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Jahrestag der Befreiung von AachenSpätes Gedenken an frühe Kapitulation

Vor 80 Jahren wurde Aachen als erste deutsche Stadt von den Alliierten eingenommen. Erstmals gab es dieses Jahr eine offizielle Gedenkfeier.

Aachen im Oktober 1944: Eine Kolonne deutscher Kriegsgefangener zieht, bewacht durch US-Soldaten, durch die Stadt

Aachen taz | Seit Jahrzehnten ist das Procedere im Frühherbst das gleiche: In den westlichen Nachbargemeinden Aachens, ob in Belgien oder den Niederlanden, folgt eine Gedenkfeier der anderen – je nachdem wann welcher Ort 1944 durch das Vorrücken der alliierten Truppen von den Nazideutschen befreit wurde. In Aachen selbst aber tat sich nie etwas – bis zu diesem Jahr.

Dabei hat Aachen ein historisches Alleinstellungsmerkmal: Die westlichste Stadt Deutschlands war die erste, die die Nazis nach verbissenem Widerstand der Wehrmacht räumen mussten. Am 21. 10. 1944, also über sechs Monate vor Ende des Krieges, nach Wochen von Bombenhagel, Belagerung, erbittertem Häuserkampf und tausenden Opfern, hatten sich die letzten Wehrmachtstrupps unter Oberst Gerhard Wilck den US-Truppen ergeben. Die Legende sagt, dass sie um 12,05 Uhr mit einer weißen Babywindel an einem Stock aus ihrem Bunkerversteck gekrochen kamen.

Die Befreiung sei „eines der bedeutendsten Ereignisse unserer Geschichte“ gewesen, sagte am vergangenen Wochenende Sibylle Keupen, die parteilose und Grünen-nahe Oberbürgermeisterin bei einem Festakt zum 80. Jahrestag. Keupen hatte in den Krönungssaal des Rathauses geladen, ausdrücklich offen für alle BürgerInnen der Stadt. Auch VertreterInnen von nebenan waren gekommen, aus Belgien und den Niederlanden, um gemeinsam das Ende des Naziterrors vor 80 Jahren zu feiern. Es war brechend voll.

Ein solches Gedenken ist neu. Vorher galt: Erinnern? Volle Deckung!

1984, Nachfrage bei StadträtInnen: Was ist geplant am 21. 10.? Antwort unisono: Äh, was, nein, welches Jubiläum? 1994, Frage an den damaligen CDU-Fraktionschef: Was macht die Stadt zum 50. Jahrestag? Antwort: Was war denn am 21. Oktober? Gleichzeitig die FDP: Wir sehen kein Muss, da etwas aufzuarbeiten. Auch 2004, jetzt unter SPD-Stadtregie: nichts. Jahr um Jahr ignorierte Aachen seine Einmaligkeit. Zu sehr war offenbar immer noch schmähliche Kapitulation statt Befreiung im Hinterkopf, vielleicht auch Scham.

Konsumtempel statt Gedenken

Auch 2014 musste noch die Zivilgesellschaft ran. Die rührige Bürgerstiftung hatte eine große Gedenkfeier organisiert und die Kirchen der Stadt anstiften können, genau um 12.05 Uhr alle Glocken zu läuten. Gern hätte man alle Ampeln für fünf Minuten auf Rot stellen lassen, CDU-Oberbürgermeister Marcel Philipp lehnte indes ab.

Die Stadt hatte immerhin den Saal im ehrwürdigen alten Kurhaus gestellt, aber wer sich zierte zu kommen, war der OB. Er erklärte, er müsse just an diesem Tag ein Einkaufszentrum einweihen, und bat die Veranstaltung doch nach hinten zu verschieben. Konsumtempel statt Gedenken an die Befreiung? Marcel Philipp war schließlich zum Glockenläuten doch im Saal.

2024 dann also die erste offizielle Gedenkfeier. Als Festredner 2024 trat Joschka Fischer auf, grüner Ex-Außenminister und Ex-Marathonläufer, mittlerweile 76 Jahr alt. Fast eine Stunde sprach er, meist vom Blatt gelesen. Mit Aachen, wo „die Finsternis der Herrenmenschen“ zuerst endete, hielt er sich nicht lange auf.

Dabei gäbe es einiges zu erzählen. Aachen wurde 1944 bald zu einem Demokratielabor: So nannten die Befreier die Stadt, von der sie nicht wussten, was sie da für Menschen unter den verbliebenen 6.000 antreffen würden: alles stramme Nazis, verführte Hitler-Deutsche, Verängstigte, angeblich katholisch Unberührbare?

Fischer mahnt

Nach dem 21. 10. 1944 erlebte Aachen schnell weitere Premieren: Schon am 31. 10. wurde mit Franz Oppenhoff der erste Nachkriegs-OB von den Alliierten ernannt – der indes von einem Werwolf-Kommando der Nazis am 25. März 1945 ermordet wurde. Erste deutsche Nachkriegszeitung: Die Aachener Nachrichten, Januar 1945. Im März 1945 wurde in Aachen der Freie Gewerkschaftsbund gegründet.

Fischers Rede indes enthielt ein Feuerwerk an Mahnungen zur aktuellen Weltlage, zum Ukrainekrieg, gepaart mit Ekel um neuen Antisemitismus und Rassismus: „Ich kann diese Entwicklung, ehrlich gesagt, nicht fassen!“ Dazu Warnungen, wie schnell nationalistische Alleingänge das gemeinsame Europa „pulverisieren können“.

Überraschend der fulminante Dank an Konrad Adenauer, laut Fischer „die überragende Gründungsfigur“ der deutschen Nachkriegs-Demokratie („Nicht wahr, das hätten Sie von mir nicht erwartet …“), der alles richtig machte mit Westbindung, Aussöhnung mit Frankreich, erste Weichenstellungen zur heutigen EU. „Er war ein Konservativer bis hin zuweilen zum Reaktionären, aber er war eines nicht: Er war kein Nationalist.“

Gleich nach Fischers Ode an die Wachsamkeit wurde die Europahymne angekündigt. Erst nach einigen Takten erhoben sich die Gäste. Bei der Nationalhymne hätte es womöglich einen anderen Reflex gegeben. „Die europäische Berufung der Deutschen“ (Fischer) scheint in Herz und Hirn selbst eines sehr wohlmeinenden Publikums immer noch nicht recht angekommen zu sein.

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20 Kommentare

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  • Die GRÜNEN wieder mal!! Die sind an allem Schuld, nun auch noch an dem Durchbrechen der Nicht-Erinnerungskultur (zumindest) in Aachen. Die ach so besorgten Parteien CDU und SPD vergessen ja gerne mal was und die freiheitliche !? FDP will kein "Muss" - auch nicht an die Erinnerung an den (fast) besiegten Naziterror. Über diese Entscheidung hätte sich Erich Mende aber sehr gefreut....

  • Die erste deutsche Stadt, die von den alliierte Truppen besetzt wurde, war am 17.Oktober 1944, also vier Tage vorher, das ostpreußische Schirwindt, (russisch Kutusowo, heute Wüstung), de.wikipedia.org/wiki/Kutusowo. Die Befreier waren keine westalliierten, sondern sowjetische Truppen. Will man das nach der "Zeitenwende" nicht mehr korrekt darstellen?

    • Bernd Müllender , Autor des Artikels,
      @Martin August:

      Mal langsam. Ob Westalliierte oder Rote Armee - wir sprechen über die erste deutsche Stadt, nicht irgendeine Gemeinde mit ein paar EinwohnerInnen. Da wäre die Südeifel, ab 12./13. September 44, mit etlichen Weilern, Dörfern und Städtchen früher gewesen.



      Aachen war eine wichtige, symbolisch aufgeladene Stadt, erstens wegen der Historie (Stadt Karls des Großen) und wegen seiner Größe von damals ursprünglich 160.000 EinwohnerInnen. Deshalb auch die martialischen Kämpfe und die Durchhalteparalolen aus Berlin.

      • @Bernd Müllender:

        Schirwindt war eine Stadt. Keine Großstadt wie Aachen, aber dennoch Stadt. Auch wenn es nur um die 1.000 Einwohner waren, bleibt es dabei, dass Schirwindt die östlichste Stadt des Reiches war.

        Aachen war also nicht die erste Stadt. Aachen war die erste Großstadt.

        • @Bernd Lauert:

          Lesen Sie doch bitte, bevor Sie schreiben. Ihr Namensvetter hat das sehr passende Wort „Städtchen“ genannt und das beschreibt es einfach am besten. Mehr sind und waren 1000 Einwohner nicht. Also bitte nicht künstlich emotional reagieren sondern ehrlich betrachten.

    • @Martin August:

      Weil doe Sowjettruppen keine Befreier, sondern Besatzer waren. Im Gegensatz zu Amerikanern, Franzosen und Briten.



      Gruß von jemandem aus den baltischen Staaten stammend. Sowjetunion, sie erinnern sich ja?



      Mehr als diesen Satz werde ich zu einem Russen- oder Sowjetfreund wie Ihnen nicht sagen.

  • Bernd Müllender öffnet den Blick auf die Erinnerungskultur Aachens. Dafür gab es während meines Studiums jährlich ein Burschenschaftsfest auf dem Markt unter Schirmherrschaft des CDU-OBs Malangre.



    Ebenfalls aus dem erzkatholischen Großbürgertum kam der erste Bürgermeister Franz Oppenhoff, der zwar ein bekennender Kritiker des NS-Regimes war, aber eine elitär-autoritäre Stadtpolitik in seiner ersten Amtsphase durchsetzen wollte, wie kürzlich der Zeithistoriker Klaus Schwabe konstatierte:



    "Gegenüber den Amerikanern trat er keineswegs wie der Angehörige eines besiegten Volkes auf, sondern äußerst selbstbewusst und bestand darauf, seine Dezernenten selbst auszusuchen. Die entstammten dann auch größtenteils dem Aachener Großbürgertum, waren erzkonservativ, politisch unerfahren, bis auf eine Ausnahme alle katholisch und wollten unter sich bleiben. Sozialdemokraten oder andere Kräfte aus dem linken Spektrum waren überhaupt nicht vertreten. (...) Oppenhoff (plädierte) für ein autoritäres Regime, Gewerkschaften lehnte er entschieden ab; 'Arbeiter seien seit jeher unzuverlässig'". (Aachener Zeitung vom 9.10.2024).

    • @Tazacorte:

      Das botte, bigotte katholische Bürgertum sah sich als Opfer des preußischen Protestantismus und schurigelte selbst alle anderen.



      Aachen war und ist teils heute noch trotz Hochschule stark katholisch geprägt, das ist auch die Verbindung über die Grenze. Das muss ja nichts grundsätzlich Arges sein, aber dann, wenn man ins Ausgrenzen von "oben" geht.

  • Vergessen dabei wir die Rote Armee nicht, die im Osten die Hauptarbeit am Boden leistete - auch wenn wohl jeder froh war, wenn die Westalliierten einen befreiten. Was man wohl damals selten so empfand, was aber im Rückblick so war. Egal, was seltsame ADis einem erzählen wollen.



    Nicht nur alphabetisch, sondern auch hier war Aachen vorne. Das sollte man wohl weiterhin würdigen.

    • @Janix:

      Ja, die "tollen" Sowjets, die ihre eigenen Soldaten, welche keinen Wert für sie hatten, in den Fleischwolf schmetterten und anschließend nach der Befreiung von den Nazis, selber Besatzer wurden.



      Zu Dank verpflichtet sollte man nur Amerikanern, Franzosen und Briten sein! Nicht den Sowjets!



      Gruß von jemandem der aus den baltischen Staaten stammt.

      • @Eulennest:

        Ja, aber ohne die wäre der Krieg und das industrielle Töten (auch deutsche KLs kennen Sie aus dem Baltikum) noch länger gegangen oder womöglich müssten wir jetzt in brauner Lederhose Slawen peitschen.







        Das Wort Danke für die armen Frontleute ist angebracht, wie auch das eigenartige Gefühl, den Teufel mit dem Beelzebub Stalin ausgetrieben zu haben. Den hätten die damaligen Deutschen und die Sowjetunionskis eigentlich jeweils selbst entfernen sollen.

        PS: niemals Zitier-Anführungszeichen, wenn der andere das nie gesagt hat. Danke!

  • "CDU-Oberbürgermeister Marcel Philipp lehnte indes ab."



    Leider steckt in jedem CDU-Politiker auch ein Stück AfD. Oder soll ich sagen, "ein kleiner Nazi" ?

    • @Jelli:

      Tolle Zuschreibung. Immer einfach raushauen, weiter so!



      Die verdruckste Positionierung der CDU-Leute zur Kapitulation Aachens ist einer scharfen Kritik würdig, allerdings:



      Franz Oppenhoff wäre bei seiner Vita heute mit relativer Wahrscheinlichkeit auch CDU-Kommunalpolitiker - mal drüber nachdenken.

    • @Jelli:

      & Wenn mann als 🏃Weltpolitiker - ©️ Peter Unfried - die Teilnahme Schlands an zwei verfassungs&völkerechtswidrigen Kriegen -



      Mitzuverantworten hat - vande grii Soß!



      Sollte mann den Ball auch etwas flach halten •

      • @Lowandorder:

        Welche zwei verfassungs- und völkerrechtswidrigen Kriege meinen Sie denn? Eine Teilnahme an einem Krieg ist ja erst mal nicht völkerrechtswidrig. Ich meine, der Verteidiger nimmt zwangsläufig auch am Krieg teil, wenn er nicht sofort kapituliert.



        Nun war Deutschland weder im ersten noch im zweiten der Weltkriege der zuerst Angegriffene, hat den ersten Krieg aber auch nicht begonnen. Das war Österreich-Ungarn. Das die Erfüllung der Bündnispflicht gegen die DAMALIGE deutsche Verfassung verstoßen hat, wage ich doch sehr zu bezweifeln.



        Und zumindest nach diesem Autor war 1914 ein Angriffskrieg NICHT völkerrechtswidrig: www.google.com/url...GXpp2FhqdQGQPNAM57

        • @Mustardmaster:

          "Nun war Deutschland weder im ersten noch im zweiten der Weltkriege der zuerst Angegriffene"

          Der zweite Weltkrieg ist hier hoffentlich aus versehen reingerutscht.

          Und auch am Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte D eine gewaltige Aktie.

        • @Mustardmaster:

          Uijuijui - auf dem Schlauch & dann noch den falschen! Woll - Helfe gern



          www.bverwg.de/210605U2WD12.04.0 zum Irakkrieg - anders als vin GazPromGerd & Joseph Fischer insinuiert (um die Wahlen zu gewinnen)



          Schland war Kriegspartei!



          Na & Teilnahme BW NATO - Kosovo-Bombardierung - weil wir Fischer & Co Scharping Hufeisenplan fälschlicherweise für zutreffend hielten: Untersagung im Eilbeschluß abgelehnt.



          Weltpolitiker Fischer & sein Buddy di taz le petit cheflereporter Peter van de 🌚fahrt Unfried - liegen rechtlich schlicht falsch •

    • @Jelli:

      Klare verbale Grenzüberschreitung, die Sie da gerade betreiben, wieso auch immer.



      Aachen hatte mit Malangré lange eine klare Überdosis katholischen Klerikalismus', aber den Unterschied zu den ADis sollte man als lesender Mensch hinbekommen.



      Nehmen Sie den da sehr klaren Aachener Laschet!

      • @Janix:

        Ok, ich kenne Aachen gut. Und lassen wir mal Laschet beiseite. Sein Lachkumpel von der Ahr kassiert schon lange 90.000€ Bestechungsgeld vom bekannten Stromanbieter. Pro Jahr. Ich bleibe dabei, ein gutes Stück AfD steckt in fast jedem CDU-Mann. Und in Düsseldorf läuft eine bekannte CDU-Frau rum, die am liebsten ein Teil Polens wieder heim ins Reich holen möchte.

      • @Janix:

        Als Nordlicht - für den NRW ein klerikales Land ist - dess:



        Einen Kollegen verschlug es wg der Liebe von Kiel nach Aken!



        “Hörma - das kannste dir doch im Hohen Norden nicht vorstellen!



        Daß da in Kiel n Abwassersammler eingeweiht wird & da dann son Pfaffe seinen nassen Besen 🧹 schwingt!



        Da fielen sie doch alle quer durch die Reihen - Couleur egal - einschließlich - Harry Carstensen vom Diek!“

        kurz - rein tonn katolsch warrn



        (& btw der Mikatersohn vom Bischöflichen Pius-Gymnasium „Kemmerich“ kenn ich - der is in Ordnung!“ - soll mal sehr klar gewesen sein? Mach Bosse!



        images.app.goo.gl/gmid8o58xx1wh9Yx6

        Na Servus