Jubiläum der Komödie am Kurfürstendamm: „Vorhang auf!“ seit nun schon 100 Jahren
Die Komödie am Ku’damm feiert runden Geburtstag. Aber nicht im eigenen Haus, das wurde vor Jahren abgerissen. Ein Bühnenbesuch am Potsdamer Platz.
Mehr als 93.000 Menschen haben „Mord im Orientexpress“ bereits gesehen. Über hundertmal hat die Komödie am Kurfürstendamm, die im Theater am Potsdamer Platz ein vorübergehendes Domizil gefunden hat, die Inszenierung von Katharina Thalbach schon gespielt. Thalbach glänzt in der Rolle des Meisterdetektivs Hercule Poirot. Ein Kassenschlager. Gut fürs Haus, das in den letzten Jahren arg zu leiden hatte.
Dabei hat die Traditionsbühne etwas zu feiern und macht das auch mit einer Jubiläumsveranstaltung am 3. November. „100 Jahre Komödie am Kurfürstendamm – Gekommen, um zu bleiben“ heißt die Jubiläumsmatinee, bei der unter anderem die Geschwister Pfister, Ilja Richter, Gayle Tufts und natürlich auch Katharina Thalbach auftreten.
Eine der zwei Bühnen – die Komödie am Kurfürstendamm – wird 100 Jahre alt. Damals hatte der renommierte Regisseur Max Reinhardt zwei benachbarte Bühnen an der Flanier- und Einkaufsmeile Berlins übernommen: das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm. Die Komödie wurde am 1. November 1924 eröffnet. Hier erfand Reinhardt das deutsche Unterhaltungstheater (manche nennen es auch: Boulevardtheater) – das hatte es bis dahin nur in London und New York gegeben. Eine gute Idee, wie sich herausstellte.
Großstädtisches Unterhaltungstheater
Das Haus steht bis heute für großstädtisches, gehobenes Unterhaltungstheater und zieht auch heute noch Einheimische wie Touristen an. Nicht zuletzt wegen der vielen Schauspielstars, die man sonst aus Fernsehen oder Kino kennen könnte. Harald Juhnke war hier früher Dauergast, Günter Pfitzmann feierte Erfolge, ebenso Katja Riemann, Christoph Maria Herbst oder Maria Furtwängler …
„Nach der Wende waren bei uns auch Stars aus der ehemaligen DDR wie Heinz Rennhack, Winfried Glatzeder und Walter Plathe zu sehen“, erzählt Stephan Emmerich, der im Haus als Inspizient arbeitet und als solcher den gesamten künstlerischen und technischen Ablauf einer Bühnenaufführung koordiniert und somit ein Bindeglied zwischen Kunst und Technik ist. „Hier sitze ich bei Vorstellungen“, sagt Emmerich, und zeigt auf einen kleinen Tisch mit Monitoren, Headsets und Mikrofon neben der Bühne. „Meine Schaltzentrale, von hier aus kann ich alle Gewerke erreichen und Anweisungen geben, wie: Vorhang runter!“
Stephan Emmerich ist dem Haus seit 42 Jahren verbunden. Als Studentenjob hat er dort Weihnachten 1982 angefangen, erzählt der 64-Jährige der taz. Er studierte Pädagogik – nicht „sehr erfolgreich“ –, brauchte Geld, hatte keine reichen Eltern. Lieber in der Kneipe arbeiten – oder doch eher als Kulissenschieber im Theater? Es ging mit einem Stück mit Günter Pfitzmann los. Der Bühnenbildner hatte sich eine Bücherwand ausgedacht, die mittels eines Motor hoch- und runtergeklappt werden konnte, damit eine zweite Spielebene eröffnet wurde – doch zwei Tage vor der Premiere ging der Elektromotor kaputt. „Da mussten wir improvisieren. Also kamen zwei Bühnenmitarbeiter in Kostümen auf die Bühne, die die Bücherwand immer händisch runterklappen mussten und wieder hoch.“
Das war sein erster Job als Student, mehr ein Zufall, vermittelt von einem Freund, der in einem besetzten Haus in Moabit wohnte. Stephan Emmerich ist gebürtiger Westberliner, „aufgewachsen in Friedenau, allerdings, wie mein Bruder immer sagt, auf der Sozialhilfeseite“.
Westberliner Zeiten
Er hat „Blut geleckt und Interesse geweckt“ und blieb am Theater. Beim Licht gab es damals eine Personallücke … Und so ist er nach und nach durch fast alle Gewerke gewandert. „Vom Licht und Ton und Bühne bis hin zum Ankleider, hab ich fast alles durch hier am Haus. Ich hab auch schon mal ein bisschen mitgespielt.“ Ab Mitte der 1980er Jahre arbeitete Emmerich als fest angestellter Bühnentechniker. „Das Studium wurde immer langweiliger, das Theater immer spannender.“
Stephan Emmerich, Inspizient im Haus
Wie war das damals so, in Westberliner Zeiten? „Die beiden Häuser am Ku’damm – ach, das war einfach eine wunderbare Arbeitsatmosphäre“, blickt Stephan Emmerich in die Vergangenheit zurück. Und sagt, na ja, das war „schon ein ganz typisches Westberliner Milieu“ und das hätte bis 1990 gut funktioniert. „Wir waren praktisch jeden Tag ausverkauft.“
Der Bruch kam nach der Wende, wie in vielen Wirtschaftsbereichen Westberlins: Das geschlossene Westberlin wurde aufgebrochen, auch in der Theaterlandschaft. „Aus einer halben Stadt wurde eine ganze mit doppelt so viel Theatern. Und die Leute rannten woanders hin.“ Erstmals gab es leere Sitze. „Das kannten wir nicht. Das war eine schwierige Zeit.“ Aber das Haus habe schnell DDR-Größen engagiert – mit Erfolg – und damit auch Publikum aus Ostberlin angezogen.
