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Koalitionen in OstdeutschlandGeschwister im Geiste

Kommentar von Thorsten Holzhauser

Dass die Union mit dem BSW koalieren könnte, hat nicht nur taktische Gründe. Die beiden Parteien haben erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.

Mario Voigt (CDU) und Katja Wolf (BSW) begrüßen sich schon mal überaus freundlich Foto: dpa

J ahrzehntelang schloss die Union jede Zusammenarbeit mit Kommunisten aus – und warf der Sozialdemokratie immer mal wieder vor, den antiextremistischen Konsens zu verraten. Mit extremen Parteien koaliert man nicht und mit linken schon gar nicht. So lautete das Diktum der CDU in Zeiten des Kalten Kriegs, an dem aber auch nach der „Wende“ festgehalten wurde.

Das Bild, das sich Unionsmitglieder von Sahra Wagenknecht machten, passte dazu perfekt: Ob man sie nun primär als Kommunistin, als DDR-Apologetin oder als Kreml-Freundin ansah – oder alles zusammen –, so funktionierte sie als Schreckgespenst wunderbar.

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt sich dieser Tage, wenn die Parteigründerin nun von einem Sondierungsgespräch mit CDU-Politikern zum nächsten reist – mit dem Ziel, in gleich drei Bundesländern ein gemeinsames Regierungsbündnis zu bewerkstelligen.

Dass die Union im Osten wenige Alternativen hat, ist offensichtlich: Will sie ihr antiextremistisches Erbe nicht vollends aufgeben, indem sie mit der rechtsextremen AfD kooperiert, bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit Wagenknecht zu reden. Doch für die CDU gibt noch andere Gründe, über ihren Schatten zu springen.

In der Migrationspolitik kaum zu unterscheiden

Da wäre zunächst eine machtstrategische Dimension, denn ein Bündnis mit dem BSW könnte das strukturelle Langzeitproblem der CDU lösen, das sich bisher aus ihrer Abgrenzungsstrategie ergab: ihre begrenzte Bündnisfähigkeit. Weil sie bisher Kooperationen mit Links- und Rechtsaußen ausgeschlossen hat, war die Union effektiv auf Bündnisse mit SPD, FDP und Grünen angewiesen. Hatten diese keine Mehrheit, wie es heute in Ostdeutschland der Fall ist, wurde es eng. Das hat sich bereits in den vergangenen Jahren in Thüringen gezeigt.

Dass die Union dort fünf Jahre lang eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow tolerierte, konnte sie nur schwer begründen. Mit Wagenknechts neuer Partei dagegen ist das koalitionsarithmetische Spiel wieder auf null gesetzt: Der antiextremistische Konsens wird mit Blick auf das BSW erst gar nicht bemüht, gilt es doch, einen potenziellen Partner zu umwerben, statt ihn von vornherein auszuschließen.

Während die taktischen Motive auf der Hand liegen, gibt es aber auch inhaltliche Gründe, Koalitionen auszuloten. Wie politikwissenschaftliche Analysen gezeigt haben, bestehen zwischen BSW und CDU mehr Gemeinsamkeiten, als man denken könnte. Am offensichtlichsten zeigen sich diese in der Migrationspolitik.

Ob es nun um die Begrenzung von Sozialleistungen für Asylsuchende geht oder um die Verlagerung von Asyl- und Prüfverfahren an die EU-Außengrenzen oder an Drittländer: Die Vorschläge, die man zuletzt aus BSW und CDU hören konnte, sind kaum voneinander zu unterscheiden. In beiden Parteien wird Migration als ein ganz maßgebliches Problem angesehen, das es zu begrenzen gilt. Zudem haben es sich Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht gleichermaßen zur Aufgabe gemacht, die AfD durch eine Light-Version ihrer Politik zu halbieren – auch wenn damit bisher die einen so wenig Erfolg haben wie die anderen.

Beide hassen „Gender-Gaga“ und die Grünen

Auch in gesellschaftspolitischen Fragen sind beide Parteien vereint im Kampf gegen „Gender-Gaga“ und „Cancel Culture“. Längst ist Sahra Wagenknecht Teil jenes Welt-, Bild- und Nius-Kosmos geworden, in dem auch CDU-Politiker und nahestehende Publizistinnen regelmäßig die Beschneidung der Meinungsfreiheit durch „woke“ Linke diskutieren. Ganz wie die CDU tritt auch das BSW als Partei der „Normalen“ auf, die von Eliten und Minderheiten umerzogen werden sollen.

Selbst in der Wirtschaftspolitik gibt es bemerkenswerte Überschneidungen zwischen CDU und BSW. Funktionierende Marktwirtschaft, fairer Wettbewerb und eine Politik für den Mittelstand sind nicht nur Schlüsselvokabeln der Union. Sie stehen so auch im BSW-Programm.

Dass sich die Ex-Kommunistin Wagenknecht seit Jahren auf den CDU-Kanzler Ludwig Erhard und seinen Ordoliberalismus beruft, macht sich in den ökonomischen Zielen ihrer neuen Partei bemerkbar. Auch Wagenknechts Plädoyer für Technologieoffenheit statt klimapolitischen Verboten kann man in der CDU unterschreiben. Die Grünen gelten aktuell in beiden Parteien als Hauptfeind.

Selbst mit den Wagenknecht-Forderungen nach einem höheren Mindestlohn und mehr Umverteilung werden Konservative umgehen können – dank jahrelanger Koalitionserfahrung mit dem linken SPD-Flügel, der nichts anderes forderte.

Außen- und sicherheitspolitisch ist die CDU gespalten

Und was ist mit der Außen- und Sicherheitspolitik? Hier lauern für mögliche Bündnisse aus CDU und BSW die größten Gefahren. Das liegt weniger daran, dass Wagenknechts Kritik an der Nato und an der westlichen Russlandpolitik in der Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl auf eine geschlossene Abwehrfront träfe. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die BSW-Positionen werden längst von Teilen der CDU unterstützt, nicht zuletzt vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer.

Doch genau hierin liegt das Problem. Ähnlich wie ein Bündnis zwischen SPD und Linkspartei im Bund lange unmöglich war, weil es die Sozialdemokraten über den Umgang mit der Agenda 2010 zerrissen hätte, könnte die Außenpolitik die Christdemokraten zerreißen. Würde sie in der Ukrainepolitik ganz auf Wagenknechts Forderungen eingehen, würde sich schnell zeigen, wie gespalten sie selbst in dieser Frage längst ist. Ihre pro-westliche Tradition kann die Union nicht einfach so ablegen.

An dieser Front wird sich daher zeigen, wie ernst es Wagenknecht mit ihrer Bereitschaft meint, Verantwortung zu übernehmen. Will sie in Sachsen und Thüringen tatsächlich zu stabilen Regierungen beitragen, sollte sie der CDU nicht zu viele Zugeständnisse abringen. Der Schatten, über den die Union springen muss, ist auch so schon groß genug.

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12 Kommentare

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  • Die AfD hängt sich mit ganzer Kraft an den demokratischen Karren, um diesen umzuwerfen. Die BSW-Sekte ist der Hebel einer Querfront und die Verräter der CDU sind wieder mal die von Papen's. Das Trittbrett zur Erfüllung der Träume des Faschismus.

    Das läuft hier und alle schauen wieder nur zu!

  • Wagenknechts unermüdlicher Marsch nach rechts ist ja seit mehreren Jahren offensichtlich. Interessant ist aber, wie viele ehemalige Linke ihr folgen. Richtiggehend witzig ist z.B. die 180°-Wende von Frau Mohamed Ali.

  • Das sind aber viele Worte für "ausländerfeindlich und reaktionär".

  • Sowohl die Union als auch das BSW wollen eines zuallererst: Macht. Dass man sich nach der Windrichtung und keineswegs nach Grundsätzen richtet, das beweist die Diktion der jeweiligen Parteigranden hinlänglich.

    • @Perkele:

      Genau so isses. Das ist mehr oder weniger die einzige wirkliche Gemeinsamkeit. Wenn es zur Koalition kommt, wird es natürlich spannend: wer zieht wen über den Tisch??

      Wenn ich jemand wäre der wettet, würde ich auf BSW setzen. Die sind taktisch gewiefter und haben eine Vorstellung davon wohin sie wollen, was man von der CDU so nicht behaupten kann. Auf der anderen Seite hat ja Merz jetzt Merkel als Ratgeberin die als alte FDJ-Funktionärin ebenfalls politisch-taktisch gewieft ist, Auch wenn man bei ihr nicht genau weiss für wen sie eigentlich arbeitet. Was auch immer Merkel will, ist wahrscheinlich nicht das was Merz anvisiert. Aber ich halte SW für taktisch gewiefter als AM und FM und die ganze CDU zusammen, daher meine Wette.

      Diese Koalition CDU und BSW würde auf jeden Fall sehr interessant werden,

      • @Gerald Müller:

        Tja, wenn's nur interessant bleibt, habe ich nix dagegen, doch ich fürchte sehr, dass es eher gefährlich wird.

  • Dann müssen sie die Sicherheit noch unter einen Hut bringen und irgendeine Nichts sagende Formulierung zur Außenpolitik und alles wird gut.

  • Man lese und staune…

  • 6G
    611245 (Profil gelöscht)

    Und der Schatten der SPD erst… Im Prinzip wird alles rückabgewickelt werden, was die letzten Jahre seitens SPD und Grünen aufgebaut wurde. Da kann sie mit ihren 6% nicht viel dagegen tun… .

    Wie will die SPD dann eine Regierungsbeteiligung begründen?

    Ohne die Campact-Kampagne hättes es übrigens gelangt für CDU,SPD und Grüne.



    Das ging voll nach hinten los. Zwar die PDL „gerettet“, aber die Macht verloren.



    Nunja.

  • Es ist doch schonmal klar, dass CDU und BSW sehr gut zusammen passen.



    CDU und BSW zwar nicht, aber Merz und Wagenknecht sehr wohl.



    Beide nie politisch verantwortlich (Merz hat wenigstens auch mal richtig gearbeitet).



    Beide vertreten teilweise schlimme ausländerfeindliche Ideologien und Merz wird auch bald für Frieden gegen die Interessen der Ukraine.



    Wer weiß, vielleicht schreiben beide bald gemeinsam ihre antidemokratischen Ideen auf einen gemeinsamen Bierdeckel.



    Demokratie heißt, sich auf neue Mitstreiter einzulassen, auch wen es knirscht.

  • Die CDU und eine Nachfolgepartei der SED haben im Osten Übereinstimmungen?



    Es fällt mir schwer, hier nicht an die alten DDR-Blockparteien denken zu müssen.



    Dieses Narrativ bespielt die AfD jetzt seit längerem.

    Und wäre ich ein konservativer Wähler im Osten, würden sich mir die Haare sträuben, wenn die von mir gewählte Partei mit dem politischen Gegner koalieren würde.

    Diese Partei würde ich dann niemals wieder wählen.



    Zum Glück bin ich liberal und dieses Dilemma stellt sich den Liberalen aufgrund identischem Versagens in der letzten Runde nicht mehr.

  • Die CDU kann nicht nur nicht einfach ihre „pro-westliche Tradition“ aufgeben. Sie wird es bis auf ein paar Ostpolitiker auch gar nicht wollen. Warum sollte sie auch?