Neuer Flutraum für die Elbe: Schön der Natur hinterhergehinkt

Mit viel Verspätung eröffnet der Hamburger Senat ein Rückdeichungsprojekt an der Elbe. Umweltverbände finden, es hätte längst Schule machen müssen.

Flachwassergebiet Kreetsand

Raum für die Natur: Tidegebiet Kreetsand Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Es könnte ein richtungsweisendes Projekt sein, dessen Fertigstellung der Hamburger Senat Anfang Juni gefeiert hat. Auf der Elbinsel Wilhelmsburg zwischen Norder- und Süderelbe hat er den Elbdeich geöffnet und eine Flachwasserzone geschaffen. Das Projekt soll der Verschlickung des Hafen entgegenwirken und den Fluss als Lebensraum stärken. Umweltschützer finden, es stehe unter falschen Vorzeichen, komme zu spät und sei halbherzig.

Die Hamburger Wirtschaftsbehörde sowie die ihr unterstellte Hamburg Port Authority (HPA) sahen sich zum einen genötigt zu handeln, weil die wiederholten Elbvertiefungen den Tidenhub vergrößert und damit auch das Verlanden der Fahrrinne begünstigt haben. Zum anderen gilt es, das Zurichten des Strom durch Aufwertung der Natur anderswo auszugleichen – ein nicht ganz einfaches Unterfangen auf dem begrenzten Gebiet eines Stadtstaats.

Das jetzt eröffnete Flachwassergebiet Kreetsand ist eine sackartige Bucht, für die ein Auenwald abgetragen wurde. Mit 30 Hektar ist es etwas weniger als doppelt so groß wie die Binnenalster. „Fischlarven finden hier künftig eine Kinderstube und Schutz vor starker Strömung“, lobte Umweltsenator Jens Kerstan (Die Grünen). „Lichtdurchflutetes Flachwasser fördert die Fotosynthese und bietet Fischen ein Refugium bei niedrigen Sauerstoffwerten in der Elbe.“ Zudem sei das neu entstandene Süßwasserwatt ein reich gedeckter Tisch für Wasservögel.

Die Umweltverbände Nabu, BUND und WWF erkennen zwar den Gewinn für die Natur an, sie könnten sich aber noch viel mehr solcher Projekte vorstellen. So spiegele es bloß die „defizitäre Umweltpolitik des Hamburger Senats“, kritisieren sie. Denn die neue Flachwasserzone sollte zunächst eine Deicherhöhung aus dem vergangenen Jahrhundert ausgleichen – später dann auch noch die Elbvertiefung von 2020. Diese Doppelverwertung lehnte das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2017 ab. Unterm Strich verzögerte sich das Vorhaben um acht Jahre.

Weitere Deichöffnungsprojekte auf der langen Bank

Inzwischen müsse das Rückdeichungsprojekt ein Potpourri an Schäden ausgleichen, kritisieren die Verbände. „Diese sind in der Zwischenzeit so gewaltig gewachsen, dass die Maßnahme nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein ist.“ Die positive Wirkung von Kreetsand verpuffe im Vergleich zu den negativen Auswirkungen der Elbvertiefung und der nun noch mal intensivierten Baggerarbeiten.

Dabei brauche das Ökosystem Tideelbe dringend großflächige Naturschutzmaßnahmen, mahnen die Umweltverbände: „Nicht nur der Hafen verschlickt, sondern auch die ökologisch wertvollen Flachwasserzonen in den Seitenbereichen der Elbe gehen zunehmend durch Verlandung verloren.“

Weitere Deichöffnungsprojekte wie in der Haseldorfer Marsch oder der Alten Süder­elbe liegen seit Jahren auf der langen Bank und werden teils kräftig bekämpft. Konkret vorbereitet wird eine Deichrückverlegung am Ellerholz direkt neben dem Kreetsand. Damit soll der Naturverlust durch die Erhöhung der Elbdeiche ausgeglichen werden.

Aber auch das Flachwassergebiet Kreetsand ist nach Ansicht des Förderkreises „Rettet die Elbe“ noch verbesserungsfähig. Nach dessen Vorstellungen soll es auch den Tidenhub dämpfen und so dafür sorgen, dass mit der Flut weniger Sedimente die Elbe hochschwappen. Das sei nur insofern richtig, als sich in dem künstlich geschaffenen Totarm Sand und Schlick wie in einem Sack sammeln, moniert der Umweltverband. Im vergangenen Jahr musste dort deshalb schon wieder gebaggert werden.

Außerdem, so kritisiert „Rettet die Elbe“, habe sich der Tidenhub nicht wie von der HPA prognostiziert verringert. Aus den Daten des Portals Tideelbe der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) ergebe sich vielmehr das Gegenteil. Der Tidenhub habe sich in den vergangenen zehn Jahren vergrößert.

Das habe verschiedene Ursachen, argumentiert die Wirtschaftsbehörde – neben Veränderungen am Strom auch solche des Klimas. Sie stellt aber fest: „Das Flachwassergebiet Kreetsand wirkt dieser Entwicklung grundsätzlich entgegen, reicht aber allein nicht, um den langjährigen Trend aufzuhalten bzw. umzukehren.“

Der Umweltverband schlägt daher vor, den Boden des Sacks zu durchstoßen und einen Nebenarm zu schaffen, durch den die Elbe strömen kann. Der würde dann auch nicht verschlicken und bedrohte Wasserlebewesen hätten bessere Chancen, sich auszubreiten

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