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taz Talk mit Susan Arndt„Wer AfD wählt, ist ein Nazi“

Die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt ist in Magdeburg aufgewachsen. Sie erklärt, warum die AfD kein spezifisch ostdeutsches Problem ist.

Susan Arndt im Gespräch mit taz-Redakteur Jan Feddersen Foto: Videostill taz Talk

Im Rahmen der taz Panter Foren zu den Ostwahlen 2024 war die non-binäre Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt zu Gast im taz Talk. Gegenstand des Gesprächs: Arndts Intervention mit dem Titel „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD“.

„Was ist ostdeutsch?“ Lautete die Eingangsfrage an die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt. Ostdeutsch sei eine Position gegenüber der als Norm begriffenen Angehörigkeit zur Bundesrepublik. Gegen diese Norm konstituiere sich das Ostdeutsch-sein für Arndt als „Hassliebe“.

Der Osten habe sich 1989 von Bundeskanzler Helmut Kohl und der CDU einlullen lassen. „Keine Experimente mehr“ sei die Devise, das Leben wie in Westdeutschland das Versprechen gewesen. Das führte zur Ablehnung der Idee einer verfassungsgebenden Versammlung.

Verzwergung und ‚Leitkultur‘

In der Folge seien Ostdeutsche vom Westen verzwergt worden und konnten nicht zu den eigenen Biografien stehen. Das Unwohlsein und der Rechtfertigungsdruck (dem sogenannten Westen gegenüber) erzeugte unter die ostdeutsche Identität als ‚Andere, so Arndt‘. Heikel sei zudem der Begriff der Integration von Ostdeutschen. Hier setze auch die AfD an, sie erzähle den Topos der ‚anderen Ostdeutschen‘ weiter und konstruiere gegen Minderheiten den Begriff einer rassistischen ‚Leitkultur‘.

Arndt sagte, dass die AfD aus der Tradition des völkischen Rassismus spreche und sei deshalb kein spezifisch ostdeutsches Phänomen, sondern ein gesamtdeutsches. Die ‚bürgerliche Mitte‘ nutze den Fingerzeig auf Ostdeutschland, um sich zu entlasten. An genau jene Ver­tre­te­r*in­nen der Zentristen richte Arndt ihre Intervention.

Sie bemängelt das „solidarisierende Moment“, man müsste zugeben, in einer diversen Gesellschaft mit vielfältigen Diskriminierungsstrukturen zu leben. „Diskriminierung geschieht tagtäglich, weil dahinter ein System steckt.“

Probleme der DDR-Sozialisation

„Ich bin sehr opportunistisch sozialisiert worden“, sagt Arndt über ihr Aufwachsen in der DDR. Beim Schreiben ihres Buches, das ihr Verlag exakt als ostidentitär gesinntes Buch wollte, beschäftigte sie die Distanzgewinnung zu ihrer Kindheit und Jugend in der Diktatur. Jedoch konnte sie, anders als ältere Ostdeutsche, 1989 noch einmal neu anfangen.

So oder so wirke die DDR-Sozialisation noch nach, konstatierte die Literaturwissenschaftlerin, die an der Universität Bayreuth Professorin ist: „Es macht etwas mit dir, wenn du in einer Diktatur sozialisiert wirst. Wo Angst und Lügen zum Alltag gehören.“ Jede Art von Zivilgesellschaft, der offenen Meinungsäußerung sei durch die Diktatur-Erfahrung abtrainiert worden, so Arndt. „Die Sachen, die wir als Kinder hören, müssen wir wirklich verlernen. Das ist Arbeit. Das sind unsere unterschiedlichen Startpositionen 1989.“

Angesprochen auf die in Ostdeutschland erhöhte Popularität der rechtspopulistischen AfD sagte die Philologin, dass die etwa 30 Prozent der AfD-Wähler*innen in Ostdeutschland auch für den Rassismus der AfD stünden. Was diese Wäh­le­r*in­nen wollen, sei der völkische Rassismus, nichts weiter.

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Kein Protest oder Rebellentum

Infolgedessen seien die Handlungen und Lügen der AfD-Politiker*innen egal. „Wer AfD wählt, ist ein Nazi. Das ist kein Protest oder Rebellentum.“ Die Strategie der Brandmauer müsse im Alltäglichen als Widerstand gegen das Völkische gestaltet werden. Jedes Mal, wenn man etwas Rassistisches oder Sexistisches höre, gelte es zu intervenieren.

Der Ausfall der Zivilgesellschaft bei rechtsextremen Entgrenzungen mache ihr besonders Angst, so Arndt. Jan Feddersen, Moderator des Abends, schlug Arndt ein weiteres Gespräch vor: Darüber, ob die AfD nicht auch die gehobenen gesellschaftlichen Positionen der Grünen ausnutze, um gegen deren Positionen leicht hetzen zu können.

Der taz Talk entstand in enger Zusammenarbeit mit den taz Panter Foren, unseren politischen Podiumsdiskussionen anlässlich der Landtagswahlen 2024 im Osten. Ziel der Veranstaltungsreihe ist die Vernetzung von Menschen und Initiativen und die Bündelung und Stärkung demokratischer Kräfte.

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16 Kommentare

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  • Mit dem Begriff „Nazi“ sollten wir etwas vorsichtiger umgehen. Was aber stimmt: Inzwischen wollen viele AgD-Wähler:innen tatsächlich einen völkischen Nationalismus; einige von denen sind auch „harte“ Neonazis, und Höcke darf gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden, der Rest der Wähler:innen nimmt immerhin billigend in Kauf, dass völkisch-nationalistische Politik in Deutschland Einfluss bekommt. Das finde ich persönlich unentschuldbar.



