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Sicherheitspaket der Ampel„Menschliches Armutszeugnis“

Noch diese Woche will die Ampel ihr Sicherheitspaket verabschieden. Von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Opposition kommt Kritik.

Gesichtserkennung: Für Julia Duchrow von Amnesty International ist das ein massiver Eingriff in die Privatsphäre Foto: Gary Waters/picture alliance

Berlin taz | „Massiver Eingriff in die Privatsphäre“, „menschliches Armutszeugnis“, „noch mehr „Racial Profiling“: Das sind Reak­tionen auf die neue Vorlage des Sicherheitspakets der Ampelkoalition. Am Donnerstag soll der ­Bundestag darüber abstimmen, sodass das Gesetzespaket am Freitag durch den Bundesrat kann.

Am vergangenen Freitag hatten sich die Ampelparteien nach Kritik von Sachverständigen aus dem Innenausschuss noch auf Änderungen geeinigt. Beim biometrischen Abgleich von Fotos mit solchen aus dem Internet, also bei der Gesichtserkennung, gab es Veränderungen. Sowohl der Polizei als auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll die Praktik erlaubt werden. Die Polizei soll sie nach der Überarbeitung nur noch bei besonders schweren Straftaten und zur Ermittlung von Tatverdächtigen anwenden dürfen.

Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, kritisiert, die Behörden dürften dadurch alle im Internet veröffentlichten Fotos, Videos oder Tonaufnahmen mit Stimm- und Gesichtserkennungstechnologie analysieren. „Dieser massive Eingriff in die Privatsphäre kann Menschen davon abhalten, ihr Recht auf Protest wahrzunehmen, da sie befürchten müssen, dass ihre Äußerungen und Aktivitäten durchleuchtet werden“, sagte sie der taz.

Die Leistungen für Asyl­be­wer­be­r:in­nen, für die nach dem Dublin-Verfahren ein anderer Staat zuständig ist, sollen gestrichen werden. Nach Dublin müssen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen, in dem sie als Erstes ankommen. Kri­ti­ke­r:in­nen der Leistungen verweisen darauf, dass die Leistungen für diese Flüchtlinge einen Anreiz böten, in Deutschland zu bleiben.

Laut Marcel Emmerich, Bundestagsabgeordneter und Obmann der Grünen im Innenausschuss, konnten die Grünen in den Verhandlungen „rechtswidrige Pushbacks durch Leistungskürzungen verhindern“. Leistungen sollen demnach erst gestrichen werden, wenn Betroffene auch wirklich ausreisen können, wenn also das Ankunftsland die Bereitschaft zur Aufnahme erklärt und ein Abschiebeflug gebucht ist. Wer dennoch nicht ausreist, soll zwei Wochen lang eine Überbrückungsleistung erhalten, die nur das Nötigste decken soll.

Für Sophia Eckert, politische Referentin für Flucht, Migration und Behinderung bei Handicap International, ist dieses Vorhaben nicht mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Sie befürchtet zudem, dass Menschen mit Behinderung wohnungslos gemacht werden könnten, wenn die Behörden keinen Härtefall feststellen, und spricht von einem „menschlichen Armutszeugnis“.

Innerhalb sogenannter ­Messerverbotszonen dürften die Behörden laut Vorlage anlasslose Kontrollen durchführen. Auch, wenn auf dem Papier die sogenannte Racial-Profiling-Praxis ausgeschlossen wird, wird befürchtet, dass es in der Praxis dennoch dazu kommen wird. Laut Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und Obfrau im Rechtsausschuss, könne mehr Sicherheit nur mehr Sicherheit für alle bedeuten. „Durch die Erweiterung anlassloser Kontrollen wird es noch mehr „Racial Profiling“ geben“, sagte sie der taz.

Für den Grünen Marcel Emmerich sind die Änderungen hingegen zufriedenstellend. „Das Sicherheitspaket wird durch Änderungs- und Entschließungsanträge ergänzt, um die Wirkung rechtsstaatlich und effektiv zu steuern, die Prävention zu stärken und rechtlichen sowie praktischen Bedenken Rechnung zu tragen“, sagte er der taz.

Als Auslöser für das Sicherheitspaket gilt das Messerattentat von Solingen Ende August, bei dem der mutmaßliche Attentäter drei Menschen tötete. Die Tat führte zu Diskussionen, da der Mann wohl ausreisepflichtig war. Kri­ti­ke­r:in­nen sehen hier das Bestreben der Ampelkoalition, bei asylkritischen Wäh­le­r:in­nen auf Stimmenfang zu gehen.

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13 Kommentare

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  • "Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, kritisiert, die Behörden dürften dadurch alle im Internet veröffentlichten Fotos, Videos oder Tonaufnahmen mit Stimm- und Gesichtserkennungstechnologie analysieren. "



    Der CCC hat gemeinsam mit anderen Organisationen das "Un-Sicherheitspaket" kritisiert:



    www.ccc.de/de/upda...er-ampel-regierung

  • Die Schwierigkeiten liegen offenbar darin, dass die eine Seite eine bessere Verhinderung von Leistungsbetrug einführen wollen, das wiederum nur durch eindeutige Identifizierung der Identität möglich ist. Die Andere Seite hat durchaus berechtigte Gründe, wenn es um das Thema "gläsener Bürger" geht.



    Gerade wenn Flüchtlinge ohne oder mit gefälschten Ausweisdokumenten in mehreren Städten Anträge stellen und unter mehreren Namen, die Leistungsbereitschaft dieses Landes ausnutzen, liegt es nahe, dies besser zu kontrollieren. Diese Kontrolle kann eben mit einer guten Zuverlässigkeit eben nur über ein biometrisches Profil in einer Datenbank erfolgen.

    Auf der anderen Seite führt diese angesetzte Strenge dazu, das der Generalverdacht auf illegalen Leistungsbezug auf alle Flüchtenden übertragen werden könnte.

    Die Aufgabe, Betrügereien zu unterbinden, ist eine Pflicht und die Entscheidung daher nicht leicht und benötigt eine Kompromissbereitschaft aller, da diese Leistungen auch nur endlich vorhanden sind. Bei der Belastung wird es politisch und trifft wie gerade, oft die Falschen, die Ärmeren durch Allgemeinverfügung und schlussendlich mit mehr Bürokratie auch den Steuerzahler zudem.

  • Statt Menschen zu integrieren, aus ihnen Arbeitskräfte zu machen, die Steuern zahlen und Renten finanzieren, wird bis zur Unkenntlichkeit an Symptomen operiert. Und dabei empfinde ich diese Regierung noch als die harmlose Variante. Was leider nichts am Ergebnis ändert.

  • Freiheit und Sicherheit gehen Hand in Hand.

    Wie Timothy Snyder in seinem aktuellen Buch "Über Freiheit" schreibt:



    "Wir Amerikaner glauben gerne, dass Freiheit eine Frage der Beseitigung von Dingen ist und dass der Kapitalismus diese Arbeit für uns erledigt. Doch es ist eine Falle, an diese oder irgendeine andere äußere Quelle der Freiheit zu glauben. Wenn wir Freiheit mit äußeren Faktoren in Verbindung bringen, und uns jemand sagt, dass die Welt da draußen jetzt eine Bedrohung darstellt, dann opfern wir die Freiheit für die Sicherheit. Das erscheint uns sinnvoll, denn in unseren Herzen waren wir bereits unfrei. Wir glauben, dass wir Freiheit gegen Sicherheit eintauschen können. Das ist ein fataler Fehler." (S. 15)

    "Er [Wolodymir Selenskyj] sagte, dass der «Verlust der Freiheit Unsicherheit» und dass «Unsicherheit der Verlust der Freiheit» sei." (S. 16)

  • „rechtswidrige Pushbacks durch Leistungskürzungen verhindern“

    Darauf muss man erst mal kommen. Leistungskürzungen gleich Pushback gleich illegal.

  • Mal abgesehen davon, dass das Messerverbot wohl wieder an der Realität vorbei geht, wird es neben wahrscheinlichem Racial profiling, sexistisches profiling geben und Altersdiskrimierung wird auch stattfinden..



    Es ist einfach recht unwahrscheinlich, dass die Oma mit Korb ein Messer mit sich rumführt.

    Mal gespannt wie sich die Leistungskürzung bemerkbar machen. Ich denke ja es ist total daneben, möglicherweise steigt dadurch etwas die Kriminalität, was mehr Vorurteile erzeugt und das obwohl das Geld aus den Leistungen eigentlich direkt wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließt.



    Naja, aber die Politiker mit tausenden von Mitarbeitern haben da sicherlich ein wesentlich besseren Blick als ich.

    • @Hitchhiker:

      "Es ist einfach recht unwahrscheinlich, dass die Oma mit Korb ein Messer mit sich rumführt."

      Nee. Ist es nicht. Ich kenne einige "Omas", die ein kleines Taschenmesser in ihren Handtaschen rumtragen. Seit Jahrzehnten.

      Dass das jetzt verboten ist, wenn die damit in der Bahn oder am Bahnhof sind, oder ihren Rollator durch manche Bereiche einer Stadt schieben, das werden die auf ihre alten Tage schon noch lernen müssen.

      Jedenfalls wird die Beschlagnahme dieser Messer die Sicherheit in Deutschland bestimmt massiv erhöhen.

      • @EIN MANN:

        Die Oma war wohl nicht das best gewählte Beispiel... Aufgrund der Altersdiskrimierung werden die meisten wohl Glück haben, falls nicht dann läuft ja alles richtig.



        Ich seh schon ein aufgebrachten Rollatormob vor den Polizeidienststellen ;)

      • @EIN MANN:

        Es ist ja nicht nur die Oma, es sind auch Handwerker mit einem stinknormalen Teppichmesser oder der ÖPNV nutzende Arbeiter, der in seiner Mampfbox ein Messer zum Schälen oder Schneiden diverser Nahrungsmittel dabei hat. Dabei spielt auch nicht mal die Klingenlänge oder -form eine Rolle.



        Naja, wenigstens kann man noch ein Beil mitnehmen, damit man die Tomate dann kleinbekommt. 😁

  • Orientiert sich eine Regierung in einer Demokratie, am Wählerwillen, gilt das als "Stimmenfang".

    Ja, wir haben ein Demokratieproblem.

    Nicht nur bei den AfDlern.

    • @rero:

      Der Unterschied liegt darin, ob die Regierung blind Stimmungen folgt (die auch täglich wechseln können) oder ob sie das Richtige in die Wege zu leiten versucht und dafür Stimmung schafft. Dafür wurde sie nämlich - demokratisch - gewählt.



      Meinungsumfragen und/oder den lautesten Schreiern hinterherlaufen ist _nicht_ demokratisch.



      "Ja, wir haben ein Demokratieproblem."



      Das scheint mir allerdings auch so.

    • @rero:

      Gibt es einen Kandidaten fuer das Amt des Parteichefs, nennt man es Wahl. Gibts einen Konkurrenten ist es eine Kampfkandidatur!

  • Die Messerattacke von Solingen soll was ändern. Das Attentat von Hanau, nichts! Da treibt wohl eher die AfD die Ampel vor sich her, als dass es sinnvoll ist!