Sauerstoffloch in der Elbe: Der Stör, der auf der Strecke blieb
In der Elbe gab es in diesem Sommer ein fast 30 Kilometer langes, tiefes Sauerstoffloch. Das schafft eine Barriere für elbaufwärts wandernde Fische.
Ein sogenanntes Sauerstoffloch – also eine Phase mit für Fische lebensgefährlich geringem Sauerstoffgehalt im Wasser – gibt es fast jeden Sommer in der Elbe. In diesem Jahr ist dem Strom jedoch ungewöhnlich lange die Luft weggeblieben. „Dauer und räumliche Ausdehnung des Sauerstofflochs waren in diesem Jahr extrem“, stellt Rettet die Elbe fest.
Ursache dieses Sauerstofflochs ist nach Überzeugung des Umweltverbandes die Elbvertiefung. Das belegten umfangreiche Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen. Dem Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und seinen Kollegen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wirft der Verband vor, sie seien genau und aktuell über die Messungen ihrer Experten informiert worden. Doch selbst als der tote Stör gefunden wurde, hätten sie nichts unternommen.
Im Gegenteil: Umweltsenator Kerstan habe dem Hafenamt Hamburg Port Authority (HPA) Baggerungen gestattet – bei Sauerstoffkonzentrationen unter dem für Fische lebensbedrohlichen Wert von drei Milligramm pro Liter. „Der Tatbestand ist zwischen ‚unterlassene Hilfeleistung‘ und ‚grob fahrlässiger Ökozid‘ einzuordnen“, sagt Klaus Baumgardt von Rettet die Elbe.
Fast zwei Monate Sauerstoffmangel
Die zeitliche Ausdehnung des Sauerstofflochs lässt sich an den Daten des Wassergütemessnetzes Elbe ablesen. Demnach sank der Sauerstoffwert Ende Juli unter den kritischen Wert von drei Milligramm. Zu diesem Zeitpunkt wurde der tote Stör gefunden. Bis Mitte September war der Sauerstoffgehalt des Elbwassers bei Blankenese, wo der Fluss vertieft ist, nur an wenigen Tagen höher. Bei Bunthaus, vom Hafen flussaufwärts gelegen, wo die Elbe noch ihre natürliche Tiefe hat, zeigt sich das gegenteilige Bild: Hier blieb der Sauerstoffgehalt fast durchgehend über der Grenze.
Die räumliche Ausdehnung des Sauerstofflochs lässt sich an den Daten ablesen, die ein Hubschrauber gesammelt hat. Anfang August ist er die Elbe von Geesthacht bis zur Mündung bei Scharhörn abgeflogen und hat an 36 Stellen Proben genommen. Von den Elbbrücken, wo der Hafen beginnt, bis zur Lühe-Mündung enthielten die Wasserproben nur zwei Milligramm Sauerstoff. Solche Flüge bestätigen regelmäßig, dass es ein Sauerstofftal im Bereich des Hafens gibt.
Dass es entsteht, liegt an einem Zusammenspiel verschiedener Ursachen: Im Hafen wird die Elbe für Seeschiffe ausgebaggert, sie wird also schlagartig tief. In tieferen Wasserschichten bekommen Algen nicht mehr genug Licht, um Photosynthese zu betreiben und damit Sauerstoff zu erzeugen. Stattdessen sterben die Algen und werden unter Verbrauch von Sauerstoff abgebaut.
Dazu kommt, dass das Wasser trüber geworden ist: Die wiederholten Elbvertiefungen haben den Tidenhub vergrößert. Mit jedem Wechsel von Ebbe und Flut wird Sediment aufgewirbelt, mit der Folge, dass den Algen weniger Licht zur Verfügung steht. Besonders problematisch ist das alles im Sommer, weil sich in wärmerem Wasser ohnehin schon weniger Sauerstoff lösen kann und die Abbauprozesse schneller laufen. Mit weniger Sauerstoff, so Baumgardts Erklärung, verlangsame sich auch der Abbau der Schwebeteilchen: Sie bleiben länger erhalten und verteilen sich über weitere Strecken.
Weil diese Zusammenhänge auch den Behörden bekannt sind, verzichtet die Port Authority darauf, im Sommerhalbjahr Baggergut stromab in der Elbe zur verklappen, mit möglichen Ausnahmen im Oktober. Zudem soll die HPA bei Sauerstoffwerten von weniger als vier Milligramm auf das Planieren der Elbsohle und das Aufschwemmen von Schlick zwecks Verteilung verzichten.
Ausnahmen, wie sie Rettet die Elbe jetzt so scharf kritisiert hat, seien möglich, wenn das Sauerstoffloch länger als vier Wochen bestehe und solche lokalen Arbeiten unvermeidbar seien, teilt die Umweltbehörde mit. Das werde im Einzelfall zwischen der Port Authority und der Umweltbehörde besprochen. „Dies war in diesem Jahr der Fall“, erläutert die Behörde.
Verendeter Stör war gezielt ausgesetzt worden
Bei dem toten Stör hält es auch die Behörde für plausibel, dass er an Sauerstoffmangel eingegangen ist. Das verendete Tier trug einen Chip; es ist im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz gezielt zur Wiederansiedlung dieser Art ausgesetzt worden. Es war gut genährt und hatte keine äußeren Verletzungen.
Das 1,65 Meter lange Tier sei wohl auf dem Weg zu seinen Laichgründen in der Oberelbe gewesen, als es in die sauerstoffarme Zone geriet, vermutet die Behörde. Störe können über 100 Jahre alt und über fünf Meter groß werden. „Scheitert so dies großartige Artenschutzprojekt am Sauerstoffloch vor Hamburg?“, fragt Baumgardt.
Ein auffälliges massenhaftes Fischsterben hat es in diesem Sommer allerdings nicht gegeben. Die Umweltbehörde hält es aber für „wahrscheinlich, dass es im Verborgenen durch die Sauerstoffsituation dennoch zu Schäden an Fischen und Fischbrut gekommen ist“. Um Klarheit zu bekommen, fordert Rettet die Elbe ein regelmäßiges Fischmonitoring. Mit der Analyse von Gen-Fragmenten in Wasserproben stehe dafür heute ein probates Mittel zur Verfügung.
Der Weg, den Sauerstoffgehalt zu erhöhen, besteht darin, mehr lichtdurchflutete Flachwasserbereiche zu schaffen. Darüber sind sich die Umweltschützer mit den Wasserbauern einig – nicht zuletzt weil Flachwasserbereiche auch die eskalierte Tide dämpfen. Rettet die Elbe hat dafür einige Ideen und auch die HPA und die Umweltbehörde haben sich auf Flächen geeinigt, die sich für Flachwasserzonen besonders eignen würden.
Bisher hat die Port Authority allerdings nur ein großes Rückdeichungsprojekt auf Kreetsand fertiggestellt. Weitere Projekte sind der Umweltbehörde zufolge nicht finanziert. Und gegen einige Vorschläge gibt es politischen Widerstand – sei es aus Sorge um den Hochwasserschutz, sei es aus Flächenkonkurrenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen