Selenskyjs „Siegesplan“: Keine Sicherheit ohne Stärke
Diplomatie ohne Militärgewalt funktioniert so wenig wie Militärgewalt ohne Diplomatie. Die Ukraine muss gestärkt werden, damit Russland verhandelt.
A us den Schlagzeilen sind die täglichen russischen Angriffe auf Zivilisten in der Ukraine längst verschwunden. Die Appelle Präsident Wolodymyr Selenskyjs, diese Angriffe durch das Ausschalten der dafür genutzten russischen Militäreinrichtungen an der Quelle zu stoppen, stoßen bei seinen westlichen Partnern auf taube Ohren. Dieselben Regierungen, die kein Problem damit haben, wenn Israel bei Luftangriffen im Libanon 500 Menschen an einem Tag tötet, fürchten einen Dritten Weltkrieg bei der Zerstörung auch nur einer einzigen Raketenabschussrampe in Russland durch die Ukraine mit westlichem Militärgerät.
Vor diesem Hintergrund fällt es leicht, den „Siegesplan“ kleinzureden, mit dem Wolodymyr Selenskyj jetzt in New York und Washington ein baldiges Kriegsende in Aussicht stellt. Anders als oft dargestellt geht es dabei nicht um die Erwartung eines wundersamen Sieges auf dem Schlachtfeld. Es geht darum, die Ukraine so weit zu stärken, dass Russland mit der Aussicht auf eine sichere militärische Niederlage an den Verhandlungstisch gezwungen wird.
Selenskyj weiß, was in Deutschland viele nicht begreifen: Diplomatisches Geschick und militärische Stärke gehen Hand in Hand. Diplomatie und Waffengewalt wollen dasselbe, mit unterschiedlichen Mitteln. „Talk and fight“ heißt das: Man muss beides tun, abgewogen und dosiert, eines allein bringt nichts. Auch die westdeutsche Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion im Kalten Krieg setzte nicht auf Abrüstung, sondern auf Abschreckung, realpolitisch begründet als notwendiges Übel.
Abschreckung im heutigen Kontext würde bedeuten, der Ukraine alles zur Verfügung zu stellen in der Hoffnung, dass es genau deswegen nicht eingesetzt werden muss. Statt der Ukraine Bedingungen für die Lieferung und den Einsatz weitreichender Waffen zu stellen, sollten westliche Länder also lieber Russland Bedingungen stellen: Wenn die Angriffe auf Zivilisten und kritische Infrastruktur in der Ukraine nicht enden, werden die dafür genutzten russischen Militäreinrichtungen zerstört. Das wäre eine Sicherheitsgarantie für die Ukraine, die den Namen verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!