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Zukunft des rheinischen KohlereviersZerstörung mit unbekannten Effekten

Die Landschaft im rheinischen Braunkohlerevier ist zerfräst. Die Folgen der gigantischen Eingriffe in die Natur sind nicht absehbar.

Die Kirche in Kerpen-Manheim bleibt. Sie wird vielleicht ein Besucherzentrum mit einer Dokumentation zur Geschichte des Reviers Foto: Sascha Steinbach

Buir taz | Die beiden Anrainergemeinden des Hambacher Waldes stehen vor einer sehr unterschiedlichen Zukunft. Morschenich im Westen, zehn Jahre lang ein Geisterdorf von 140 verlassenen und vielfach abgewrackten Häusern, hat sich jetzt zum „Ort der Zukunft“ erklärt und offiziell in Bürgewald umgetauft. Im Juli hat die Gemeinde das gesamte Areal von RWE zurückgekauft für 36,8 Millionen Euro. Ein einmaliger Vorgang.

Jetzt soll klimaschützend, flächensparend und ressourcenschonend wiederaufgebaut und neu gebaut werden. Wer zurückziehen will in die alte Heimat – bitte schön. Sogar eine Strukturwandelmanagerin hat der Ort neuerdings. 90 Millionen Wiederaufbauhilfe stellen Land und Bund zur Verfügung.

Anders in Manheim fünf Kilometer östlich. Hier geht die Vernichtung weiter. Der lukrative Kiesabbau rundherum brummt. Auch dafür wird gerodet, alle Infrastruktur zerstört. Auch das heutige Manheim soll einmal geflutet werden, ganze drei Höfe sind noch von renitenten Eigentümern bewohnt, der Rest ist traurige Brache.

Nur die Kirche steht noch. Sie soll bleiben, vielleicht einmal Besucherzentrum werden, die Geschichte des Reviers dokumentieren, mit guter Übersicht von ganz oben. Die Krefelder Journalistin Bärbel Schnell hat dazu eine schön aufbereitete Dokumentation des Widerstands erstellt.

RWE spielt auf Zeit

Nur, wenn Manheim untergeht, ist ein Biotopverbund zum Hambacher Forst unmöglich, mit „ökologischen Trittsteinen“, wie Antje Grothus das nennt. Die grüne Landtagsabgeordnete hatte im September zu einem Austausch von Fachleuten, Anwohnenden und Zivilgesellschaft in ihren Heimatort Buir gebeten, Titel „tacheles.träume.tagebau. Was passiert an Hambach?“ Das evangelische Gemeindehaus war brechend voll.

Eine zerfräste Welt braucht „ökologische Revitalisierung“ durch Waldverbünde. Das war Konsens. Nur wie, wenn Kies wichtiger ist? Der Braunkohleriese RWE spielt auf Zeit, schafft Tatsachen, auch da herrschte Einigkeit. Irgendwann, bald, sei es halt zu spät. Michael Zobel, der umtriebige Aachener Naturschützer und seit zehn Jahren Hambi-Waldführer, spottete: „Schwimmende Wälder sind mir nicht bekannt.“

Dirk Jansen vom BUND freute sich über „den gigantischen Erfolg“, dass nach dem Rodungsstopp 2018 „1,1 Milliarden Tonnen Kohle im Boden bleiben“. Nun aber brauche es endlich eine „ökologische Revitalisierung“ des Hambi-Terrains, am besten sei das durch „ein Wildnis-Entwicklungsgebiet zu erreichen“. Dafür aber müsse RWE den Wald endlich abtreten, wozu sich der Energiekonzern beim Kohledeal vom Dezember 2022 auch bereit erklärt hatte. Staatssekretär Viktor Haase (Grüne) aus dem NRW-Umweltministerium sprach von gemeinsamen Gesprächen mit „komplizierten Prozessen zur Umsetzung“.

Probleme bei starkem Wind

Die Landschaftszerstörung hat bislang unbekannte Effekte. Über Jahrzehnte hat RWE ein Terrain von der Größe Berlins umgegraben, bis 411 Meter Tiefe ausgekohlt und die Kulturlandschaft massiv zerstört. Zwei Autobahnen entstanden neu. Eine davon verläuft seit sechs Jahren hoch oben auf einem riesigen Wall mittig durch den Tagebau Garzweiler, 15 Kilometer nördlich von Hambach. Immer wieder gibt es massive Probleme bei starkem Wind, weil der auf der schrägen Böschung heftig beschleunigt. Hatte niemand recht bedacht.

Mehrfach kippten schon 30-Tonner um, mehrfach wurde die Strecke stundenlang gesperrt, es gab Unfälle und einen toten 18-Jährigen. Helfen Windschutzwände? Die öffentliche Hand winkte ab, viel zu teuer über zehn Kilometer Länge. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) riet zu warnenden Windsäcken und – sieh an – temporären Tempolimits.

Vor Kurzem tauchte aus dem Nichts eine Studie auf, im Auftrag des 2017 gegründeten Zweckverbands Landfolge Garzweiler, ein „interkommunaler Verbund“ der Anrainergemeinden. Er versteht sich als „Impulsgeber für den Strukturwandel“.

Ja, heißt es im Gutachten, Windschutzwände, kombiniert mit weitläufigen Solaranlagen, seien sogar rentabel. Eine Empfehlung gab es gleich dazu: RWE als Betreiber. Passenderweise ist RWE im Zweckverband laut Satzung selbst „beratendes Mitglied“. Motto: Erst alles kaputt machen, dann an der Reparatur der Nachfolgewelt weiter saftig verdienen. „Schon heute ist der größte Teil unseres Kerngeschäfts grüner Strom“, heißt es auf der Firmen-Website.

Riesige Seenlandschaft

Derzeit gräbt RWE immer weiter, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche, bis mindestens 2030. Zur Kohlegewinnung? Nein, selbst unter dem ehemaligen Lützerath wird keine Tonne des Klimagifts mehr gefördert. Es geht einzig um Abraum zur Abflachung von rund hundert Kilometer Böschungen der Riesengruben, bevor alles ab etwa 2070 oder vielleicht erst 2085 zur riesigen Seenlandschaft werden soll. Anderweitiges Füllmaterial ist auch willkommen, weshalb es in Garzweiler für Bodenaushub aus dem Umland extra eine Abladestelle gibt.

Für Kriminelle offenbar ein verlockender Ort. Am 3. September durchsuchten auf Initiative des Landeskriminalamts Düsseldorf 150 ErmittlerInnen Firmen im Großraum Grevenbroich und Krefeld. 27 Firmen stehen im Fokus, sie sollen tonnenweise kontaminierten Bodenaushub, falsch deklariert als harmloses Zeug, im Tagebau Garzweiler entsorgt haben; „illegale Verklappung“ nennt das eine LKA-Sprecherin, als sei man schon auf See. Vorwurf: Verdacht auf Bodenverunreinigung, banden- und gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung.

Um welche Giftstoffe es sich handelt, kann der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Dortmund, Staatsanwalt Tobias Wendt, noch nicht sagen: „Die Untersuchungen dauern an.“ Er bestätigt, dass aus anfangs sechs Tatverdächtigen sieben wurden. Drei waren vorläufig festgenommen worden, zwei wurden gegen Kaution später freigelassen, einer sitzt weiter ein.

Inwieweit die Rheinischen Baustoffwerke (RBS), die Betreiber der Abraumkippe, an den Deals beteiligt sind, „dazu laufen noch Ermittlungen“. RBS ist eine hundertprozentige RWE-Tochter, die schon 2021 bei der Flutkatastrophe an Erft und Ahr schlimme Schlagzeilen machte. Ihr gehörte die Kiesgrube am Ortsrand von Erftstadt-Blessem, die vollgelaufen spektakulär kollabierte und Häuser in den Abgrund riss. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt bis heute.

Hohe Kosten

Ab 2030 sollen die Tagebaugruben Hambach und Garzweiler gezielt geflutet werden, mit Rheinwasser über riesige Röhren, Baubeginn 2025. Zauberhafte Modellskizzen mit lauschigen Seen und chicen Yachthäfen lassen schon vom Haus am See träumen und einem Tourismusparadies. Nun gibt es das Wasserentnahmeentgeltgesetz NRW. Demnach kostet auch Rheinwasser üblicherweise 5 Cent pro Kubikmeter. Klingt wenig, summiert sich aber bei 340 Millionen Kubikmetern pro Jahr auf 17 Millionen, bei einer mindestens 40 bis 50 Jahre währenden Flutung auf Minimum 700 Millionen Euro insgesamt, bei großer Verdunstung durch die Erderhitzung made by RWE auch mehr.

Aber RWE will nicht zahlen. Ein Sprecher sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Wir entnehmen das Wasser doch nicht, um es zu verbrauchen. Wir überführen es lediglich aus ökologischen Gründen.“ Der grüne Umweltminister Oliver Krischer ist der Auffassung: Die Zahlungspflicht gelte „selbstverständlich auch zur Befüllung von Rest-Seen“. Der Landtag muss demnächst entscheiden.

Die Schaffung der größten Kunstseen Europas ist ein Eingriff in die Natur, wie es ihn bislang in dieser Dimension noch nicht gab, mit vielen Unbekannten. Steigt das Grundwasser? Wie sind Zu- und Abflüsse steuerbar, kann bei wachsendem Wasserdruck der wachsenden Seen dauerhaft Standfestigkeit des Umlandes erreicht werden, auch naher Gebäude?

Und wie kann Wasserqualität gesichert werden, welcher Müll auch immer abgeladen wurde. Greenpeace hat genau an der RWE-Entnahmestelle Dormagen eine Verdoppelung der Belastung mit den Ewigkeitschemikalien PFAS und anderen Giften gegenüber 2020 festgestellt. Der BUND spricht schon von Ewigkeitskosten in Milliardenhöhe. Michael Zobel sagt: „Der Giftcocktail für die Seen ist angerichtet. Und niemand weiß, was da schon vorher von RWE oder anderen über Jahrzehnte abgeladen worden ist.“

Schulterzucken allenthalben

Zurück in Buir: Wann endlich wird der Hambacher Wald denn in öffentliches Eigentum überführt, vielleicht in eine Stiftung? Staatssekretär Haase berichtet von den gemeinsamen Diskussionsrunden, ohne Ergebnis bislang, wenig transparent zudem. Das Publikum ist ungeduldig. Wann bitte? Haase muss sich den Spottreim anhören: „Ist dir etwas schnuppe, bilde eine Arbeitsgruppe.“ Er lächelt. Er hoffe auf erste Ergebnisse im Frühjahr.

Und was will RWE als Eigentümer für die 650 Hektar unfreiwillig nicht vernichteten Hambi-Restwald haben? Ähh … Schulterzucken allenthalben. Darauf hat niemand eine Antwort, auch der Staatssekretär nicht. „Darüber haben wir noch nicht gesprochen.“ Einer sagt, als Aktiengesellschaft den Anlegern verpflichtet, werde der Konzern das sicher nicht verschenken. Verkaufspreis zehn Morschenichs, oder mehr? Es sieht so aus, als gewinne RWE im Braunkohle-Business immer.

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4 Kommentare

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  • RWEs Kernkompetenz ist offenbar seit jeher, CDU/FDP- und SPD-Politiker einzuseifen und alle Kosten auf Dritte abzuwälzen. Viel Abstand zu einer Verbrechermentalität empfinde ich da gerade bei RWE nicht mehr.



    Handlungsbedarf!

    PS: Sprachlich zu Beginn bitte: "Beide Gemeinden" statt "Die beiden Gemeinden", denn rund um die Braunkohle-Verwüstung sind dort so einige Gemeinden auch betroffen.

  • Na klar gewinnt RWE in diesem Business immer. Die haben die politische Landschaft so gut gepflegt, dass dieser Grundsatz gar nicht wanken kann. Aber dafür gibt es noch andere Beispiele, nicht nur die Energiewtschaft. Es ist ein sich ständig selbst verstärkendes Grundübel in unserer Gesellschaft - es ist nichts weiter als das Prinzip des Stärkeren. Einige Parteien sehen darin kein Problem, etwa die Pseudopartei FDP handelt offen danach, die Union kann das besser kaschieren, SPD und GRÜNE bröckeln schon deutlich sichtbar....

  • RWE wird immer gewinnen, denn dieser Konzern ist zu groß um von der Politik ernsthaft in Verantwortung genommen zu werden. Allein bürgerlicher Protest kann hier wirken und kleine Zugeständnisse erreichen. Mehr wird nicht drin sein, denn das haben Generationen vor uns schon mit RWE ausgemacht, allein dem Gelde, der Aktionären und der Energiemonopolversorgung wegen. Damals glaubten alle noch nicht an ehrliche demokratisch geprägte Energieversorgung - alles musste von oben herab geführt werden. Wie zuvor im Reich. Wenn die Politik ein Fünkchen Anstand hätte würde sie RWE dazu verpflichten für die jetzige und zukünftige Verseuchung der Seen und Landschaft aufzukommen, soweit sie nachweislich nicht mit der Kohlegewinnung und "Renaturierung" zusammenhängt.



    Aber bereits an der Landesregierung wird all das scheitern, gerade auch unter Beteiligung der Grünen. Letztere stimmen ja auch dem weiteren Einsatz von Glyphosat zu, haben also keinerlei Interesse auf eine gesunde Lebensgrundlage für uns Bürger. Alle Analogien dazu kann sich jede(r) selbst ausmalen. Daher weiterhin jahrzehntelangen Widerstand und Druck ausüben, damit unsere Heimat lebenswert erhalten bleibt.

  • Zum Einen sind und waren die Folgen wohlbekannt - nur hat man die entsprechenden Studien in der Schublade verschwinden lassen.



    Das ist Tatbestand 1.



    Dann hat man seinerzeit, wie sich jetzt zeigt, mit Hilfe falscher Gutachten und Falschaussagen die Notwendigkeit einer Enteignung falsch behauptet. Denn sonst wäre ja der Abbau an dieser Stelle unabwendbar wie Ebbe und Flut.



    Aber das sit es ja offenbar nicht.



    Das ist Tatbestand 2.

    Ich finde beide Tatbestände sind völlig ausreichend die Gutachter und Sachverständigen von damals wegen Meineids zu verknacken.



    Natürlich unter Berücksichtigung des Gesamtschadens für die Umwelt und den deutschen Staat.

    Aber wissen sie was: Eher friert die Hölle ein.