piwik no script img

Juristin über Gleichstellung„Gezielte Angriffe von rechts“

Die Gleichstellung hierzulande ist laut der Juristin Ulrike Lembke in einer Krise. Die derzeitige Situation sieht sie als permanenten Verfassungsbruch.

Gegen Gleichstellung: Rechtsextremisten demonstrieren im September 2024 gegen den Christopher Street Day im sächsischen Döbeln Foto: dpa | Heiko Rebsch
Interview von Frida Schubert

taz: Frau Lembke, wie steht es um die Gleichstellung in Deutschland?

Ulrike Lembke: Das ist immer auch eine Frage der Perspektive. Einerseits geht es Frauen in vielen Ländern der Welt deutlich schlechter, andererseits ist die Situation für Gleichstellung in Deutschland als einer reichen europäischen Nation ziemlich schlecht. Im Grunde genommen ist die Gleichstellung hier in einer Krise, aber das ist sie auch schon sehr lange.

taz: Kann Gleichstellung überhaupt durch das Grundgesetz erreicht werden?

Lembke: Es ist immer ein Wechselspiel zwischen Recht und Gesellschaft. Die Gleichberechtigung wurde nicht einfach so ins Grundgesetz geschrieben: Das musste hart erkämpft werden. Mit der Verankerung im Grundgesetz ist die Sache aber keineswegs erledigt. Es braucht weiterhin zivilgesellschaftliches Engagement, wofür Rechtsnormen ein wichtiger Bezugspunkt sein können. Die herrschende Gruppe gibt nie gerne von ihrer Macht ab.

Im Interview: Ulrike Lembke

ist Freie Rechtswissenschaftlerin, Expertin für Geschlechterstudien und seit 2020 Richterin des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin.

taz: Die Gleichstellung im Grundgesetz 1949 war also keine Selbstverständlichkeit?

Lembke: Dass Männer und Frauen im Grundgesetz gleichgestellt sind, war damals sehr umkämpft. Die Väter des Grundgesetzes sahen das patriarchale Familienrecht und damit die gesellschaftliche Ordnung in Gefahr. Artikel 3 Absatz 2 ist der einzige Artikel im Grundgesetz, bei dem vom Bundesverfassungsgericht bestätigt werden musste, dass es sich um „eine echte Rechtsnorm“ handelt.

taz: Wie sah es im deutsch-deutschen Vergleich aus?

Lembke: Die DDR wollte mit Gleichberechtigung punkten und nahm das gleich in die Verfassung auf. Faktisch waren Frauen in der DDR dann vielfach berufstätig und damit ökonomisch unabhängig, aber die Sorgearbeit blieb meist doch an ihnen hängen. Mit der Deutschen Einheit hätte sich wirklich etwas bewegen können – die BRD hatte 1989 im westeuropäischen Vergleich ein markantes Modernisierungsproblem in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse. Das blieb dann so.

taz: Was sind die wichtigsten Errungenschaften der vergangenen 75 Jahre?

Lembke: Da gibt es schon viel. Die Familienrechtsreform von 1977 war sehr wichtig, aber auch sehr spät. Gleiches gilt für die Sexualstrafrechtsreformen: 1997/98 wird Vergewaltigung in der Ehe strafbar, seit 2016 gilt „Nein heißt Nein“. Bahnbrechend war das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – das kam allerdings aus dem Europarecht, nicht dem Grundgesetz.

taz: Worin liegt die größte Gefahr für die Gleichberechtigung?

Lembke: Sie verliert Unterstützer:innen, viele denken: Was denn noch? Es gibt gezielte Angriffe von rechtsextremistischen, rechtspopulistischen und fundamentalistischen Bewegungen. Seit Corona sehen wir ein Comeback von traditionellen Geschlechterrollen. Deutschland hat auch oft nicht die Rahmenbedingungen, wenn Paare gleichberechtigt leben wollen. Mit dem ersten Kind arbeitet der Mann mehr als Vollzeit, die Frau unter 50 Prozent Teilzeit, und das langfristig. Dabei gibt es auch andere Modelle.

Der Vortrag

Vortrag „75 Jahre Gleichstellung im Grundgesetz – Entwicklung und Perspektiven“: 15. 10., 18.30–20.30, Roter Salon im Schloss, Schlossplatz 1, Braunschweig

taz: Welche denn?

Lembke: In den Niederlanden heißt Teilzeit, dass beide Elternteile jeweils drei volle Tage die Woche arbeiten und sich dadurch abwechseln können mit der Kinderbetreuung.

taz: Was muss passieren, um Gleichberechtigung zu erreichen?

Lembke: Es wäre schön, wenn man sich an das geltende Recht halten würde. Gleichstellung ist nicht erreicht. Die derzeitige Situation ist ein Verfassungsbruch in Permanenz. Am wichtigsten ist aber, dass Menschen und Institutionen Geschlechtergerechtigkeit als ihre eigene Aufgabe und ihr persönliches Anliegen begreifen, auch für die nächste Generation.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Der Grund dafür, dass Frauen derart zurückgeworfen werden, wenn Kinder geboren werden, ist u.a. der, dass die Familie durch das Ehegattensplitting steuerlich dann besser steht, wenn es einen Alleinverdiener und einen Geringverdiener gibt. Und wer der Geringverdiener in unserer Arbeitswelt mit GenderGap ist, ist meistens klar (s.v.a. höherGendergap zwischen Müttern und Vätern und v.a. zwischen Müttern und Männern ohne Kinder).



    Zudem spielt hier hinein,dass bei dem Paradebeispiel Frankreich ein "Vollzeitjob" weniger Wochenstunden hat als in Deutschland, man kann also sagen, dass bei den Franzosen beide Elternteile quasi nach unseren Maßstäben durchweg in Teilzeit arbeiten. Zudem ist die Lebensarbeitszeit in Frankreich auch wesentlich niedriger, sodass die Großeltern bereits mit 60/61 in Rente gehen. Auch ist die familiäre Verwurzelung in den Familien höher, sodass die Großeltern hier zudem wesentlich früher und mehr zur Kinderbetreuung beitragen können.



    Fazit ist, dass v.a. das Ehegattensplitting, das massive Fehlanreitze mit sehr viel Steuergeldern subventioniert, und bei dem es zudem keine Rolle spielt, ob in den Ehen Kinder zu versorgen sind, absolut nicht mehr gerechtfertigt ist.

  • "Was muss passieren, um Gleichberechtigung zu erreichen?



    Lembke: Es wäre schön, wenn man sich an das geltende Recht halten würde. Gleichstellung ist nicht erreicht."



    Wird hier immer wieder Gleichberechtigung und Gleichstellung synonym benutzt (was sie nicht sind), oder verstehe ich einfach bestimmte Prämissen nicht?

  • Es wäre an diesem Punkt vielleicht auch gut, zu erwähnen, dass das Grundgesetz an einem Punkt die Gleichberechtigung explizit außer Kraft setzt, nämlich bei der Wehrpflicht. Das ist doch eigentlich auch nicht mehr zeitgemäß..

    • @Ruediger:

      Zum Glück ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Und wer möchte die Wehrpflicht *nur für Männer* wiedereinführen? Die Parteien, die offen gegen eine Gleichstellung von Mann und Frau sind: CSU und AFD

      Die sollten kritisiert werden, nicht die Frauen die Gleichstellung fordern.

      • @Miri N:

        Schauen Sie sich mal den GenderGap zwischen Müttern und Vätern an, und ganz pikant zwischen Müttern und Männern ohne Kinder. Diese Zahlen werden meist gar nicht genannt, die Einkommensunterschiede liegen hier bei bis zu 60Prozent, bei gleicher Arbeit, Qualifikation und Leistung. Und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass Arbeitgeber, Frauen und v.a. Mütter erst gar nicht einstellen und dass auch die Arbeitsleistung dadurch geringer wertgeschätzt wird, wenn sie durch eine Frau geleistet wird.



        Wenn diese extreme Schieflage, v.a. durch die Geringschätzung von Müttern behoben ist, und es keinen Einkommens- und Karriereunterschied mehr macht, ob eine Leistung von Männern oder von Frauen geleistet wird, dann können wir auch über ihren ömeligen Wehrdienst sprechen, der im Übrigen Männern in ihrem Berufsleben nicht negativ ausgelegt wird, Mutterschaft hingegen ist ein K.O.-Kriterium in der Berufswelt der freien Wirtschaft.

    • @Ruediger:

      Das Frauen auf Grund der Biologie in der Gesamtheit Ihres Lebens von Staat und Industrie um bis zu 20.000 € geschröpft werden, ist an diesem Punkt vielleicht auch einer Erwähnung wert…?



      femeda.de/leben/so...tet-deine-periode/