt es noch kein Land, das Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung verbietet. Erste Regelungen dieser Art gelten lokal, auch in den USA. Im Staat Wisconsin kämpfen der Politiker David Clarenbach und der Student Leon Rouse um das erste überregionale Gesetz. Es wird am 25. Februar 1982 verabschiedet. Im Jahr zuvor hatte Norwegen als erstes Land ein ähnliches Gesetz beschlossen.

■ Heute: Die rechtliche Gleichstellung machen Wissenschaftler an diesen Punkten fest: Sind homosexuelle Handlungen legal? Entspricht das Schutzalter dem für heterosexuellen Sex? Ist Diskriminierung verboten? Gibt es eine eingetragene Partnerschaft? Können homosexuelle Paare Kinder adoptieren? Und: Können sie eine Ehe eingehen? Heute droht noch in sechs Ländern der Welt für homosexuellen Sex die Todesstrafe.

VON ANDREA ROTTMANN UND LUISE STROTHMANN

Vielleicht entspringt der erste Funke für ein Gesetz, das verbietet, Menschen wegen ihres Begehrens zu benachteiligen, in einer Psychiatrie im Mittleren Westen der USA. In einem Ort mit dem indianischen Namen Wauwatosa. Man betritt die Klinik durch einen weißen Säuleneingang. Am Flügel sitzt eine Frau und schlägt immer wieder denselben falschen Ton an.

Hier lebt im Jahr 1974 ein Siebzehnjähriger zwischen den anderen Patienten. Manchen wurden mit dem Skalpell Nervenbahnen im Gehirn durchtrennt – bei einigen mit dem Ziel, ihre Homosexualität zu heilen. Auch Leon Rouse, der schmächtige Junge, ist hier, weil er schwul ist. Seine Eltern haben ihn in die Psychiatrie geschickt.

Kaum acht Jahre später, am 25. Februar 1982, steht derselbe Junge im Kapitol der Stadt Madison, einem anderen Gebäude mit weißem Säuleneingang. Mit seinen kurzen Stirnfransen und den weichen Gesichtszügen wirkt er noch immer wie ein Teenager. Und man kann sagen, dass er wieder hier steht, weil er schwul ist.

Links neben ihm sitzt der Gouverneur des Bundesstaates Wisconsin und unterschreibt ein historisches Gesetz. Ab diesem Tag ist es eine Straftat, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. In keinem anderen Staat der USA gibt es einen solchen Paragrafen – nicht in New York, wo dreizehn Jahre vorher der Stonewall-Aufstand stattfand, und nicht in Kalifornien, wo sich schon ein ganzes Viertel von San Francisco als schwul versteht. Überhaupt ist Norwegen zu diesem Zeitpunkt weltweit das einzige Land mit einer solchen Regelung. Und jetzt Wisconsin, ein Bundesstaat im Mittleren Westen, aus dem die Harley Davidson stammt und der Kommunistenjäger Joseph McCarthy?

Dass es so gekommen ist, liegt an zwei Männern, die auf dasselbe Ziel hinsteuern, sich aber misstrauen und deshalb nicht zusammen, sondern oft genug gegeneinander arbeiten. Doch am Ende fügen sich ihre Schritte so zusammen, dass gelingt, was ihnen niemand zugetraut hätte.

„Mein Leben hat etwas bewirkt“, sagt der eine

Der eine von ihnen ist Leon Rouse, der Junge aus der Psychiatrie, der am Tag, als das Gesetz unterschrieben wird, rechts vom Gouverneur steht. Der andere ist der junge Abgeordnete David Clarenbach. Er steht links.

Von den Straßen der Stadt Madison dringt Lärm in die Wohnung von David Clarenbach. Auf der Washington Avenue wird gebaut. Clarenbach schließt das Fenster. Fast dreißig Jahre später wohnt er immer noch nah an den bedeutenden Orten von damals. Er kann in fünf Minuten zum Kapitol laufen, in den Raum, in dem er neben dem Gouverneur stand. Clarenbach ist 59 Jahre alt. Ein kleiner hagerer Mann, der T-Shirts und Basecaps trägt. Er tut fast nichts lieber, als von damals zu sprechen. „Dieser Tag war der Moment, in dem ich gespürt habe: Mein Leben hat etwas bewirkt“, sagt er.

Es gibt nämlich noch einen anderen Anfang, einen zweiten Funken für das Gesetz, das vor genau dreißig Jahren in Kraft trat. Der eine entspringt in der Psychiatrie. Der andere im Jahr 1970 in Mississippi, im Süden der USA. David Clarenbach fährt als 16-Jähriger in den Frühjahrsferien dorthin, um Afroamerikaner in Wahllisten einzutragen. Hier habe er das erste Mal wirklich verstanden, was Diskriminierung ist, sagt David Clarenbach heute. Ein Mehrheitsklima, das Menschen so einschüchtert, dass sie Angst haben, ihre eigenen Rechte in Anspruch zu nehmen.

Schon Clarenbachs Großvater war Politiker, seine Mutter ist Feministin und die erste Vorsitzende der amerikanischen Frauenrechtsorganisation NOW. Sein Vater, Immobilienmakler und Antikriegsaktivist, kümmert sich um die drei Kinder und den Haushalt, wenn seine Frau verreist ist. Als David, der Baseball und Politik mag, zum ersten Mal bewusst an einer Demonstration teilnimmt, ist er zwölf Jahre alt. Zehntausende Menschen ziehen gegen den Vietnamkrieg durch seine Heimatstadt Madison und fordern das Ende von Napalm und Todesmeldungen.

David Clarenbach wird Politiker. Er will alles: Eine gesetzliche Krankenversicherung, die Legalisierung von Marihuana, die Abschaltung von Atomkraftwerken. Mit 18 Jahren übernimmt er sein erstes politisches Amt, mit 21 Jahren wird er Abgeordneter in der gesetzgebenden Versammlung seines Bundesstaates Wisconsin. Er trägt Cordanzüge und Koteletten. Immer ist er der Jüngste.

Anal- und Oralsex sind verboten, auch in der Ehe

Im Parlament findet er einen Mentor, Lloyd Barbee, den einzigen afroamerikanischen Abgeordneten. Einen Mann mit Woody-Allen-Brille und schmalen Krawatten, der gegen Rassentrennung kämpft. Barbee ist schon am Ende seiner Parlamentskarriere. Eins seiner Vorhaben übergibt er nun an David Clarenbach: In Wisconsin soll man endlich lieben können, wen man möchte.

Es ist die Zeit, in der sogenannte Sodomiegesetze Anal- und Oralverkehr verbieten. In Wisconsin ist es der Paragraf gegen „sexuelle Perversion“, er gilt auch für Ehepaare. Lehrer werden entlassen, wenn klar wird, dass sie Männer lieben. Eine Zeit lang müssen in Wisconsin Menschen, die wegen Sodomie verurteilt wurden, für ein Jahr ihren Führerschein abgeben.

Der junge Abgeordnete David Clarenbach steht auf Männer, das ist in seinem Umfeld kein Geheimnis. Er wird nie offiziell als geouteter Politiker kandidieren.

Aber der Gesetzesentwurf, mit dem er und sein Mentor Barbee Homosexualität entkriminalisieren und Schwule und Lesben vor Diskriminierung schützen wollten, liest sich wie ein Manifest. Sexuelle Handlungen sollen ab 14 Jahren straffrei sein, Abtreibung und Prostitution legalisiert und die Homoehe soll eingeführt werden. Außerdem soll es endlich erlaubt sein, Werbung für Verhütungsmittel zu machen. Das Gesetz schafft es nicht einmal zur Abstimmung.

David Clarenbach spricht Abgeordnete an, zählt die Stimmen. Alle zwei Jahre stellt er seinen Entwurf neu vor.

„Nicht einen Furz könnte er durch dieses Parlament bekommen“, schreibt ein linkes Lokalblatt. Clarenbach sagt, er habe auf Zeit gespielt, in jeder Legislaturperiode ein kleines Stück weiter, fünf oder sechs Stimmen mehr. „Ach, wieder eins dieser Clarenbach-Gesetze“, sollen die Gegner denken und ihn nicht ernst nehmen, bis sie davon überrascht werden, dass eines Tages die Mehrheit auf seiner Seite ist. Und sein Entwurf durchkommt. Das ist Clarenbachs Plan.

Aber auch die schwule und lesbische Szene wird ungeduldig. Ist Clarenbach der Richtige?

Es steht schließlich noch jemand anderes in den Startlöchern. Jemand mit einer ganz anderen Strategie. Jemand, der die Unterstützer finden will, wo sie niemand vermutet.

Leon Rouse grüßt am Telefon mit Aloha, im Hintergrund singen Vögel. Rouse, der mal der Junge in der Psychiatrie war, lebt heute auf Hawaii.

Jemand, der Rouse aus den Zeiten seiner politischen Erfolge kennt, hat einmal gesagt, das Leben von Leon Rouse klinge nach einem Film, einem Drama allerdings.

Im Jahr 1995 wird Rouse auf den Philippinen mit der Beschuldigung festgenommen, Sex mit einem Minderjährigen gehabt zu haben. Er wird verurteilt, sitzt acht Jahre auf den Philippinen im Gefängnis. Rouse sagt, er habe die Tat nicht begangen, sondern sei Opfer korrupter Polizisten geworden, die Bestechungsgelder von ihm erpressen wollten. Das angebliche Opfer nahm seine Aussage kurz nach der Verhandlung zurück, trotzdem wurde keine Revision zugelassen. Klar ist, dass ihm kein fairer Prozess gemacht wurde. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stellt 2005 fest, dass es für seine Festnahme keinen Haftbefehl gab, die gegen ihn verwendeten Beweismittel willkürlich waren, die Haftbedingungen unmenschlich. Das Gremium urteilt, die Philippinen müssten Rouse entschädigen. Darum kämpft Rouse bis heute.

Als er nach Hawaii zurückkehrt und dort für einen demokratischen Abgeordneten arbeitet, empört sich ein Journalist, dass der einen verurteilten Sexualstraftäter anstellt. Rouse verliert seinen Job.

Im vergangenen Herbst steht das FBI vor seiner Tür und sucht nach Kinderpornografie. Er hat noch nicht mal einen Computer.

„Ich bin immer noch in der Politik, verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt er. „Aber ich muss nicht mehr in den vordersten Reihen stehen. Jeder kann nur eine bestimmte Anzahl an Kugeln verkraften. Ich bin bereit, ein geordnetes Leben zu führen, einen regelmäßigen Job zu haben.“ Leon Rouse macht jetzt, mit 55 Jahren, eine Ausbildung zum Krankenpfleger.

Die Schwulengruppe soll vom Schwulsein heilen

Aber bald wird er für eine Freundin, die für einen politischen Posten kandidiert, die Kampagne organisieren. Leon Rouse war immer ein politischer Kopf. Genauso wie David Clarenbach.

Heute verbrint Clarenbach seine Winter in warmen Gegenden, in diesem Jahr in Thailand. Er leidet an einer Nervenkrankheit. Auch Leon Rouse will seinen warmen Ort nicht mehr verlassen, Hawaii. Man kann es beiden kaum verübeln, dass sie die Zeit von damals so erinnern, wie es ihnen selbst heute am Besten tut.

„Leon meinte es gut, aber manchmal verhielt er sich wie ein Elefant im Porzellanladen und störte unsere Strategie massiv“, sagt Clarenbach über Rouse. „David Clarenbach hat uns ständig dazwischengefunkt. Ständig“, sagt Rouse über Clarenbach. Aber sie loben auch, was der andere am Ende geschafft hat.

Leon Rouse ging den Leuten auf die Nerven. Für seinen Konkurrenten David Clarenbach war er zu hitzig, zu unberechenbar. Deshalb sah der in Leon Rouses Engagement eine Gefahr für sein Anliegen, das er mit so viel Vorsicht voranbrachte. Rouse forderte, konnte nicht warten, so sah das David Clarenbach.

Aus dessen eigener Sicht war es anders. Er hatte schon zu lange gewartet, es musste jetzt etwas passieren.

Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg bei der Marine gewesen und hatte seinem Sohn früh erzählt, wie er Männer in Frauenkleidern verprügelt hatte, um ihr Geld zu versaufen. Als Leon Rouse sich vor seinen Eltern outet, klappern sie mehrere Psychiater ab, bis sie einen finden, der verspricht, ihn zu heilen. In dem Klinikum, an dessen Silberbesteck und Klavierspielerin er sich immer noch erinnert. Der Arzt lässt den jungen Leon Farbkleckse interpretieren und stellt ihm achthundert Ja/Nein-Fragen. Als Leons Mutter zu Besuch kommt, sagt sie ihm, ihr wäre lieber, er sei tot. Und dass in der Nachbarschaft jetzt Häuser zu verkaufen seien. Einige Nachbarn hätten gehört, dass er schwul sei.

Und dann ist das Leben doch manchmal an den unerwartetsten Orten wieder für Überraschungen gut.

Eine Frau in der Klinik überredet Leon Rouses Eltern, dass es das Beste für ihn sei, in eine Schwulengruppe zu gehen. Dort werde er Männer in Röcken sehen, die sich seltsam benehmen, und feststellen, dass er keiner von ihnen sei. Das leuchtet den Eltern ein. Und Leon Rouse findet Freunde.

Am Abend des 7. Juni 1977 läuft bei Leon Rouse der Fernseher. An diesem Dienstag stimmen 2.300 Kilometer weiter südlich die Wähler in Dade County, Florida, darüber ab, ob das nur wenige Monate vorher verabschiedete lokale Antidiskriminierungsgesetz für Schwule und Lesben wieder rückgängig gemacht werden soll. Die Kampagne gegen das Gesetz wird von einer Sängerin angeführt, die vor allem durch ihren Werbespot für Zitrusfrüchte aus Florida in den ganzen USA bekannt geworden ist. Aus der lokalen Angelegenheit wird ein nationales Medienereignis. Bis dahin hatten politische Kämpfe von Schwulen und Lesben nur selten Schlagzeilen gemacht. Dieses Mal schreibt das Magazin Newsweek, in Florida entscheide sich, ob Amerika bereit sei, die Rechte von Homosexuellen anzuerkennen. Zum ersten Mal argumentieren die Gegner der neuen Freiheiten religiös: Es sind erste Anzeichen der sich formierenden religiösen Rechten, die die US-Politik in den nächsten Jahrzehnten prägen wird.

Leon Rouse sieht im Fernsehen die Orangen-Sängerin, die triumphierend in die Kameras spricht: „Die normale und gesunde Mehrheit hat gesagt: Genug, genug, genug.“ „Das waren die Worte, die mich zum Handeln brachten“, sagt er heute.

Erst Sex legalisieren oder erst Schutz sichern?

Der zwanzigjährige Politikwissenschaftsstudent boxt eine universitätsinterne Klausel durch, nach der Schwule und Lesben an den Hochschulen in Wisconsin nicht mehr diskriminiert werden dürfen. Dann will er auf die bundesstaatliche Ebene.

Seine Idee: Die Unterstützung für ein überregionales Gesetz muss daher kommen, wo der Widerstand dagegen am größten ist: aus den Kirchen.

David Clarenbach, der andere Vorkämpfer, meint nämlich lange Zeit: Homosexueller Sex muss erst einmal legal sein, bevor man die, die ihn praktizieren – Schwule und Lesben – vor Diskriminierung schützen kann. Logisch. Leon Rouse, der junge Schwulenaktivist von der Universität in Milwaukee, sieht aber, dass es für ein Antidiskriminierungsgesetz mehr Unterstützer gibt als für eins, dass Anal- und Oralsex entkriminalisiert. Weil man dabei nicht über Stellungen und Körperflüssigkeiten reden muss. Sondern einfach sagen kann: Diskriminierung ist falsch.

Solche Diskussionen klingen nach ferner Vergangenheit im Jahr 2012, von einem Land aus betrachtet, in dem für einige das Einzige, was sie an ihrem Außenminister mögen, ist, dass er offen schwul lebt.

Aber wenn man genauer hinsieht, drehen sich die Rädchen der Geschichte langsamer als man denkt.

In Deutschland wird seit Jahren darum gerungen, ob sexuelle Orientierung in den Antidiskriminierungsparagrafen des Grundgesetzes aufgenommen werden soll. Es gibt laute Gegenstimmen, etwa aus der Union.

In 75 Staaten der Welt wird Homosexualität heute noch strafrechtlich verfolgt. Erst im vergangenen Sommer verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen erstmals eine Resolution zur Entkriminalisierung von Homosexualität. Die Mehrheit war knapp.

Es muss damals, Ende der Siebziger, ein großer Spaß gewesen sein, sich den Namen für das Komitee auszudenken, das der Student Leon Rouse gründet, um die religiöse Unterstützung für das Gesetz zu formieren. Er nennt es schließlich „Komitee für fundamentale jüdisch-christliche Werte“. Ja, sagt er, natürlich sollte alles möglichst konservativ klingen. Das Ganze war ja eine Art reales Theater, von Rouse inszeniert.

Es tritt auf: Der schwule Erzbischof.

Im Jahr 1979 sitzt Leon Rouse auf der Kirchenbank unter dem Gewölbe der St. John’s Kathedrale in seiner Heimatstadt Milwaukee und schaut dem Erzbischof Rembert Weakland dabei zu, wie er die Oblaten segnet. Im Bundesstaat Wisconsin sind die Hälfte der Gläubigen wie Rouse Katholiken. Das macht den Erzbischof der größten Diözese Milwaukee zum wichtigsten Kirchenmann. Leon Rouse will ihn für sein Anliegen gewinnen. Erzbischof Weakland ist einer der liberalsten Kirchenoberhäupter im Land. Die Kirche will sich in dieser Zeit für die Gesellschaft öffnen. Weakland denkt sogar über die Ordination von Priesterinnen nach. Dass er schwul ist und gerade seine erste und einzige Beziehung zu einem Mann hat, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

„David Clarenbach hat uns ständig dazwischengefunkt. Ständig“

LEON ROUSE

Der Erzbischof soll für das Gesetz werben

Rouse hat in dem Sekretariat des Bischofs angerufen und um einen Termin gebeten. Vergeblich. Seine einzige Chance ist die Messe. Er weiß, dass der Bischof die Besucher am Eingang persönlich verabschieden wird. Leon Rouse wartet, bis die letzten Gläubigen gegangen sind. Dann kommt Weakland auf ihn zu. Rouse erklärt sein Anliegen und der Erzbischof notiert seine Telefonnummer. Tatsächlich ruft er wenige Tage später an. Ja, er wolle helfen, sagt er, bittet Rouse aber auch, andere Kirchenoberhäupter an Bord zu holen. „Es macht mir nichts aus, gesteinigt zu werden, solange ich nicht der Einzige bin“, sagt Weakland.

Am Ende unterstützen Leon Rouse fast alle wichtigen religiösen Gruppen: katholische, lutherische, methodistische, presbyterianische und jüdische Gemeinden. Nonnen sind unter den Mitgliedern seines Komitees, Priester und Pastoren.

Der Abgeordnete David Clarenbach beäugt Leon Rouses Bemühungen misstrauisch. Setzt der junge Aktivist Leute unter Druck? Verschreckt er sie? Aber Clarenbach erkennt auch die Kraft dieser religiösen Unterstützung.

Sie tun noch viel mehr in den nächsten Monaten. Meist parallel, aneinander vorbei, aber nun seltener gegeneinander. Deshalb addieren sich ihre Bemühungen. Es ist eine Zeit, in der Clarenbach wieder mit seinen parlamentarischen Strategien glänzt.

Auf Clarenbachs Initiative werden in einigen Wahlbezirken republikanische Scheinortsgruppen gegründet, geführt von progressiven Republikanern, um den Anschein konservativer Unterstützung zu verstärken. Leon Rouse lässt katholische Priester bei wankelmütigen Abgeordneten anrufen. David Clarenbach verspricht der Polizeigewerkschaft für eins ihrer Belange zu stimmen, wenn sie den Entwurf unterstützen. Das alles machen sie leise, fast immer unter dem Radar der Medienöffentlichkeit.

Als es dann zur Abstimmung kommt, erstarren die Konservativen. Soll zukünftig Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung bei der Arbeit, der Wohnungssuche und in öffentlichen Einrichtungen verboten sein? Eine Mehrheit der Abgeordneten beider Kammern stimmt dafür.

Sie sind fast am Ziel. Es fehlt nur noch eine Unterschrift.

Erst jetzt mobilisieren auch die Gegner. Der Einzige, der das Gesetz nun noch verhindern kann, ist der republikanische Gouverneur des Bundesstaates, Lee Dreyfus: mit einem Veto. Christliche Radiosender fordern ihre Hörerinnen und Hörer auf, in seinem Büro anzurufen. Daraufhin schlägt das linksalternative Radio der Hauptstadt seinen Hörerinnen und Hörern vor, das Gleiche zu tun. An einem einzigen Tag gehen beim Gouverneur 600 Anrufe ein.

Es ist wohl einer der Gründe, warum der Gouverneur das Gesetz so schnell unterschreibt.

David Clarenbach bekommt einen Anruf von seinem Mitarbeiter: „David, Dreyfus unterschreibt das Gesetz!“

„Das ist wunderbar.“

„Jetzt!“

David Clarenbach zieht seinen besten Anzug an und läuft ins Capitol von Madison. Dort trifft er Leon Rouse. Es ist die letzte Bühne, die die beiden gemeinsam betreten. Noch einmal streiten sie heimlich. Die Szene ist auf Video festgehalten.

David Clarenbach tritt zuerst hinter den Holzstuhl des Gouverneurs, die linke Hand in der Tasche. Er trägt einen Dreiteiler, einen Schnauzer und einen mächtigen Ring an der rechten Hand. Gleich links vom Gouverneur bleibt er stehen. Leon Rouse, im roten Hemd, geht auf die rechte Seite. Er schaut zu Clarenbach, dann legt er die Hand auf die Lehne des Stuhls hinter den Gouverneur. Clarenbach macht sein Jackett zu und stützt sich auf die andere Lehne. Der Gouverneur unterschreibt.

Personen, die besonders an einem Gesetz mitgewirkt haben, bekommen üblicherweise den Stift, mit dem das Gesetz unterzeichnet wurde. Leon Rouse streckt seine Hand danach aus. Aber der Gouverneur reicht den Stift auf die andere Seite zu David Clarenbach.

Für Leon Rouse hat er einen zweiten.

 Andrea Rottmann, 28, ist freischaffende Historikerin und hat über die Geschichte von David Clarenbach und Leon Rouse geforscht

 Luise Strothmann, 26, ist sonntaz-Redakteurin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen