piwik no script img

Wolkig mitAussichtauf Pfannkuchen

Muss man auf dem Land bald nicht mehr mit dem Auto zum Supermarkt, weil Brötchen per Drohne an die Tür geliefert werden? In Brandenburg wird ganz praktisch erprobt, was nach Science-Fiction klingt

Kein Wocheneinkauf: 3,5 Kilo schafft die Drohne maximal Foto: Toni Petraschk

Aus Wusterhausen Svenja Bergt

Die Drohne wankt. Sie surrt in der Luft wie ein übergroßes Insekt mit Bassstimme, ihre Rotorenblätter drehen sich so schnell, dass sie unsichtbar sind. Aber eigentlich sollte sie in der Luft stehen wie eine Eins. Stattdessen bewegt sie sich mal ein Stück in die eine, mal ein Stück in die andere Richtung, wie ein Betrunkener, der seine Füße nicht mehr koordiniert kriegt – und das führt bei Sven Jürß zu Sorgenfalten auf der Stirn. Der Drohnenpilot zeigt zu seinem Flugobjekt: „Dass sie ein bisschen wackelt im Wind ist normal. Aber dass sie immer wieder ein Stück in unterschiedliche Richtungen fliegt, das darf nicht sein.“

Es ist ein schlechter Tag in Wusterhausen, einer Gemeinde im nordwestlichen Brandenburg, weniger als 6.000 Ein­woh­ne­r:in­nen verteilt auf 22 Ortsteile – und ein guter. Ein schlechter Tag für das Projekt, das hier gerade erprobt wird: die Lieferung von Lebensmitteln per Drohne in einer Gegend, die sehr kleinteilig und zersiedelt ist. Der nächste Supermarkt ist teilweise eine 20 minütige Autofahrt entfernt. Für ältere Menschen, die sich vielleicht nicht mehr unbedingt hinters Steuer setzen sollten, oder solche, die aus Umweltgründen gerne auf das Zweitauto verzichten wollen, kann die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen umständlich werden. Und dennoch ist es auch ein guter Tag, um zu zeigen, woran es noch hakt, wenn Drohnen für etwas eingesetzt werden sollen, das nicht etwa einem Unternehmen, militärischen Interessen oder übergriffigen Paparazzi dient, sondern den Menschen.

Fünf Minuten Fußweg entfernt von der Drohne und eine Viertelstunde vorher. Der Marktplatz in Wusterhausen ist ein Ort, der an Tagen ohne Markt leer wirkt, aber durch die Stände und die Einkaufenden eine geschäftige Lebendigkeit bekommt. Fleischer, Fischhändler, die anliegende Bäckerei – die beiden Mitarbeiterinnen packen pausenlos Bienenstich, Mohnzopf, Pfannkuchen und Krausgebackene in Tüten. In die Schlange der Kun­d:in­nen reiht sich Corinna Solga ein. Sie bestellt zweimal Blätterteig mit Apfelfüllung und drei Pfannkuchen – muss kurz überlegen, ob bei der Bestellung wohl welche mit Zuckerguss oder Puderzucker gemeint waren, und zahlt die 8,50 Euro bar. Obwohl die Drohne heute nicht fliegen kann, möchte Solga zumindest zeigen, wie das funktioniert, dass die Waren in die Luft kommen.

Corinna Solga ist quasi die Hand der „Marktschwalbe“. So heißt das Projekt, mit dem Lebensmittel und Drogerieprodukte an zwei Tagen der Woche vom Markt in Wusterhausen in umliegende Ortsteile geflogen werden. Bislang ist es noch eher ein Probebetrieb als ein regulärer Einsatz, dafür hakt noch zu viel hier und dort. Aber die Idee ist da und grundsätzlich funktioniert sie: in einer Flächengemeinde Produkte des täglichen Bedarfs von A nach B zu fliegen.

Damit die Waren vom Laden oder Marktstand in die Drohne kommen, gibt es Solga und einen Kollegen. Sie arbeiten als Dispatcher, das heißt: Sie kaufen die Waren auf dem Markt und in den teilnehmenden Geschäften ein, bringen sie zum Flugobjekt, verpacken sie in die Transportkiste, machen die Drohne startklar und bringen sie zum Startplatz. Nur fliegen dürfen sie sie nicht, obwohl sie den kleinen Drohnenschein für das Basiswissen gemacht haben. Aber für das Fliegen gibt es Sven Jürß, den Drohnenpiloten. Der muss nicht einmal vor Ort sein, sondern kann das Steuern auch aus der Distanz übernehmen, mithilfe von Internet und Kameras.

Robin Kellermann ist einer der Köpfe hinter dem Projekt „Marktschwalbe“. 2018 forschte der damalige Mobilitätsforscher an der TU Berlin zu Drohnen als Transportmittel. Irgendwann wollte er mehr Praxis und entschied, vom Forscher zum Unternehmer zu werden. Er gründete gemeinsam mit einem Mitstreiter eine Firma, die Kommunen berät, die Drohnen zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen wollen. So entstand die Idee der „Marktschwalbe“. Ein geeigneter Ort fand sich in Wusterhausen mit seiner kleinteiligen Siedlungsstruktur – und einer gewissen Offenheit für neue Technologieprojekte. Vor ein paar Jahren fuhr hier testweise schon mal ein autonomer Bus. Der Hintergrund war ähnlich, die Versorgungslage sollte verbessert und den Menschen mehr Mobilität ermöglicht werden, jenseits des eigenen Autos. Robin Kellermann sagt über die Marktschwalbe: „Sie soll die gefühlte Mobilität der Menschen verbessern, denn sich auf dem Land zu versorgen, ist wirklich Arbeit.“

In den Stadtzentren denken die meisten gar nicht darüber nach, dass sie nahezu jederzeit fast alles Nötige kaufen können. Außerhalb ist das anders, Vanessa Japs kennt das. Sie und ihre Familie wohnen in Trieplatz, etwa 15 Autominuten von Wusterhausen entfernt. Einmal die Woche macht die Familie einen Großeinkauf mit dem Auto. „Wenn ich dann etwas vergessen habe oder wir zwischendrin frisches Obst und Gemüse brauchen oder wenn Besuch vorbeikommt und ich keinen Kuchen parat habe, dann nutze ich die Marktschwalbe“, sagt sie am Telefon. Oder für Brötchen für die Oma, die mit im Haus wohnt. Die Bestellung läuft online oder per Telefon. Wenn die Drohne in die Luft geht, ruft Solga die Kun­d:in­nen an, um sie zu informieren, dass die Ware gleich am festen Landepunkt eintrifft.

Drohnen könnten künftig öfter eingesetzt werden, beim Transport von Medika­menten oder sogar Organen

Da ist sie, die gefühlte Mobilität: dass Japs keinen Kuchen in der Kühltruhe parat haben muss, dass sie auch unter der Woche mal Frisches kaufen kann, ohne ins Auto steigen zu müssen. Dabei können die Drohnen keinen ganzen Wocheneinkauf ersetzen. Dreieinhalb Kilogramm dürfen die Dispatcher in die Transportboxen packen. Selbst wenn alle fünf Drohnen für eine Familie im Einsatz wären, könnte das eng werden.

Doch heute würde keine Lieferung auf dem Drohnen-Landeplatz in Trieplatz eintreffen. Das liegt an der Sonne, obwohl die an diesem Septembertag hinter einer dichten Wolkendecke versteckt ist. Pilot Sven Jürß lässt die Drohne trotzdem kurz steigen, um das Problem zu zeigen. Das Wanken in der Luft liegt daran, dass die GPS-Satelliten gerade kein ganz zuverlässiges Signal liefern. Und das hat mit der derzeit hohen Sonnenaktivität zu tun. Die Kommunikationssignale der GPS-Satelliten, so erklärt es das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, werden durch die Folgen der Sonnenstürme etwas verzögert. Für die alltägliche Navigation wird das nicht zum Problem – beim präzisen Starten und Landen einer Drohne offensichtlich schon.

Firmengründer Kellermann sagt: „Ein robustes technisches System zu haben, das fehlerfrei läuft, ist die größte Herausforderung.“ Die Internetverbindung, die der Drohnenpilot braucht, um beim Steuern nicht ständig vor Ort sein zu müssen, starker Wind oder starker Regen, ein Rettungshubschrauber oder ein Leichtflugzeug – so viele Faktoren, die das System aus dem Takt bringen können. Das soll sich ändern. Denn schließlich wird der Winter mit Kälte, Schnee, Dunkelheit, Glatteis es vermutlich noch mal attraktiver machen, die Lieferung aus der Luft zu nutzen. Kellermann formuliert es so: „Das soll hier keine Schönwettersache sein.“

In einer Flächen­gemeinde Produkte des täglichen Bedarfs von A nach B fliegen? Grundsätzlich funktioniert die Idee

Hartmut Fricke, Professor für Technologie und Logistik des Luftverkehrs an der TU Dresden, glaubt nicht, dass sich Menschen hierzulande perspektivisch Brötchen und Joghurt per Drohne liefern lassen. Zu gering sei das Gewicht, das die Drohnen tragen können, und mit mehr Gewicht werde der Zulassungsprozess noch mal komplizierter. Aber über die „Marktschwalbe“ sagt er auch: „Als Technologiedemonstration ist das eine hervorragende Sache.“ Denn dass Drohnen künftig mehr und öfter eingesetzt werden, da ist er sich sicher. Zum Beispiel im medizinischen Bereich, beim Transport von Medikamenten, Laborproben oder sogar Organen. Vielleicht auch im Bereich der Expresslieferung von Paketen. Zentral würden Drohnen auch bei der Inspektion etwa von Windparks oder Schienen. Hier sei nicht nur die Zulassung einfacher – schließlich geht es um ein klar abgegrenztes Gebiet und es müssen keine Menschen überflogen werden – auch finanziell sei der Einsatz schnell lohnend. „Konventionell durchgeführt ist so eine Inspektion extrem teuer“, weil es zum Beispiel Personal vor Ort braucht. Mit der Drohne ließen sich lange Strecken schnell überfliegen, das spare Zeit und Geld. Die Deutsche Bahn nutzt die Technologie bislang nur für kurze Strecken, doch das soll sich bald ändern. Im September hat der Konzern angekündigt, ab dem kommenden Frühjahr auch Langstreckendrohnen einzusetzen, um das Schienennetz zu überwachen.

Natürlich sei das in Wusterhausen ein „Realexperiment“, sagt Bürgermeister Philipp Schulz. Er hofft dennoch, dass die Drohnenlieferung der Gemeinde erhalten bleibt. „Hier im ländlichen Raum ist die Verbesserung der Nahversorgung ein großes Thema“, sagt er. Er hofft, dass das Projekt „Marktschwalbe“ sogar noch wächst. Im nächsten Schritt, so Schulz, könnten dann Hofläden mit einbezogen werden, denn mit der Lieferung per Luft hätten diese einen zusätzlichen Vertriebsweg.

Qudratisch, praktisch, Drohnenlandeplatz Foto: Toni Petraschk

Dass man dem Projekt in Wusterhausen positiv gesinnt ist, könnte zum einen mit den Kosten zu tun haben. Denn die Bestellung ist für die Haushalte momentan noch gratis. Das Projekt bekommt eine öffentliche Förderung, gut 400.000 Euro. Bis Ende Februar 2025 ist die Finanzierung sicher, dann muss es entweder einen Anschluss geben oder das Projekt muss sich selbst tragen. Kellermann sagt, er wisse noch nicht, wie hoch die Bestellkosten sein müssten, wenn die „Marktschwalbe“ wirtschaftlich sein soll. Kundin Japs sagt, 2 Euro würde sie pro Bestellung wohl zahlen – 5 Euro eher nicht.

Zum anderen hoffen die Menschen vor Ort darauf, dass sich die „Marktschwalbe“ als Wirtschaftsfaktor für die Region entpuppt. Japs berichtet von Feriengästen in Trieplatz. Für die könne es doch ein Erlebnis sein, mal eine Lieferung per Drohne zu erleben? Dispatcherin Solga stellt sich vor, dass Wusterhausen zum Modell- und Ausbildungsort werden könnte. Bürgermeister Schulz berichtet vom kommunalen Bauhof, der die Start- und Landeplätze gebaut habe, und dem Know-how, das man in der Gemeindeverwaltung aufbaue. Und Gründer Kellermann hofft, dass zum Beispiel Land­wir­t:in­nen den Wert der Drohne erkennen. Sei etwa während der Mahd ein landwirtschaftliches Gerät defekt, könne ein schnell eingeflogenes Ersatzteil womöglich die Ernte retten.

Und die süßen Teilchen, die Solga in der Bäckerei gekauft hat? Der Kunde hat sie zwischendurch einfach persönlich abgeholt. „Kein Problem, ihr sagt einfach, wenn es wieder funktioniert“, hat er noch gerufen. Wie er nach Wusterhausen gekommen ist? Mit dem Auto.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen