Friedensnobelpreis für Nihon Hidankyo: Japanische Atomwaffengegner geehrt

Die japanische Organisation Nihon Hidankyo fordert seit Jahrzehnten eine Welt ohne Atombomben. Deren Einsatz müsse tabu bleiben, fordert das Friedensnobelpreis-Komitee.

Trümmerlandschaft, eine ausgebrannte Strassenbahn

Hiroshima nach dem Atombombenabwurf, 12. August 1945 Foto: Yotsugi Kawahara/ap

Oslo dpa/afp/rtr/ap/taz | Der Friedensnobelpreis 2024 geht an die japanische Graswurzelorganisation Nihon Hidankyo, die sich gegen die Verwendung von Atomwaffen einsetzt. Das hat das norwegische Nobelkomitee am Freitag in Oslo bekanntgegeben. Die auch als Hibakusha bekannte Organisation wird damit für ihre Bemühungen um eine Welt frei von Atomwaffen geehrt.

Alle Versuche, das Tabu des Einsatzes nuklearer Waffen abzuschwächen, seien gefährlich für die Menschheit, sagte der neue Vorsitzende des Komitees, Jørgen Watne Frydnes. Die Auszeichnung ziele daher auch darauf, dieses Tabu hochzuhalten. Es sei „alarmierend“, dass das Tabu gegen einen neuerlichen Atomwaffeneinsatz derzeit „unter Druck geraten“ sei.

„Die Hibakusha helfen uns, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Undenkbare zu denken und den unvorstellbaren Schmerz und das Leid, das durch Atomwaffen verursacht wird, irgendwie zu erfassen“, erklärte das norwegische Friedensnobelpreis-Komitee weiter.

Das Komitee hat das Thema Atomwaffen bereits regelmäßig in den Fokus gerückt, zuletzt mit seiner Auszeichnung für die ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, die den Preis im Jahr 2017 gewann.

Die Organisation Nihon Hidankyo war 1956 gegründet worden, ursprünglich um die Interessen der Betroffenen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 zu vertreten. Sie setzt sich gegen die nukleare Aufrüstung in der Welt ein.

Sie setzten sich trotz körperlicher Leiden und schmerzlicher Erinnerungen dafür ein, Hoffnung und den Einsatz für Frieden zu fördern, sagte Frydnes. Mit ihren Augenzeugenberichten verbreiteten die Überlebenden die Botschaft, „dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen“, hieß es zur Begründung der Preisverleihung.

Im August 1945 hatten die USA zwei Atombomben auf die japanische Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Sie wollten damit Japan zur Aufgabe zwingen, um so den Zweiten Weltkrieg endgültig zu beenden. Durch die Sprengkraft der Bombe und die lang anhaltende nukleare Strahlung starben unmittelbar danach und in den ersten Monaten nach dem Angriff etwa 140.000 Menschen, in den folgenden Jahren tötete die radioaktive Strahlung weitere 60.000 Menschen. Durch den Abwurf der zweiten US-Atombombe auf Nagasaki starben mehr als 70.000 weitere Menschen.

Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 setzt sich die Organisation auch gegen die zivile Nutzung der Atomkraft ein.

Der Hidankyo-Vorsitzende Tomoyuki Mimaki war im Rathaus von Hiroshima, als er von dem Preis erfuhr. „Ist es wirklich wahr? Unglaublich“, rief Mimaki. Er hatte Tränen in den Augen.

Man habe die Organisation vor der Bekanntgabe der Preisverleihung nicht erreichen können, hatte der Komitee-Vorsitzende Frydnes zuvor gesagt.

Im vergangenen Jahr war die prestigeträchtige Auszeichnung der inhaftierten Iranerin Narges Mohammadi verliehen worden. Sie wurde damit „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“ geehrt.

Eher kurze Liste der Nominierten

Nominiert waren diesmal insgesamt 286 Kandidatinnen und Kandidaten, unter ihnen 197 Persönlichkeiten und 89 Organisationen. Verglichen mit den Vorjahren war das Kandidatenfeld damit deutlich geschrumpft. Wer unter den Nominierten ist, wird von den Nobel-Institutionen traditionell 50 Jahre lang geheim gehalten.

In Zeiten von Nahostkonflikt, Ukrainekrieg und dutzenden weiteren Konflikten in der Welt hatte sich diesmal vorab kein klarer Favorit herauskristallisiert. Bei einem Wettbüro hatten zuletzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der chinesisch-uigurische Regierungskritiker Ilham Tohti und die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ganz vorn gelegen.

Dahinter folgten die Staaten Irland, Norwegen und Spanien für ihre koordinierte Anerkennung eines Staates Palästina. Diesen Schritt unternahmen die Länder jedoch erst im Frühsommer, während die Nominierungsfrist für den Nobelpreis bereits am 31. Januar abgelaufen war.

Als mögliche Anwärter waren im Vorfeld auch mehrere Organisationen gehandelt worden, die im Nahen Osten engagiert sind, etwa das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA, die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq und die israelische Menschenrechtsgruppe B'Tselem. Auch UN-Generalsekretär António Guterres sowie der Internationale Gerichtshof in Den Haag wurden zu den Favoriten gezählt.

Internationale Organisationen unter Favoriten

Der Direktor des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio, Henrik Urdal, hatte vor allem internationale Institutionen auf seiner Favoritenliste stehen, etwa das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri konnte sich der dortige Direktor Dan Smith vorstellen, dass das Komitee mit Blick auf die momentan sehr angespannte Weltlage auf die Vergabe des diesjährigen Preises verzichten könnte. Das gab es in der Geschichte des Friedensnobelpreises bereits 19 Mal, zuletzt allerdings vor mehr als 50 Jahren.

30 Jahre nach Nobelpreis für führende Palästinenser und Israelis

Seit der ersten Preisvergabe 1901 waren zuvor 111 Einzelpersonen und 27 unterschiedliche Organisationen mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden, das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dabei gleich zweimal und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sogar dreimal.

Im Regelfall bekommt den Friedenspreis eine Persönlichkeit oder eine Organisation alleine zugesprochen, manchmal teilen ihn sich aber auch zwei Preisträger. Erst dreimal wurde die Auszeichnung unter drei Auserwählten aufgeteilt, unter anderem bei der Auszeichnung des damaligen Palästinenserführers Jassir Arafat und der damaligen israelischen Spitzenpolitiker Schimon Peres und Izchak Rabin vor 30 Jahren für ihre Bemühungen um eine Lösung des – derzeit wieder eskalierten – Nahostkonflikts.

In dieser Woche sind bereits die diesjährigen Nobelpreisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie und Literatur verkündet worden. Am Montag folgt zum Abschluss noch die Auszeichnung in Wirtschaftswissenschaften. All diese Nobelpreise werden traditionell in Stockholm vergeben, der Friedensnobelpreis als einziger in Oslo.

Feierlich überreicht werden die Auszeichnungen am 10. Dezember, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833–1896). Dotiert sind sie mit einem Preisgeld in Höhe von elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie.

Anm. der Redaktion: Der Text wurde im Laufe des Tages mehrfach aktualisiert und ausgebaut.

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