Neue Unterkunft für geflüchtete Männer: Lecker Schnittchen und Security
Die Stadt Elmshorn greift vor Eröffnung der Unterkunft für geflüchtete Männer in die Marketingtrickkiste. Sie veranstaltet einen Tag der offenen Tür.
S ie stehen da auf dem Sandweg herum, schnell warten etwa 30 Leute, rätseln, was da für gelbe Früchte am Baum hängen („Mirabellen“, sagt eine ältere Dame), treten beiseite, wenn der Security-Mann „Achtung, Fahrzeug“ sagt. Auf einer Bühne spielt ein Duo Gitarre und singt, unter Pavillons ist ein Catering aufgebaut. Wasser, Filterkaffee, Schnittchen, Küchlein. Wer an diesem Herbstsamstag an einer geführten Tour durch die neue Flüchtlingsunterkunft in Elmshorn teilnimmt, kann sich auch kostenlos satt essen und auf knallpinken Würfeln mit der Aufschrift „Elmshorn. Supernormal“ sitzen. Mit diesem Slogan wirbt die Stadt in Hamburgs Speckgürtel für sich.
Nach etwa 15 Minuten kommt ein Mitarbeiter der Stadt in weißem Hemd ohne Krawatte und führt den Tross über das Gelände der ehemaligen Baumschule zu einer Reihe dunkelgrüner, eingeschossiger Container. Es sieht nach Baustelle aus, dabei sollen hier im November 128 geflüchtete Männer einziehen – also jetzt wirklich.
Als der Bau Ende März beschlossen wurde, peilte man die Eröffnung im Juli an. Aber wie das so ist. Der Prozess verzögerte sich, man musste zum Beispiel eine externe Zufahrt zum Baugrund schaffen. Die geplante Straße lehnte die angrenzende Klinik ab, Sicherheitsbedenken.
Sie wollen es hier richtig machen. Mit der Unterkunft, mit der Anwohnern, mit den Schutzsuchenden. Zu einer Infoveranstaltung über das geplante Containerdorf kamen im Mai mehr als 400 Leute. Viele brachten vor, dass die Geflüchteten für die Mädchen und Frauen aus der Nachbarschaft ein Problem seien. Dieser Sorge will die Stadt irgendwie Rechnung tragen. Darum der Tag der offenen Tür.
Grüppchen wechsel dich
Alles ist ordentlich choreografiert: Während die vorherige Gruppe aus einem der Containerensembles tröpfelt, stellt sich die nächste im Halbkreis vor dem Mitarbeiter der Stadt auf, der was erzählt: 96 Wohn- und 18 Funktionscontainer sind geplant, ein Fußballplatz, jeder Geflüchtete soll sein eigenes Zimmer haben, ein Sicherheitsunternehmen wird im Einsatz sein. „Da“, er deutet auf einen der Container, „kommt das Unterkunftsmanagement rein, drei Mitarbeiter werden jeden Tag zu normalen Bürozeiten ansprechbar sein. Ah und jetzt können Sie rein und die Vierer-Wohneinheit angucken.“
Eingangstür, grauer Linoleumboden, ein Vorraum mit zwei Tischchen und vier Stühlen, eine Küche an der Stirnseite, links und rechts geht jeweils eine Wohneinheit mit je zwei Einzelzimmern und einem Bad ab. „Müssen die Männer hier selber putzen?“, will die Mirabellenkennerin wissen. Ja, müssen sie.
„Keine Haken, um was aufzuhängen“, sagt eine Frau, die sich in einem der Einzelzimmer um die eigene Achse dreht. Tür, Schrank, Fenster, Bett, Tisch, Stuhl. Die Besucher tänzeln auf dem engen Raum umeinander herum, öffnen Schranktüren, nicken, gehen wieder raus.
Männer sind eine problematische Gruppe
Wieso sollen hier eigentlich nur Männer wohnen, eine Gruppe, die doch – schon ehe sie überhaupt eingezogen ist – als Problem wahrgenommen wird? „Eine problematische Gruppe, ja, aber wir haben uns die extra ausgesucht“, sagt der Mitarbeiter.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
400 Geflüchtete werden Elmshorn in diesem Jahr wohl zugewiesen, aber der Wohnungsmarkt sei angespannt, selbst Familien schwer unterzubringen. Darum das Extradorf für alleinstehende Männer mit Bleibeperspektive. Denen ist diese Wohnform offenbar zuzumuten. „Später sollen Arbeitgeber herkommen und Jobs vermitteln“, erzählt er. Wie lange sollen die Männer hier bleiben? „Ach, das kann auch Jahre dauern.“
Die nächste Gruppe steht schon draußen, hört sich etwas über Deutschkurse an, die am Anfang aller Integration stehen. „Na, die wollen das doch eh nicht machen“, meldet sich einer im karierten Hemd zu Wort. Kinn gehoben, Unterlippe vorgeschoben, sich seiner Sache sicher. „Das erleben wir anders“, ist die Antwort. „Es ist eher so, dass es zu wenig Deutschkurse gibt.“ Zustimmendes Gemurmel. Karohemd ist überrascht, aber nicht überzeugt, das steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er hebt aber beide Hände: „Okay okay, wenn das so ist, dann ist ja gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite