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Aktuelle Lage in der UkraineKampf um mehr als Prioritäten

In der Ukraine wird die Verschiebung des Ramstein-Gipfels sorgenvoll kommentiert. Derweil gehen die Kämpfe weiter – auch im Hinterland.

Zurück an die Front: Ukrainische Soldaten auf dem Weg in die umkämpfte Region Donezk, am 07. Oktober 2024 Foto: Maciek Musialek/picture alliance

Kyjiw taz | Während einige Kommentatoren in der Ukraine die Verschiebung des Ramstein-Gipfels als unbedeutend erachten, sehen andere darin eine veränderte Priorität der Bündnispartner. Juri Bogdanow, Experte für strategische Kommunikation, behauptet auf seiner Facebook-Seite, dass Biden seinen Deutschlandbesuch nicht wegen des Hurrikans, sondern wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen abgesagt hat. Er möchte angesichts der drohenden Naturkatastrophe Präsenz zeigen, was der Ukraine wiederum schaden könnte. Fernsehjournalist Bogdan Butkewitsch interpretiert die Verschiebung des Gipfels als Zeichen dafür, dass die Ukraine nicht mehr im Fokus der USA steht. „Und ja, wir sollten begreifen, dass es immer schwieriger wird, sich auf amerikanische Hilfe zu verlassen.“

Mit einem Hauch von Schadenfreude deutet Blogger Stanislaw Panasenko, ein Unterstützer von Ex-Präsident Poroschenko, in einem Post auf Facebook die Verschiebung des Gipfels als einen weiteren Misserfolg von Präsident Selenskyj. Er erwähnt Ramstein in einem Atemzug mit der Absage des für November geplanten hochrangigen „Friedenssummits“ und stellt fest, dass Selenskyjs „Friedensformel“ sich letztlich nur als ein Stück Papier entpuppt habe.

Unterdessen wird am Stadtrand von Wuhledar, im Südosten des Landes, weitergekämpft. Auch das nahe gelegene Kurachowe wurde vermehrt mit Artillerie angegriffen. Kurachowe, fürchtet das Portal focus.ua, droht möglicherweise eine ähnliche Schlacht wie um das Werk Asowstal in Mariupol. Und auf allen Karten markieren rote Pfeile der angreifenden russischen Armee deren langsames Vordringen Richtung Westen.

Auch im Hinterland, also nicht in unmittelbarer Frontnähe, gab es in den letzten Tagen erneut Verletzte und Tote. In Stepanivka, Region Cherson, wurden bei einem Angriff auf eine soziale Einrichtung zwei Krankenschwestern verletzt. In Cherson wurde eine Person durch russischen Beschuss verwundet, einen Tag zuvor wurde ein Mensch getötet, 16 weitere verletzt. Bei einem Drohnenangriff auf Odessa wurden zudem 5 Menschen in einem mehrstöckigen Haus verletzt, berichtet ua.korrespondent.net. In der Region Donezk wurde am Dienstagmorgen ein Mensch getötet, in Kostjantyniwka gab es elf Verletzte, so Vadym Filashkin von der örtlichen Militärverwaltung.

Bei einem Beschuss des Dorfes Borivsk Andriivka im Bezirk Isjum wurde am Dienstagabend nach Angaben von Oleh Sinegubow, dem Chef der örtlichen Militärverwaltung, eine Person mit einem Mehrfachraketenwerfer getötet. Zur gleichen Zeit wurde im Dorf Prymorske in der Region Saporischschja eine Person getötet, eine weitere verwundet. Im russischen Gebiet Belgorod wurden nach Angaben des Gouverneurs Wjatscheslaw Gladkow 8 Menschen durch ukrainische Luftangriffe verletzt.

Am 7. September hatte das ukrainische Parlament unerlaubtes Fernbleiben von der Truppe und Desertion weitgehend entkriminalisiert. Zuvor hatte der Gesetzgeber in solchen Fällen mehrjährige Gefängnisstrafen vorgesehen. Wer sich nun 72 Stunden nach unerlaubtem Fernbleiben wieder bei einer militärischen Einheit meldet, braucht keine Strafe zu fürchten.

Dieses Gesetz war offensichtlich vor dem Hintergrund zunehmender Flucht von ukrainischen Soldaten aus ihren Einheiten verabschiedet worden. Es herrscht unter ukrainischen Männern eine allgemeine Angst vor der Militärbehörde, die wehrfähige Männer oft direkt von der Straße weg aufgreift und in einen Bus steckt. Anschließend werden sie nach einer vierwöchigen Grundausbildung direkt an „die Null“, wie man in der Ukraine die Front nennt, geschickt. „Meinen Freund haben sie auch,bussifiziert'“, berichtet die Arzthelferin Nina (Name geändert) der taz. „Er ist an einem Abend vor fünf Wochen nicht mehr von der Arbeit zurückgekommen. Sie hatten ihn in einen Bus gesteckt. Und jetzt ist er an der Null.“

Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden in den ersten acht Monaten des Jahres 2024 29.984 Verfahren wegen unerlaubten Verlassens einer Einheit eingeleitet. Zum Vergleich: 17.658 waren es 2023, im Jahr 2022 waren es 6.641. Ähnlich verhält es sich mit Deserteuren: In den ersten acht Monaten des Jahres 2024 registrierte die Generalstaatsanwaltschaft 15.559 Fälle von Desertion, 2023 waren es 7.883 Deserteure, und im Jahr zuvor 3.442.

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1 Kommentar

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  • Das Problem sind nicht die Amerikaner -- das Problem sind die Europäer. Die haben -- wie bei vielem -- den Schuss nicht gehört. Russland will seine alte Stellung als Hegemon in Ost- und Mitteleuropa wieder erlangen. Daran kann niemand in Europa -- und am allerwenigsten wir Deutsche -- Interesse haben. Oder glaubt irgendwer wirklich, dass die EU und die NATO das überleben? Und wer garantiert dann unsere Sicherheit und unseren Wohlstand? Sicherlich nicht die Bundeswehr alleine, und Deutschland als Exportnation wird alleine auf der Welt auch nicht viel stemmen.



    Für die anderen europäischen Länder gilt das ebenso.



    V.a. aber: glaubt irgendwer, dass z.B. die Litauer und Polen besonders scharf sind auf ein Lebensmodell Kasachstan? Die stimmen mit den Füßen ab -- wie zuvor dann schon die Ukrainer. Können wir das wollen?



    Es wird uns also nicht viel anderes übrig bleiben, als die Ukraine weiterhin und in erheblichem Maße zu unterstützen. Und nicht, weil die unsere Werte und die Freiheit verteidigen, sondern weil es in unserem Interesse ist.