Angriffe gegen jüdische Einrichtungen: Schlechte Bilanz für Staatsräson
Antisemitische Straftaten in Deutschland steigen. Auch Synagogen und jüdische Einrichtungen werden gezielt attackiert, wie eine taz-Umfrage zeigt.
Seit Jahresbeginn verzeichnet die Polizei bundesweit über 3.200 antisemitische Straftaten. Hinzu kommen fast 8.500 politische Straftaten im Kontext des Nahostkonflikts, vor allem auf Demonstrationen, von denen ebenfalls 3.464 als antisemitisch eingestuft werden. Damit steuern die Zahlen auf ein neues Allzeithoch zu, nachdem im Vorjahr bereits 5.164 antisemitische Delikte registriert wurden.
Eine Umfrage der taz in den Bundesländern zeigt, dass weiter auch Synagogen und jüdische Einrichtungen gezielt angegriffen werden. In Sachsen-Anhalt, Schauplatz des Halle-Anschlags, gab es dieses Jahr bereits 8 Straftaten gegen jüdische Einrichtungen, vor allem Friedhöfe. Im Vorjahr waren es 12, mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor.
Auch in Bayern wurden 7 Straftaten gegen Synagogen und 3 gegen andere jüdische Einrichtungen verzeichnet. In Baden-Württemberg gab es seit Jahresbeginn 6 Delikte gegen Einrichtungen und 260 antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr. Im Vorjahr waren es 668 Delikte, ein Zehnjahreshöchstwert. Und die Zahlen werden sich noch erhöhen: Das LKA Baden-Württemberg hatte direkt nach dem 7. Oktober eine zentrale Informationssammelstelle eingerichtet, wo seitdem eine „hohe dreistellige Zahl“ an Straftaten und Aktionen registriert wurde, von denen viele noch einsortiert werden müssen. Fast alle richteten sich gegen Israel.
Verfassungsschutz warnt vor noch mehr Gewalt
Thüringen meldet seit dem 7. Oktober eine mittlere dreistellige Zahl antisemitischer Straftaten und eine einstellige Zahl an Delikten gegen Einrichtungen. In Sachsen gab es dieses Jahr 6 Taten gegen Einrichtungen, in Berlin seit dem 7. Oktober 2023 7 Delikte. Hessen, Niedersachsen und Bremen verzeichnen eine niedrige einstellige Zahl. Andere Bundesländer konnten für 2024 noch keine Zahlen vorlegen oder registrierten keine Angriffe. Aber auch dort liegen die Zahlen antisemitischer Delikte insgesamt auf hohem Niveau.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einem „drastischen Anstieg antisemitischer Straftaten“. Sie betont die Verantwortung, „alles zum Schutz von Jüdinnen und Juden zu tun“. Auch die Länder bekräftigen dies. „Wir unternehmen in Hessen alles, um jüdisches Leben wirkungsvoll zu schützen“, erklärte etwa Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU). Sein NRW-Kollege Herbert Reul bekräftigte, „der Schutz jüdischen Lebens hier bei uns in Deutschland bleibt eine nicht verhandelbare Verpflichtung“.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnt, der Jahrestag des 7. Oktober könnte ein „Trigger-Ereignis“ für Proteste sein. Die aktuelle Nahost-Lage berge für gemäßigte Akteure, die gegen Israel protestierten, „große Potenziale für Emotionalisierung, Polarisierung und Radikalisierung“. Auch die Gefahr von Terroranschlägen habe sich im vergangenen halben Jahr „deutlich erhöht“.
Nach dem Anschlag von Halle 2019 wurden die Sicherheitsmaßnahmen für Synagogen und jüdische Einrichtungen bundesweit überprüft. Alle Länder betonen in der taz-Umfrage heute einen engen Kontakt der Polizei mit den Gemeinden, teils würden spezielle Ansprechpartner*innen der Polizei gestellt. Die Sensibilität vor möglichen Angriffen rund um den Jahrestag des 7. Oktober sei nochmal erhöht, wird beteuert.
Millionen für Baumaßnahmen – und ein Polizeirabbiner
Sachsen-Anhalt reagierte nach dem Halle-Anschlag mit mobilen Polizeiwachen vor Synagogen in Halle und den 2023 neu eröffneten in Dessau und Magdeburg. Seit 2020 flossen 8,8 Millionen Euro in bauliche Sicherheitsmaßnahmen, vor allem bei dem Bau der zwei neuen Synagogen. Dieses Jahr sind es weitere 1,6 Millionen Euro. Das Land übernimmt zudem bis zu 50.000 Euro jährlich für Wachpersonal. 20 neue Stellen beim LKA und 8 beim Verfassungsschutz wurden geschaffen, die sich vor allem um Straftatenaufklärung im Internet kümmern. Im September 2022 wurde in Sachsen-Anhalt mit Daniel Fabian zudem erstmals ein Polizeirabbiner eingesetzt. Bundesweit gibt es einen solchen nur noch in Baden-Württemberg.
Bayern berichtet, auch nochmal nach dem Angriff auf das Generalkonsulat in München, von „verstärkter Streifenpräsenz“ vor jüdischen Einrichtungen oder von dortigen Standposten. Jedem Gefahrenhinweis werde „akribisch nachgegangen“, versichert ein Sprecher des Innenministeriums. Seit dem Halle-Anschlag investierte Bayern 8 Millionen Euro in Sicherungsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen, in diesem und nächsten Jahr jeweils nochmal 3 Millionen Euro. Und der Sprecher kündigt an, Bayern werde den „Kampf gegen Hasskriminalität erheblich verstärken“.
Auch andere Bundesländer investieren in die Sicherheit jüdischer Einrichtungen. Baden-Württemberg gab in den vergangenen Jahren 4,6 Millionen Euro aus. Anfang 2025 soll ein neuer Staatsvertrag mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften geschlossen werden, um die Förderung der Sicherungsmaßnahmen zu verstetigen. Rheinland-Pfalz investierte seit 2019 4 Millionen Euro in zwölf Objekte.
„Gemeinden leisten mehr als das übliche Maß“
Einige Länder wie Sachsen betonen auch, dass Versammlungsbehörden Hinweise erhielten, um Straftaten auf Anti-Israel-Protesten zu verhindern. Auch wurde der Austausch der Polizei mit Ausländerbehörden intensiviert, um bei antisemitischen Delikten von Nichtdeutschen „aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu prüfen“.
Auch das Bundesinnenministerium betont, dass nach dem Halle-Anschlag dem Zentralrat der Juden 22 Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung gestellt wurden. Die Gemeinden sind für die meisten Maßnahmen selbst verantwortlich und werden vom Zentralrat unterstützt.
„Die Gemeinden leisten hier meist mehr als das übliche Maß“, sagte ein Sprecher des Zentralrats der taz. Die Unterstützung von Bund und Ländern begrüßte er: Die Vorkehrungen der Sicherheitsbehörden seien seit Halle „sichtbar verstärkt“ worden. Doch die Bedrohungslage habe sich seitdem noch weiter verschärft. Zentralratspräsident Josef Schuster bezeichnete die Protestaufrufe gegen Israel rund um den Jahrestag des 7. Oktober als „neuen Tiefpunkt der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft“.
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