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Neues Album von The CureDer Mensch wächst in den Fels

In der schwerelosen Schwermut: Robert Smith und The Cure veröffentlichen zu Beginn der trüben Jahreszeit das neue Album „Songs of a Lost World“.

Vom Winde verweht: Robert Smith an der Gitarre bei einem Konzert von The Cure in Straßburg, 2022 Foto: Roses Nicolas/ABACA/imago

Robert Smith steht im Juli 1969 mit seinem Vater im Hof hinterm Haus in der kleinen Ortschaft Crawley in der Grafschaft Sussex. Es ist Nacht und beide schauen nach oben. Gerade erst hatte der US-Astronaut Neil Armstrong in einer verrauschten Verbindung seinen Satz vom kleinen Schritt für ihn selbst und dem riesigen Menschheitssprung zur Erde geschickt.

Dabei weiß ohnehin jeder der 500 Millionen Menschen vor den Bildschirmen, die der Mondlandung durch Apollo 11 live im Fernsehen folgen, dass hier Geschichte geschrieben wird. Keine 30 Jahre zuvor wütete der Zweite Weltkrieg, jetzt in diesem historischen Moment bezwingt der Mensch das All.

Neben dem Stolz fühlen viele Menschen auch die Einsamkeit: 380.000 Kilometer weit ist Armstrong von der Erde entfernt im Weltraum; allein in seinem klobigen Raumanzug, als er, wenige Meter von der Mondlandefähre Eagle in einer menschenfeindlichen Umgebung seinen Fußstapfen auf den Erdtrabanten setzt. Und im Kopf des damals zehnjährigen Robert Smith formt sich das Gefühl der eigenen Einsamkeit.

Alleingelassen am Songende

Es dauert ein halbes Jahrhundert, bis es der britische Popstar auf den Punkt bringen kann. Im Jahr 2019, exakt 50 Jahre nach der Mondlandung, wandelt Robert Smith wieder durch englische Sommernächte. Er sieht erneut nach oben und wirft einen Blick zurück. In diesem Jahr ist er 60 geworden. Was wurde aus dem zehnjährigen Robert von damals? Was ist passiert mit der Welt, in der er einst groß wurde? Alles vergangen, alles verloren. „Left alone with nothing at the end of every song.“

The Cure

The Cure: „Songs of a Lost World“ (Polydor/Universal)

Die Zeile aus dem epischen „Endsong“ schließt das neue, bereits seit Langem immer wieder angekündigte und verworfene Album namens „Songs of a Lost World“ von Robert Smiths Band The Cure. Nun ist es seit wenigen Tagen tatsächlich veröffentlicht. Mit Blick auf die USA wirkt die darin vorgetragene Weltuntergangsstimmung plausibel.

Textlich spannt Robert Smith einen Bogen zum Auftaktsong „Alone“: „This is the end of every song we sing“, verkündet er über langsam schwebenden, von Klaviermotiven durchzogen Synth­wolken. Ein Lamento, zitiert aus Ernest Dowsons Gedicht „Dregs“ und bezogen auf die ernüchternde Einsicht: Am Ende bleiben wir unweigerlich allein mit uns selbst.

Vanitas-Momente und bombastische Klangkaskaden

Die Klammer dieser beiden Lieder umschließt sechs weitere. Gemeinsam bilden sie das Werk „Songs of a Lost World“. Es handelt sich dabei schließlich um das erste neue Cure-Album seit 2008, eine samtige Sammlung melodramatischer Vanitas-Motive, bombastischer Klang-Kaskaden und monumentaler Rhythmen. Aber zurück zur Mondlandung.

Die sei gewissermaßen der Höhepunkt der goldenen Nachkriegsjahre gewesen, erklärte Smith in einem Interview. Eine von Krisen unbehelligte Wohlstandsmehrung. Seither gehe es schrittweise wieder bergab. Was interessant ist, schließlich trat Robert Smith in den vergangenen 45 Jahren nicht als gesellschaftskritischer oder gar ökologischer Mahner in Erscheinung.

Nein, er singt seit „Boys Don’t Cry“ ganz überwiegend über sich selbst. Und daher ist der Albumtitel „Songs of a Lost World“ natürlich ein doppeldeutiger: Verloren ist die jugendliche Welt des kleinen Robert und verlustig gegangen die Unbeschwertheit eines Jahr für Jahr komfortableren westlichen Lebens.

Immer weiter bergab

Während es mit der Welt tatsächlich immer weiter bergab geht, läuft es für Smith und The Cure prächtig. Wie viele Bands können ihr Publikum schon 16 Jahre auf ein neues Werk warten lassen und trotzdem regelmäßig ausverkaufte Konzerte spielen? Die nachsichtige Hörerschaft wird ihrem Helden die Selbstbezogenheit nicht nur verzeihen, sie erwartet gar nichts anderes.

Der Erfolg von The Cure fußt zum Großteil auf dem emotionalen Stellvertreterangebot ihres Sängers. Seine Schwermut ist ihre. Das ist schon so, seit die Band Anfang der 1980er mit Alben wie „17 Seconds“ und „Faith“ einen Stil entwarf, der sich musikalisch und textlich an den schwermütigen Schattenrändern von Pop und Postpunk herumdrückte.

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5 Songs live von „Songs of a Lost World“

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Die Binnensicht ist inzwischen gelernt. Wie sonst kann man im dritten Jahr des wesentlich mit Drohnen geführten Ukrainekriegs einen Song „Drone:NoDrone“ nennen und erklären, dass er von dieser nervigen Kameradrohne handle, die über seinem englischen Garten surrte und Robert Smith „wirklich wütend“ gemacht hat? Nein, auch auf dem 14. Cure-Album werden keine weltpolitischen Bretter gebohrt. Es geht um höchst Privates.

Düstere Seiten des Lebens

Schon 2019 verlautbarte Smith, Songtexte und Musik des anstehenden Albums seien geformt von den düsteren Seiten des Lebens. Innerhalb relativ kurzer Zeit hatte er Vater, Mutter und Bruder verloren. Inzwischen sind auch die verbleibenden Onkel und Tanten gestorben. Smiths Verlustschmerzen, auf „Disintegration“ 1989 noch etwas überzogen aus dem Ende seiner 20er gezogen, sind diesmal weit plausibler.

Bereits das Cover sieht düster aus. Es zeigt eine 1975 entstandene Skulptur des slowenischen Bildhauers Janez Pirnat: ein halbes Gesicht – grobporig, konturarm, maskenhaft –, das aus einem nahezu unbehauen wirkenden Stück Fels ragt. Wächst hier der Mensch aus dem Stein, oder ist es doch umgekehrt? Das harte Licht und der schwarze Hintergrund der Coverinszenierung versetzen das Stück in den Weltraum.

Ein Stück extraterrestrische Einsamkeit bei der Menschwerdung. Während die Welt 2019 anlässlich des Jubiläums noch mal des ersten Mannes auf dem Mond gedachte, wuchs bei Robert Smith schon lange der Mond im Mann. „Songs from the Moon“ sollte das Album eine Weile heißen.

Emotionales Herzstück

Von verringerter Anziehungskraft zeugen dann auch die nahezu schwerelos schwebenden Soundscapes in den Songs. Zu denen gehört auch das emotionale Herzstück des Albums, „I Can Never Say Goodbye“. Ein Stück über Robert Smiths 13 Jahre älteren Bruders Richard, der ihn früh musikalisch beeinflusst und 2017 unerwartet stirbt.

Geschrieben um ein schlichtes Klavierthema trägt es wie auch „Alone“ mehr durch eine intensive Atmosphäre denn einen starken Song. Aber es sticht heraus durch Smiths ungeschützten, aufgekratzten Gesang und „Macbeth“-Zitate. „Something wicked this way comes.“

Ja, es ist düster dieses Album, aber es klingt nicht böse. Auch nicht beklemmend wie „Pornography“, der Höhepunkt der Cure-Diskografie in den 1980ern. „Songs from a Lost World“ hat ein Herz, ein verwundetes zwar, aber doch ein fühlendes. Was sich nirgends schöner zeigt als in „A Fragile Thing“, dem typischsten Cure-Song des Albums und zusammen mit „All I Ever Am“ der einzige mit annäherndem Hit-Potenzial.

Um Hits geht es Robert Smith nicht mehr. Er scheint sich mehr Gedanken um einen würdigen Abgang von der Bühne zu machen. 2019, 40 Jahre nach dem Debütalbum „Three Imaginary Boys“, war er fast so weit. Aber dann kamen all die Headliner-Angebote von großen Festivals, er hatte Spaß auf der Bühne und das mögliche finale Album wurde und wurde einfach nicht fertig. Jetzt peilt er 2029 an. Dann, mit 70 und dem 50. Jubiläum, sei es auch mal genug. Gut möglich, dass sein Publikum dann „I Can Never Say Goodbye“ als Zugabe fordert.

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1 Kommentar

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  • Schön, in diesen Tagen auch mal etwas Positives zu lesen.