Es gab Aufs und Abs. Aber als weitaus größten Einschnitt in der Hausgeschichte habe er die Zeit erlebt, in denen „uns die Grundstücke weggekauft wurden“, wie er das eher vorsichtig formuliert. Das Privattheater musste 2018 schließen und sich vom Kurfürstendamm verabschieden. Das ging nicht ohne Protest, auch seitens des treuen Publikums und Teilen der Politik. „Viele Prominente legten für uns ein gutes Wort ein. Doch die Stimmung war bitter“, erinnert sich Emmerich, „aber auch kämpferisch. Notfalls machen wir auf Hausbesetzer, sagten wir uns, dann sollen sie uns raustragen.“
Ein „beschämender Abriss“
Doch dazu kam es nicht. Und es nützte ja doch alles nichts. Die Mietverträge wurden gekündigt, die beiden historischen Theater abgerissen. Den „beschämenden Abriss“, hat Katharina Thalbach gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) als „ein sehr unschönes Kapitel in der Berliner Geschichte“ bezeichnet. Dazu gehört, dass die beiden Theater nie unter Denkmalschutz gestellt wurden, was einen Abriss hätte verhindern können.
Seit September 2018 spielte das Theater und die Komödie unter dem Namen Komödie am Kurfürstendamm im unweit entfernten Schiller Theater. Weil dort aber die Komische Oper einziehen musste (deren Haus saniert wird), folgte Anfang 2023 ein weiterer Umzug ins Theater am Potsdamer Platz, dem leer stehenden Musical-Haus. Es sollte eigentlich der Letzte sein, bevor man das neu gebaute Haus im Ku’damm-Karree beziehen würde – im Kellergeschoss des Hofs am Kurfürstendamm ist das neue Theater (dann nur noch eins) mit 670 Plätzen geplant. „Ein bitterer Kompromiss“, nennt das Stephan Emmerich. Der Bau des neuen Hauses ist vertraglich fixiert.
Doch die Bauarbeiten ziehen und ziehen sich. Das Filetstück am Ku’damm hat etliche Besitzerwechsel erlebt. „Und jedes mal muss man den neuen Eigentümern erklären, was in den Verträgen steht.“ Immerhin: Derzeit steht der Rohbau. Und es wird noch dauern, glaubt Emmerich, der seit 1992 auch Betriebsratsvorsitzender ist. Irgendwann wird es wohl fertig sein. 2026 ist versprochen, oder?
Stephan Emmerich zieht scharf die Luft ein. „Ich hab irgendwann aufgehört, an die Versprechungen zu glauben“, sagt er lachend. „Aber möglicherweise wird es tatsächlich 2026 werden. Hier im Haus laufen schon Wetten, ob ich das aktiv erleben werde.“ Warum das denn? „Weil ich Ende 2026 in Rente gehe.“ Natürlich hat die Firma in den Zeiten des Aus- und Umzugs gelitten, räumt Emmerich ein, der das durch seinen Job als Inspizient und Betriebsratsvorsitzender gut beurteilen kann.
„Das tut vielen Leuten weh, auch heute noch“
„Als Familienunternehmen am Ku’damm hatten wir alles an einem Ort, die beiden Bühnen links und rechts, die Verwaltung in der Mitte, die Werkstätten. Alles an einem Standort.“ Das hatte seine Vorteile: kurze Wege, jeder kannte jeden. „Das ist jetzt zerrissen. Und das tut vielen Leuten weh, auch heute noch, die dieses Familiending liebten.“ Als Beispiel nennt er die Werkstatthalle, die sich nun in Spandau befindet, das bedeutet lange Wege für die Bühnenbauer und Elektriker. „Und man sieht sich so selten. Das ist anstrengend und macht auch traurig. Und verbraucht mehr Ressourcen als früher.“
Und mal ehrlich: „Das Theater am Potsdamer Platz ist eigentlich zu groß für uns“, es wurde halt gebaut, um riesige Musicals zu spielen. Aber „Mord im Orientexpress“ mit seinem ausladenden Bühnenbild passt hier schon gut her. 1.559 Menschen auf einmal können zuschauen. Wie gesagt: ein Kassenschlager.
Seit den 1950er Jahren wird die Berliner Theaterinstitution durchgehend von Familie Woelffer betrieben – mittlerweile in der dritten Generation von Martin Woelffer. Auch für ihn ist die Inszenierung von „Mord im Orientexpress“ ein Glücksfall: „Das ist die teuerste Produktion, die mein Team und ich jemals gestemmt haben und sie hatte wahrlich einen schwierigen Start, denn wir mussten die Premiere wegen des ersten Coronalockdowns absagen“, sagte er der dpa.
„Als wir dann mit 16-monatiger Verspätung endlich damit herausgekommen sind, durften wir nur die Hälfte der Plätze besetzen. Doch das war alles nicht schlimm, denn die Zuschauer:innen waren unglaublich dankbar, dass sie wieder ins Theater gehen konnten, und haben jede Minute des Spektakels genossen. Wir sind mit der Inszenierung wirklich ein Wagnis eingegangen, aber es hat sich gelohnt“, so Woelffer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!