Aufarbeitung des Evergrande-Skandals: Tricks, um reich zu werden
China arbeitet die Pleite des Immobilienkonzerns Evergrande auf und findet Schuldige vor allem: im Westen. Der ist Vorreiter in Sachen Wirtschaftsbetrug.
E nde August 2024 verhängte das chinesische Finanzministerium eine horrende Bußgeldstrafe gegen den international renommierten Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers (PWC). Die Summe belief sich auf ca. 500 Mio. RMB (etwa 70 Mio. Euro).
Der Vorwurf: Der internationale Wirtschaftsprüfer habe die frisierte Bilanz des längst in Zahlungsnot geratenen Immobilienriesen Evergrande absichtlich verschleiert und durch Windbuchungen aufgebläht, sodass die schwer angeschlagene Firma zwischen 2018 und 2020 noch drei Betriebsanleihen durch die chinesische Börsenaufsicht durchgewunken bekam.
Auf den ersten Blick war die Strafverhängung ein normaler Verwaltungsakt. Immerhin, so hieß es, leide am Ende auch der Ruf der chinesischen Behörden.
Eine Staatsfarce
Die Ironie besteht darin, dass dieselben Behörden in dem Zeitraum, als PWC die Bücher von Evergrande frisierten, nach Kräften dafür gesorgt hatten, dass niemand, weder im Ausland noch in China Verdacht über die Bonität von Evergrande äußerte.
Die Ratingagentur Standard & Poor's zum Beispiel warnte bereits 2021 mit einer Herabstufung der Evergrande-Bonität auf Ramsch-Ebene (B-). Doch zur gleichen Zeit stuften alle drei chinesischen regierungsnahen Ratingagenturen Evergrande auf die höchste Vertrauenswürdigkeitsklasse (AAA+) ein – bis heute unbestraft, nicht einmal ein Ermittlungsverfahren gegen die chinesischen Staatswirtschaftsprüfer wurde bisher eingeleitet.
War der Skandal um Evergrande nur ein Betrugsfall eines einzelnen internationalen Wirtschaftsprüfungsriesen – oder eine Staatsfarce? Alles deutet auf letzteres hin: Zuerst ermutigte China eigene Unternehmensriesen zur Illegalität. Dann, wenn die Krise nicht mehr zuzudecken ist, sucht und findet es schnell einen Sündenbock im Ausland, am besten im feindlichen Westen.
Im Westen nichts Neues
Oh, der arme Westen? So einfach ist die Realität nicht. Frisch ist noch die Erinnerung daran, dass die KPMG, ein ähnlich renommierter Wirtschaftsprüfer wie PWC, 2016 ihren Ruf als unbestechlich zuverlässiger Auditor für Unternehmen rund um den Globus verpfändet hatte, um einem chinesischen Käufer für den deutschen Flughafen Frankfurt-Hahn die Vertrauenswürdigkeit zu bescheinigen. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz stand völlig in Erklärungsnot und wäre darüber beinahe gestürzt.
Jenseits renommierter Wirtschaftsprüfer geht es bisweilen noch wilder zu: 2023, bei einem New Yorker Prozess gegen Donald Trump wegen geschäftlicher Betrügerei, zitierten Strafverteidiger die Deutsche Bank als Zeugen. Die Betrüger um Trump hatten etwa den Wert einer Immobilie, die höchstens 80 Mio. US-Dollar wert sein sollte, auf 2,5 Mrd. Dollar frisiert. Vertreter der Deutschen Bank gelobten, für sie seien derartige Luftbuchungen „geschäftsübliche Praxis“.
Am Ende befand eine Jury Donald Trump in 34 Anklagepunkte für schuldig. Eine Gefängnisstrafe könnte am 26. November, drei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen, eventuell noch verhängt werden.
So viel zum Renommee der Wirtschaftsriesen im Westen – egal, ob Wirtschaftsprüfer oder Großbanken. Angesichts dessen sollte man sich noch einmal die finanzielle Devise von Bertolt Brecht ins Gedächtnis rufen.
Sinngemäß geht sie so: Es gibt zwei Wege, sehr schnell sehr reich zu werden. Der eine besteht darin, eine Bank zu überfallen. Der andere: eine zu gründen. Für letzteren hilft es erheblich, wenn man durch eine autoritäre Regierung geschützt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien