piwik no script img

Der große Verderber

DDR-DOPING Jürgen Tanneberger wurde wegen Minderjährigendopings verurteilt. Der ehemalige DDR-Toptrainer trainiert heute ehrenamtliche Kinder in Berlin

„Ich habe mich im Gerichtssaal entschuldigt, ich habe damit abgeschlossen“

SCHWIMMTRAINER TANNEBERGER

VON THOMAS PURSCHKE

Der heute 65-jährige Pensionär Jürgen Tanneberger arbeitet im Schwimmclub Berlin e. V. ehrenamtlich als Sportwart. Den Kids bringt er das Schwimmen bei. Für Mitte August hat er ein großes Sommerlager für die Kinder des Vereins im Alter von sechs bis zwölf Jahren organisiert, im Jugendferienpark der Sportjugend Berlin in Ahlbeck an der Ostsee.

Das Landgericht Berlin hatte den einstigen DDR-Frauen-Verbandstrainer Tanneberger als einen führenden Mitorganisator des Dopings im Schwimmsport der DDR am 22. Dezember 1999 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 47 Fällen verurteilt. Unter den Geschädigten, die mit männlichen Sexualhormonen präpariert wurden, befanden sich auch eine ganze Reihe damals noch minderjähriger Mädchen.

Das er heute wieder Kinder in Berlin betreut, schockierte einige Eltern, die sich kundig machten, ob es sich tatsächlich um den verurteilten DDR-Chefcoach handelt. Doch solche Bedenken besorgter Eltern kann er nicht verstehen. Auf Anfrage äußerte Tanneberger zu seinem ehrenamtlichen Engagement: „Der Hochleistungssport ist für mich seit dem Ende der DDR tabu. Heute lerne ich den Kindern in unserem Schwimmclub Berlin lediglich die Schwimmtechniken.“ Zugleich versucht er seine damalige Verantwortung kleinzureden: „Ich war ja nur politisch verantwortlich, weil ich von der Doping-Konzeption im DDR-Schwimmsport wusste. Ja, es trifft zu, dass ich damals nichts dagegen unternommen habe. Das bereue ich heute.“

Tanneberger stieg in der DDR 1982 vom einstigen Cheftrainer des Sportclubs Magdeburg zum Verbandstrainer auf, zuständig für die Frauen im DDR-Schwimmverband. Diese gewannen zahlreiche Medaillen. Als Tanneberger nach dem Mauerfall vom Deutschen Schwimmverband (DSV) nicht übernommen wurde, fand der Diplomsportlehrer eine Anstellung beim Schwimmclub „Jan Wellem“ in Düsseldorf. Die West-Funktionäre hatten kein Problem mit dem DDR-Doper. Nach eigenen Angaben kehrte Tanneberger vor sieben Jahren aus familiären Gründen nach Berlin zurück. Im Sommer 2003 wurde der Verein „Schwimmclub Berlin“ gegründet. Ziel ist es, so steht auf der Vereins-Webseite, „den Nachwuchs zu entdecken, zu fördern und den Athleten das entsprechende Umfeld zu bieten, Höchstleistungen zu erreichen“. Erster Vorsitzender des Vereins ist DDR-Dopingtrainer Gerd Eßer, der früher beim Sportclub Dynamo Berlin Anabolika-Tabletten an seine Athleten verteilte. Der DSV hat Eßer übrigens zum neuen Leiter des Bundesstützpunktes Berlin ernannt.

Tannebergers Vita hält noch andere Überraschungen bereit: Er spitzelte zudem seit 1969 als Inoffizieller Mitarbeiter für den DDR-Staatssicherheitsdienst. In dem 1999 erschienenen Buch „Anklage Kinderdoping“ der Autoren Hajo Seppelt und Holger Schück ist über Tanneberger zu lesen: Neben politischen Einschätzungen sogar über 14- bis 16-jährige Schwimmerinnen finden sich in Tannebergers Stasi-Akte auch Berichte, in denen er über Körperschäden bei einer Athletin aus dem DDR-Olympiakader 1976 informierte: „Die unterstützenden Mittel haben bei ihr Veränderungen in der Gebärmutter hervorgerufen. Sie könnte keine Kinder bekommen.“ Der Stasi Informationen zu liefern, dies sei für ihn „damals eben so üblich gewesen im Leistungssport. Ich war überzeugt von dem Staat.“ Aber über schädliche Nebenwirkungen der „unterstützenden Mittel“ habe er „nicht Bescheid gewusst. Dies ist die Sache der Mediziner gewesen.“ Vermännlichungserscheinungen wie die breiten Kreuze, tiefen Stimmen und zunehmende Körperbehaarung sind dem DDR-Elitetrainer nicht aufgefallen: „Wenn man die Mädels ständig um sich hatte, gewöhnte man sich daran.“

Die einstige DDR-Schwimmerin Ute Krieger-Krause kennt Tanneberger als ehemaligen Club-Cheftrainer beim SC Magdeburg noch aus den Siebzigerjahren. Ute Krieger-Krause, vom Bundesverwaltungsamt in Köln als Dopingopfer anerkannt, zeigte sich „fassungslos, dass er heute wieder Kinder betreut“. Sie reflektiert: „Tanneberger hatte damals so eine harmlose, fast väterliche Art an sich, aber er war im Grunde genommen ein großer Verderber, der als Chefcoach über die perfiden Dopingpraktiken genau Bescheid wusste.“ Tanneberger erklärte dazu: „Ich habe mich im Gerichtssaal bei den Leuten entschuldigt, ich habe damit abgeschlossen.“ An einem Gespräch mit den Opfern des Staatssport-Systems hat er kein Interesse: „Das bringt nichts.“ Mit Blick auf die WM in Rom, sagte der Schwimmpädagoge: „Trainingsmethodisch waren wir in der DDR so gut, wir hätten auch ohne Doping einige Goldmedaillen geholt, wenn auch nicht so viele.“ Den Opfern der einst staatlich organisierten Anabolikamast nützt diese späte Erkenntnis nichts mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen