: Mehr als grün
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ umfasst viel mehr als nur ökologische Kriterien. Auch soziale Aspekte spielen eine wichtige Rolle, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels
Von Kristina Simons
Kind und Karriere? Auch wenn viele Unternehmen heutzutage betonen, wie familienfreundlich sie sind, stoßen Eltern in der Realität doch häufig an Grenzen. Laut einer Umfrage des Karriereportals Stepstone gab die Hälfte der mehr als 2.000 berufstätigen Eltern mit Kindern unter zehn Jahren an, von ihrem Unternehmen beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit keine Unterstützung erhalten zu haben. 29 Prozent zogen deswegen sogar eine Kündigung in Betracht.
Vor allem für Frauen wird die Elternzeit häufig zum Karrierekiller. Damit sie das nicht wird, hat der Outdoor-Ausrüster Vaude aus Tettnang auf dem Betriebsgelände für die Sprösslinge der Mitarbeitenden das Vaude Kinderhaus eingerichtet. Und das schon 2001, als es gerade in kleineren Kommunen und ländlichen Gegenden kaum arbeitnehmerfreundliche Betreuungsangebote und auch noch keinen gesetzlich verankerten Anspruch auf einen Kindergartenplatz gab. „Unser Kinderhaus sehen wir als einen gesellschaftlichen Beitrag, als Unterstützung für unsere Mitarbeitenden und natürlich aus unternehmerischer Sicht als wichtige Rahmenbedingungen für unseren Erfolg, da wir die Kompetenzen aller brauchen und wir mit diversen Teams sehr leistungsfähig und innovativ sind“, sagt Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz, deren vier Kinder ebenfalls im Kinderhaus betreut wurden. Die Leiterin des Kinderhauses, Sylvia Roth, bestätigt, dass drei bis vier Kinder auch bei den Führungskräften nichts Außergewöhnliches sind. Die betriebliche Kinderbetreuung sowie flexible Arbeitszeitmodelle dürften dazu beigetragen haben, dass in den Chefetagen von Vaude zu 44 Prozent Frauen arbeiten.
Was Vaude mit dem Kinderhaus und noch vielen weiteren Unterstützungsangeboten für die Beschäftigten umsetzt, ist sozial nachhaltig. „In der Unternehmenspraxis wird Nachhaltigkeit leider immer noch häufig sehr einseitig ‚grün‘ interpretiert“, sagt Alexandra Schädler, Referatsleiterin im Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung. Zur ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit gehöre aber immer auch eine soziale und eine ökonomische Perspektive.
Soziale Nachhaltigkeit meint, dass Unternehmen auf angemessene Arbeitszeiten und flexible Arbeitsmodelle, eine faire Entlohnung und Lohngleichheit, auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Jobsicherheit, Mitbestimmung der Beschäftigten, ein gutes Betriebsklima, Mobilitätsangebote wie Jobrad, Jobticket oder E-Ladesäulen, auf soziale Sicherheit und Sozialleistungen, eine interne Feedbackkultur sowie Vielfalt und Chancengleichheit achten. Soziale Nachhaltigkeit schließt auch die Lieferkette mit ein. So achtet beispielsweise Vaude bei ihren Produzent:innen auf die Einhaltung der Menschenrechte und führt regelmäßig Trainings zur Verbesserung von Sozialstandards durch. Die tatsächliche Umsetzung in sämtlichen Produktionsstätten lässt Vaude jedes Jahr von Fair Wear überprüfen, einer unabhängigen Non-Profit-Organisation, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie einsetzt und sehr hohe Standards setzt.
Auch Sonett achtet auf soziale Nachhaltigkeit: Der Wasch- und Reinigungsmittelhersteller, der in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde, schüttet zum Beispiel einen Teil der Gewinne an die Mitarbeiter:innen sowie selbst gegründete Sozialeinrichtungen aus und spendet einen weiteren Teil für Forschungs- und Wohltätigkeitszwecke wie heilpädagogische und künstlerische Kulturprojekte. Das vor einigen Jahren als Stiftung konstituierte Unternehmen besetzt alle Führungspositionen konsequent zu zweit, „um Kooperationen, ein modernes Rollenverständnis und vor allem Synergien aus polaren individuellen Veranlagungen zu fördern.“ Die Hamburger Sparkasse (Haspa) hat sich unter anderem flexible Arbeitszeitmodelle und eine gleichberechtigte Vergütung, Gleichbehandlung und Mitbestimmungsrechte, Weiterbildungen und Mentorings sowie die Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten in ihre Richtlinien geschrieben. Außerdem unterstützt die Haspa als Partnerin und Sponsorin soziale Projekte und kulturelle Initiativen.
„Bislang ist soziale Nachhaltigkeit vor allem dort gut verankert, wo es starke Mitbestimmungsstrukturen gibt, die die unternehmerischen Veränderungsprozesse zum Wohle der Beschäftigten unterstützen“, sagt Schädler. „Instrumente wie das Betriebsverfassungsgesetz, das europäische Betriebsrätegesetz (EBRG), Tarifverträge und Globale Rahmenabkommen bieten konkrete Möglichkeiten, verbindliche Regelungen für eine nachhaltige und beteiligungsorientierte Unternehmensentwicklung zu treffen und damit soziale Nachhaltigkeit im Unternehmen zu institutionalisieren.“
Davon profitieren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Unternehmen selbst. „Beschäftigte stellen eine zentrale Wertschöpfungsquelle in den Unternehmen dar. Konkret heißt das: Ohne Mitarbeitende funktioniert kein Geschäftsmodell“, so Schädler. Angesichts Hunderttausender unbesetzter Stellen könne es sich also kaum ein Arbeitgeber langfristig leisten, auf soziale Nachhaltigkeit zu verzichten. „Denn Mitarbeiter:innen und Bewerber:innen orientieren ihre Entscheidungen über den Arbeitsplatz zunehmend an sozialen Kriterien und möchten für Unternehmen arbeiten, für die Diversität, Inklusion und moderne Arbeitszeitmodelle selbstverständlich sind.“ Soziale Faktoren führen außerdem zu einer stärkeren Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen. „Durch eine geringere Fluktuation sparen sich die Unternehmen nicht nur hohe Rekrutierungskosten, sondern vermeiden auch den Brain-Drain – das wertvolle Wissen bleibt im Unternehmen und ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, der direkte Auswirkungen auf den finanziellen Unternehmenserfolg hat. So erhöhen Investitionen in die soziale Nachhaltigkeit die Arbeitgeberattraktivität sowohl aus interner als auch aus externer Perspektive.“
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