Schlapp gegen Nazis und Putinisten: Der Erste macht das Licht aus
Der Staat lässt die antifaschistische Zivilgesellschaft im Stich. Da ist es höchste Zeit, sich sehr intensiv um sein Privatleben zu kümmern.
Was nun das Judenproblem angeht, so sehen Sie das ganz falsch. Denken Sie einmal, unter den Berliner Ärzten waren 85 Prozent Juden, den Rechtsanwälten 75 Prozent. Es ist doch vollkommen selbstverständlich, daß dieser Zustand eines Tages als unmöglich angesehen wurde.“
In einer Gegenwart, die von der Sorge um zu wenig Zuwanderung ins gar nicht mehr so spitzendolle Tschörmany geprägt sein müsste, kennt dieses Land keine Parteien mehr, sondern hat sich „vollkommen selbstverständlich“ auf ein Gebilde in den geistig-moralischen Grenzen von 1933 geeinigt, für das obiges Zitat aus einem Brief des Dichters Gottfried Benn einstehen kann.
Es ist absolut absehbar, dass auf den derzeitigen national-sozialen Taumel ein krachendes 1945 folgen wird, insbesondere deswegen, weil rationale Forderungen wie ein AfD-Verbot fast nur noch von Outcasts wie dem FDP-Ortsverein Kreuzberg erhoben werden – höchst ehrenwerte Leute, gewiss, die aber die heroische Minderheitsposition zur Lebensmaxime erhoben haben.
Nach Heroismus ist mir nun überhaupt nicht. Die Zwischenzeit zwischen niederträchtiger Entgrenzung und notwendig folgendem Großkater muss ich nicht live miterleben.
„Deutschland, gute Nacht!“
Wenn sich die immer noch klare Mehrheit einfach nicht gegen die – zweifellos weiter wachsende – Minderheit der mit dem mörderischen Putinschen Mafiastaat verbündeten Gebilde AfD und BSW durchsetzen möchte, dann geht es mir wie der großartigen Schriftstellerin Vicki Baum, deren Autobiographie ich gerade gelesen habe: „Ich bin nicht nur nicht in dieser Zeit zu Hause, dieser Gegenwart, sondern fühle mich auch ständig verärgert und gereizt, nicht gewillt weiter mitzumachen, ja in wütender Opposition. Für eine Schriftstellerin ist das eine kleine Tragödie, weil das den Nervus sympathicus lähmt, der alles Fühlen, Denken und Schaffen in Bewegung setzt.“
Es war dieser noch funktionierende Nervus sympathicus, der Vicki Baum schon 1932 auf die richtige Spur setzte, ihren Lebensmittelpunkt zügig zu verlegen. Sie schreibt, quasi vorausschauend zum Duell Woidke vs. Brandenburger AfD-Nazi oder MerzScholz vs. Höcke: „Wenn der Sieg eines müden, senilen, nicht übermäßig gescheiten alten Soldaten wie Hindenburg über einen widerlichen, hysterischen Emporkömmling das beste ist, was wir erreichen können – dann, Deutschland, gute Nacht!“
Und was haben solche, gerade auch für die meisten in meinem eigenen, noch demokratischen Lager – das ist immer das niederschmetterndste – abseitigen historischen Bezüge in einer Haushaltskolumne verloren?
Auf die Haushaltsauflösung vorbereiten
Nun, ein Haushalt mit den in ihm Lebenden ist konkret. Wenn ich zu konzisen Analysen oder flammenden Appellen nicht mehr in der Lage bin, weil mir der Adressat abhandengekommen ist, und ich also meinen Beruf sozusagen nur noch auf Sparflamme ausüben kann, dann muss dennoch das Essen gekocht, die Windel gewechselt und die Wäsche gewaschen werden; dann trage ich weiterhin Verantwortung in meiner Familie.
Die heimelige Routine inmitten einer täglich gemeiner werdenden Umgebung hat etwas Freundliches, aber sie lullt auch ein. Wenn mich ein Brief erreicht wie der oben zitierte von Benn, dann möchte ich meine Liebsten gern außerhalb des Zugriffsbereichs von Nazis und ihrem toleriert-toleranten Anhang wissen. Wie Vicki Baum sagt: „Ich wurde von einem dunklen Drang getrieben, meine Kinder in einem Land aufzuziehen, das sicherer war als dieses verzweifelte, von Desperados wimmelnde Deutschland. Ich habe zwei nette Jungen – was wird Deutschland aus ihnen machen?“
Einen Haushalt führen – das heißt in diesen Zeiten eben nicht zuletzt: sich auf die Haushaltsauflösung vorbereiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein