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Bezahlkarte für Geflüchtete in BerlinSchwarz-rote Kartenspiele

Die Diskussionen über die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete reißen nicht ab. Der Druck auf Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) wächst.

Hamburg hat die Bezahlkarte als erstes Bundesland Mitte Februar eingeführt – auch dagegen laufen nach wie vor Proteste Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Berlin taz | Der Streit zwischen SPD und CDU über die Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber schwelt weiter. Offiziell mag das Stefan Strauß, der Sprecher von SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe, zwar nicht bestätigen. „Zurzeit finden intensive und konstruktive Gespräche statt zwischen unserem Haus und der Senatskanzlei“, ist von ihm lediglich zu hören.

Doch aus einer noch unveröffentlichten Antwort seiner Senatsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp geht hervor, dass diese angeblich so konstruktiven Gespräche keine Kaffeeplaudereien sind und die Ausgestaltung der Bezahlkarte im Senat höchst umstritten bleibt.

Bekanntlich hatte sich Kiziltepe dafür ausgesprochen, dass Asylbewerber mit der Karte mehr als 50 Euro Bargeld abheben können. Die CDU und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hingegen beharren mit Verweis auf die Praxis in anderen Bundesländern auf einer 50-Euro-Obergrenze.

Die B.Z. hatte vor wenigen Tagen getönt, „Berlins Blockade-Senatorin“ Kiziltepe müsse die Bezahlkarte mit dem 50-Euro-Bargeld-Limit nun „schnellstmöglich“ einführen; zu groß sei der Druck auch aus den eigenen SPD-Reihen, namentlich von Fraktionschef Raed Saleh und den Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini. „Davon ist mir nichts bekannt“, sagt der SPD-Abgeordnete Martin Matz zur taz. „Meine Fraktion und ich persönlich stehen hinter Frau Kiziltepe.“

Forderungen nach Personalaufstockung

Zur Wahrheit gehört zudem, dass die Einführung der Bezahlkarte ein umfangreiches Verwaltungshandeln erfordert. So soll die Sozialverwaltung dafür nach Informationen der taz mehr personelle und finanzielle Mittel gefordert haben. Denn für das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, das personell ohnehin unterbesetzt ist, bedeutet die Karte einen höheren Personalaufwand und dann auch mehr Sachkosten.

Darüber hinaus stehen noch mehrere juristische Prüfungen an. Auch das geht aus der Antwort der Sozialverwaltung auf die Anfrage der Linken-Abgeordneten Eralp hervor. „Eine Datenschutzfolgenabschätzung wird durchgeführt und die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit eingebunden“, heißt es dort. Dieser fachliche Austausch habe bisher noch nicht stattgefunden.

Gravierender ist jedoch, dass die beim Senat angesiedelte, gleichwohl unabhängige Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz sich einer Beanstandung der Bezahlkarte durch den Berliner Flüchtlingsrat anschließt.

Demnach könnte eine Bargeldobergrenze von 50 Euro für alle Geflüchtete diese gegenüber anderen Hilfeempfängern benachteiligen und damit diskriminieren. Ein „hinreichend sachlicher Grund“ für diese Bargeldgrenze ist aus Sicht der Ombudsstelle nicht erkennbar. Die rechtliche Prüfung der Beanstandung sei aber auch noch nicht abgeschlossen, heißt es weiter.

Kritik vom Flüchtlingsrat

Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat mahnt, „die verfassungsrechtlich verbriefte Menschenwürde und ihr daran gebundenes Existenzminimum“ dürften „nicht für politische Zwecke verhandelt werden“. Richtersprüche aus anderen Bundesländern hätten gezeigt, dass die Bargeldobergrenze von 50 Euro in Einzelfällen unzulässig sei, sagt sie.

Die Sozialverwaltung von Senatorin Kiziltepe mochte sich am Donnerstag im Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses zur Kritik der Ombudsstelle nicht äußern. Von der Grünen-Fraktion nach einer Reaktion gefragt, hieß es von Kiziltepes Staatssekretär Max Landero (SPD), ihm liege das angesprochene Dokument nicht vor.

Auch Landero verwies auf laufende Gespräche zur Bezahlkarte – wobei er diese nicht bloß als konstruktiv, sondern auch als kritisch bezeichnete. „Wir haben derzeit keinen Verhandlungsstand, den es zu berichten gibt“, erwiderte Landero Richtung der Grünen: „Das heißt, Sie müssen sich noch ein bisschen gedulden.“ Senatorin Kiziltepe selbst nahm nach Ausschussangaben aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Sitzung teil.

Der SPD-Abgeordnete Martin Matz lehnt die Bezahlkarte auch vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als Sozialstadtrat von Spandau zwischen 2006 und 2011 ab. Damals hatte der Bezirk Flüchtlingen ihre Sozialleistungen als Gutscheine gewährt. „Das war aufwendig für die Verwaltung. Für die Flüchtlinge ließ sich das ganz einfach umgehen: Wer hinter ihnen an der Kasse stand, konnte mit dem Gutschein bezahlen und dem Flüchtling dann den Barbetrag auszahlen.“

Matz hätte das damals abgeschafft. „Ich verstehe gar nicht, warum Kai Wegner die Bezahlkarte so vorantreibt. Er kommt ja aus Spandau und hat das Dilemma damals miterlebt.“ Klar ist: Der Konflikt wird sich nicht klären, bevor Senatschef Wegner am Wochenende von seiner USA-Reise zurückkehrt.

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