Neue Chefredaktion für „Junge Welt“: Alte junge Welt
Die Zeitung „Junge Welt“ versteht sich als antiimperialistisch und verharmlost islamistischen Terror. Die neuen Chefs werden das fortsetzen.
Es war ein neuer Tiefpunkt einer Zeitung, die sich Antiimperialismus auf die Fahne schreibt, aber immer wieder mit Diktatoren kuschelt: Am 7. Oktober 2023, dem Tag des Angriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel und des größten antisemitischen Pogroms seit der Schoah, titelte die Junge Welt: „Gaza schlägt zurück“.
Im Artikel wurden die Ereignisse als Angriff „palästinensischer Kampfverbände“ auf „zionistische Siedlungen“ beschrieben. Über das Massaker beim Psytrance-Festival Nova kein Wort. Der Verfasser dieses Artikels: Nick Brauns.
Seit diesem Monat ist Brauns zusammen mit Daniel Bratanovic das neue Chefredakteur-Duo der Jungen Welt. „Veränderungen […] wurden notwendig, weil sich die junge Welt auf verschärfte Auseinandersetzungen sowohl bezüglich des politischen Umfeldes als auch der Branchenentwicklung einstellen muss“, hieß es offiziell zum Wechsel. Mit dieser Personalentscheidung dürfte sich die Blattlinie allerdings kaum verändern.
Die Junge Welt ist die älteste noch bestehende linke Zeitung Deutschlands. 1947 in der sowjetischen Besatzungszone gegründet, war sie zwischenzeitlich das auflagenstärkste Blatt der DDR. Die „marxistische“ Tageszeitung berichtet über klassische linke Themen wie Arbeitskämpfe, Streiks oder Antifarecherchen. Laut Verfassungsschutz hat sie rund 20.000 Abonnent:innen.
Allzu klassisch ist auch das Weltbild: In der antiimperialistischen Weltsicht, wie die Junge Welt sie pflegt, sitzt der Feind in Washington und selbstverständlich auch in Israel. Wer sich den bösen Imperialisten entgegenstellt, wird hofiert – egal ob Putin, Hamas oder selbst Kim Jong Un. Die Welt bei der Jungen Welt ist klar geordnet. Und die Sympathie liegt bei Regimen, die dem Namen nach kommunistisch sind oder es zumindest mal waren.
Hisbollahnahe Autoren
Dazu passt das neue Duo gut. Co-Chefredakteur Brauns schreibt seit Ende der Neunziger für das Blatt, 2006 leitete er das Regionalbüro der Zeitung in München. Er arbeitete von 2007 bis 2021 auch als Referent der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke, die selbst früher bei der Jungen Welt war.
Der Gaza-Text ist nicht Brauns einzige journalistische Entgleisung: 2007 gab er einen Sammelband heraus, in dem zu einer links-dschihadistischen Querfront aufgerufen wird – samt Autoren, die der Hisbollah nahestehen. Er fordert ein „Bündnis des islamisch-religiösen Widerstands gegen Imperialismus und Zionismus mit der säkularen Linken“.
Und als im August 2022 die damalige Linken-Vorsitzende Janine Wissler zusammen mit einer Delegation weiterer Abgeordneten die Ukraine besuchen wollte, um sich mit Opfern des russischen Angriffskriegs zu treffen, veröffentlichte Brauns einen Text in der Jungen Welt mit Details über die geplante Reise.
Aus Sicherheitsgründen musste die Reise, die auch von der taz hätte begleitet werden sollen, abgesagt werden. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner sagte der taz, die Infos seien absichtlich so veröffentlicht worden, um die Reise zu sabotieren.
Auch Bratanovic ist kein Unbekannter, er leitete zuvor das Themen-Ressort der Jungen Welt. Eine seiner ersten Amtshandlungen als neuer Co-Chefredakteur: Er hielt eine Rede auf der 75-Jahr-Feier der DDR, die die Zeitung im Berliner Kino Babylon organisierte. Gesprochen hat auch der Ex-SED-Chef Egon Krenz, der in den Mauerschützenprozessen wegen Totschlags verurteilt wurde.
Zärtlichkeit im Umgang mit autoritären Machthabern
Der offizielle Grund für den Wechsel an der Spitze: Vom vorherigen Chefredakteur Stefan Huth habe man sich „wegen Problemen in der Redaktion und bei der Umsetzung der Blattlinie“ getrennt, heißt es.
Die Trennung dürfte aber eher an seinem Umgang mit Mitarbeiter:innen der Zeitung gelegen haben, so erzählen es zumindest manche, die mit der Situation vertraut sind. Auf eine Anfrage der taz reagierte Huth nicht.
Was die Zärtlichkeit im Umgang mit autoritären Machthabern angeht, wich Huth nicht von der erkennbaren Blattlinie, ganz im Gegenteil. So war Huth im Oktober 2023 bei dem Kongress Waldai-Forum im russischen Sotschi zu Gast.
Ami ist an allem schuld
Er wagte vorsichtig eine kritische Frage an Wladimir Putin höchstpersönlich. Weshalb arbeite Russland, das ja die „spezielle Militäroperation“ (O-Ton Huth) in der Ukraine mit antifaschistischen Motiven rechtfertige, mit rechtsradikalen Parteien wie der AfD zusammen? „Das ist sehr verwirrend für Antifaschisten in Deutschland“, so Huth.
Putin entgegnete, es würde ja nicht die ganze AfD zu Nazi-Kundgebungen gehen. Später kam der russische Präsident auf die Frage zurück, offenbar war ihm noch etwas eingefallen: Verantwortlich für den Aufstieg der AfD sei nämlich – wer sonst? – der Ami. Die USA „zerquetschen ihre Verbündeten“, deshalb „erhebt die Alternative für Deutschland ihr Haupt“.
Die Junge Welt druckte Wortmeldung plus Antwort als Interview ab, unter der Überschrift „Putin im Gespräch mit jW: Alles, was profaschistisch ist, verurteilen wir unbedingt.“
In der Palästina-Protestszene vertreten
All das ist nichts Neues. Die Junge Welt ist gar nicht mehr so jung. Doch das antiimperialistische Weltbild, das die Zeitung vertritt, erfreute sich in den vergangenen Jahren in weiten Kreisen der linken Szene Beliebtheit.
In der Palästina-Protestszene verbinden sich antiimperialistische Weltdeutungen mit postkolonialer Theorie. In mehreren Städten haben sich in den vergangenen Jahren autoritär-kommunistische Gruppen gegründet.
Beim sogenannten Palästina-Kongress im April in Berlin, bei dem Redner*innen sprechen sollten, die immer wieder Terrorismus verherrlicht hatten, und der kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst wurde, war die Zeitung mit einem Infostand vertreten. Dazu erschien auch eine Sonderbeilage mit demselben Wording des Kongresses: „Wir klagen an!“
Eng mit der DKP
Da könnte man meinen, dass die Junge Welt auf ein Revival hoffen dürfte. Doch sie scheint in diesen Kreisen keine herausgehobene Rolle zu spielen: Jüngere antiimperialistische Gruppen wie beispielsweise Zora oder Young Struggle organisieren sich eher über Social Media, als dass sie in dem „marxistischen“ Traditionsblatt stattfinden.
Enger sind hingegen nach wie vor die Verbindungen zu ganz besonders traditionell orientierten linken Gruppen wie der dogmatisch-marxistischen Partei DKP. Mehrere Redaktionsmitglieder sind Mitglied der Partei, so der neue Co-Chef Daniel Bratanovic, der im Berliner Vorstand der Partei ist.
Die DKP wird, so wie die Junge Welt, vom Verfassungsschutz beobachtet. Ob das notwendig ist, sei dahingestellt. Eine nachrichtendienstliche Erkenntnis zur DKP aus Brandenburg lautet: „Die Partei ist überaltert.“ Für diese Einschätzung, die auch bei der Jungen Welt zutrifft, hätte man definitiv keinen Geheimdienst gebraucht.
In einer früheren Version des Textes hieß es, der sogenannte Palästina-Kongress sei aufgelöst worden, weil Redner*innen immer wieder Terrorismus verherrlicht hatten. Wir haben die sprachliche Ungenauigkeit korrigiert. Korrekt ist: Er wurde aufgelöst, weil Menschen, die dort sprechen sollten, davor Terrorismus verherrlicht hatten.
Richtigstellung: In der taz vom 9.10.2024 haben wir unter der Überschrift „Alte junge Welt“ berichtet, dass am 8.10.2023 auf der Titelseite der Jungen Welt „Gaza schlägt zurück“ zu lesen war. Das stimmt nicht.
Dem Text haben wir zudem vorgeworfen, kein Wort über das Massaker beim Psytrance-Festival Nova zu verlieren. Das Ausmaß des Terrors war zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Textes der Jungen Welt noch nicht umfassend bekannt. Wir bitten, den Fehler und die Ungenauigkeit zu entschuldigen. Die Redaktion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel
Linkspartei nominiert Spitzenduo
Hauptsache vor der „asozialen FDP“
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Wählerwanderung in den USA
So viele Schwarze Stimmen
Angst nach den Angriffen in Amsterdam
Das waren Hetzjagden