Forscherin über Waldbrände in Brasilien: „Fast alle Brände werden gelegt“
Im Amazonasgebiet herrscht schlimme Dürre. Waldbrände wüten und die CO2-Emissionen steigen. Forscherin Ane Alencar erklärt, wie das zusammenhängt.
taz: Frau Alencar, in Brasilien herrscht die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. Die Flüsse im Amazonasgebiet erreichen Rekordtiefstände. Auch die Nachbarländer Ecuador, Peru, Kolumbien, Paraguay und Bolivien sind betroffen. Wie lange dauert die Dürre schon an?
leitet das IPAM, ein brasilianisches Institut für Amazonas- und Umweltforschung. Sie erforscht, wie sich Klimawandel und Abholzung auf Waldbrände auswirken.
Ane Alencar: Die Dürre dauert seit August letzten Jahres an und hatte sich von Oktober bis November verschärft. Anfang des Jahres begann sie sich dann territorial weiter auszudehnen, da es während der eigentlichen Regenzeit nur kurz und nicht ausreichend geregnet hat. Damit startete die diesjährige Trockenperiode bereits sehr früh und sehr heftig. Mittlerweile hat es in vielen Regionen Brasiliens seit Monaten nicht mehr geregnet. Besonders betroffen sind das Amazonasgebiet, das Zentrum Brasiliens, Teile des Südostens und das Pantanal im Zentralwesten Brasiliens.
taz: Woran liegt das?
Alencar: Die Gründe dafür finden sich in bekannten Wetterphänomenen wie dem in Südamerika wiederkehrenden Wetterphänomen El Niño. Der globale Temperaturanstieg hat jedoch einen erheblichen Einfluss auf diese natürlichen Wetterphänomene. Der Klimawandel verstärkt sie und ihre Wechselwirkungen.
taz: Beim El Niño führt die Erwärmung des Pazifischen Ozeans vor der ecuadorianischen Küste zu einer ausgedehnteren Trockenperiode im Norden Brasiliens und im Amazonasgebiet, während im Süden Südamerikas stärkere Regenfälle auftreten, richtig?
Alencar: Ein noch stärkerer Anstieg der Wassertemperatur im Pazifik steigert die Trockenheit in der einen Region und erhöht die Niederschläge in der anderen. Dazu kommt der Anstieg der Wassertemperatur im Nordatlantik, der die Dürre in der Amazonasregion ebenfalls verschärft. Beide Ozeane waren letztes und dieses Jahr sehr warm. Und schließlich verstärken sich die Dürre im Amazonasgebiet und die üblichen sommerlichen Hitzewellen in Brasilien gegenseitig, was in vielen Regionen des Landes zu spüren ist.
taz: In diesem Jahr sind auch die Waldbrände dort außergewöhnlich schlimm. Sie haben errechnet, dass allein wegen der Brände im brasilianischen Amazonasgebiet von Juni bis August auf einer Fläche von 2,4 Millionen Hektar Wald und Grasland 31,5 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt wurden. Das sind 60 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – und fast so viel, wie Norwegen pro Jahr emittiert.
Alencar: Brasilien pendelt weltweit zwischen Platz 5 und 6 beim Ausstoß von Treibhausgas. Knapp die Hälfte der Treibhausgasemissionen entsteht beim Verbrennen von organischem Material, und von diesen Emissionen stammt der größte Teil aus dem Amazonas. Das Schlimmste passiert gerade jetzt im September. Das liegt daran, dass ein durch einen Brand geschädigter Wald anfälliger für weitere Brände ist. Die Bäume verlieren ihre Blätter, fallen um und brechen dabei andere Bäume ab. Dadurch befindet sich mehr brennbares Material auf dem Boden. Außerdem dringt die heiße Luft ungehinderter und weiter in den Wald hinein. Ein zweiter Feuerausbruch ist also intensiver und setzt viel mehr Treibhausgase frei. Es ist ein Teufelskreis aus Schädigung und Emissionen und weiterer Schädigung.
taz: Dadurch werden nicht nur Wälder zerstört, die in den kommenden Jahrzehnten CO2 hätten speichern sollen, sondern auch die CO2-Emissionen erhöht?
Alencar: Von den 2,4 Millionen Hektar sind 700.000 Hektar Wälder, bei deren Verbrennung 12,7 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt wurden. Emissionen entstehen aber nicht nur, wenn der Wald brennt. Die Zersetzung der betroffenen Vegetation geht nach dem Ende der Brände weiter, wenn in deren Folge vor allem große Bäume absterben und noch viele Jahre lang CO2 freisetzen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden schätzungsweise bis zu 4 Millionen Tonnen CO2 und CO2-Äquivalente emittiert.
taz: Wie viele der Brände werden durch Brandstiftung verursacht?
Alencar: Fast 100 Prozent der Brände werden vorsätzlich gelegt. Viele dienen dazu, Felder abzubrennen, die für Landwirtschaft und extensive Weidehaltung genutzt werden. Viele werden aber auch als Brandrodung gelegt, das bedeutet, dass nach der Abholzung der Wälder die Reste in Brand gesteckt werden. Auch das Abbrennen von staatlichem Land mit dem Ziel der anschließenden Privatisierung für landwirtschaftliche Zwecke oder für die Bauindustrie wird meist durch Brandstiftung verursacht. Diese Praxis ist besonders im Amazonasgebiet weit verbreitet. Weit verbreitet ist auch das Abbrennen von Mülldeponien in der Nähe von Städten, was in der Regenzeit normal ist, in der jetzigen Trockenzeit aber vielerorts zu unkontrollierbaren Bränden führt.
taz: Die Dürre wirkt also wie ein Brandbeschleuniger?
Alencar: Die Dürre ist ein wesentlicher Faktor für die extreme Ausdehnung der Brände. Natürlich verursachte Brände treten in der Regel nur in Regionen auf, in denen die Vegetation offener und ausgedehnter ist, wie etwa in der Savanne des Cerrado im Südosten Brasiliens. Sie werden meist durch Blitzeinschläge ausgelöst, etwa zu Beginn der Regenzeit.
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