    Zugleich haben wir das Problem, dass wir über das Grundgesetz in Teilen viel zu schlecht sprechen, obwohl wir eine ziemlich gute Verfassung haben. Trotzdem hätte man 1990 die Chance nutzen sollen, Teile des GG zu modernisieren. Nicht den Kern angreifen, aber eine offene Diskussion darüber, was eine Verfassung für ganz Deutschland („von der See bis zu den Alpen, von der Oder bis zum Rhein“) können soll und leisten muss, wäre weise gewesen. Leider ist Weisheit von einem Kabinett Kohl wohl nie zu erwarten gewesen.

  • Frau Arndt argumentiert vollkommen richtig, ich habe bis 1988 in der DDR gelebt und der Rassismus gegen Vietnamesen, Kubaner, Angolaner, Mosambikaner war allgegenwärtig, auch ich nahm daran verbal teil, bis ich die Freiheit des Wortes im Westen kennen lernen konnte und meinen Charakter auf demokratische Formen wandelte.



    Wer afd wählt ist und bleibt Nazi und ist in der „deutschen Herrenrasse“ gefangen.

  • Es ist schon so das (in Thüringer besonders Auffällig) weite Teile dieser Partei mit Rechtsextremisten besetzt ist. Der Thüringer Parteivorsitzenden bedient sich zweifellos an pseudowissenschaftlichen Theorien, welche 1:1 aus einem Leitfaden von 1942 stammen könnten. Die Begrifflichkeit Nazi hat hier also schon eine Berechtigung, weil es gibt jetzt Opfer und ohne Widerstand wird das Leid für vulnerable Gruppe immer größer. Es ist sicherlich so das unter den Wählern Personen zu finden sind die für eine Demokratie gewonnen (zurückgewonnen) werden können. Fakt ist, wer die AFD wählt wählt Rechtsextremisten mit Vorstellungen die denen der Nationalsozialen entsprechen. Da ist der Begriff jetzt so falsch nicht.

  • Die blühenden Landschaften, erschaffen durch das KnowHow des ehemaligen Klassenfeinds, zerplatzten wie Luftblasen in der Undankbarkeit der aus der Planwirtschaft Geretteten. Die mangelnde Möglichkeit die eigene Unzufriedenheit durch stasieske Denunziation zu kompensieren fiel der Demokratie zum Opfer.



    VEB Das Volkseigene Bedauern.



    Glashütte und die aus China importierten handgeschnitzten Nußknacker sind die letzten Reste einer postkommunistischen Kultur.



    Wer nichts gebacken bekommt kann nur Bernd wählen

  • "Der Osten habe sich 1989 von Bundeskanzler Helmut Kohl und der CDU einlullen lassen. „Keine Experimente mehr“ sei die Devise, das Leben wie in Westdeutschland das Versprechen gewesen. Das führte zur Ablehnung der Idee einer verfassungsgebenden Versammlung."



    Da bin ich vollkommen bei ihr. Da wurde eine große Chance vertan und das eben nicht getan, wie es im Grundgesetz auch vorgesehen war.

    "„Wer AfD wählt, ist ein Nazi. " Und jeder der die CDU waehlt, ist ein Christ und jeder der die FDP wählt ist liberal. Nein, diese Attributierung ist zu viel zu einfach. Schlimmer, es treibt die Betroffenen ja geradezu in diese Ecke und ist damit absolut kontraproduktiv. Eine Verbesserung geht nur über Verständnis (was Arndt) macht, nicht aber über Verdammen (Was Arndt ebenso macht).

    • @Werner2:

      Ich gehöre zu einer Generation, die das "Privileg" besass, seine Eltern- und Grosselterngeneration fragen zu können "Wie konntet ihr das zulassen?"



      Heute sehe ich, dass sie damals keinen oder nur schlechten Zugang zu aufklärenden Informationen hatten und vor allem: auf keine geschichtlichen Erfahrungen zurückgreifen konnten, aus denen das Ausmass der Katastrophe, die sie verursacht haben, ersichtlich geworden wäre.



      Heute ist das anders. Sowohl stehen genug Informationen für jeden zugänglich zur Verfügung, die Parallelen von AfD-Sprech und Nazi-Sprech liegen offen auf der Hand, und die grosse Katastrophe, in die Nazis nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt geführt haben, sollte im kollektiven Gedächtnis der Bewohner dieses Landes gut abgespeichert sein.



      Wer trotz allem Nazis wählt, muss als solcher benannt werden können. Wer Nazis nicht so nennt, übt vorauseilende Selbstzensur aus. Auf die Befindlichkeiten der AfD-Wähler Rücksicht zu nehmen, um sie nicht zu vergrätzen, entspricht den naiven Hoffnungen der demokratischen Parteien vor 100 Jahren, der Spuk werde schon von selbst verschwinden.



      Was beweist: auch die Demokraten haben nichts aus der Geschichte gelernt.

  • "Wer AfD wählt, ist ein Nazi. Das ist kein Protest oder Rebellentum.“". Gut, dann sind eben über 30% der Wähler*innen in Thüringen und Sachsen Nazis. Wenn wir annehmen, dass das stimmt: Was folgt daraus? Die Nazis werden ja von alleine nicht weniger. Wie soll eine Demokratie erhalten werden, in dem die Wähler*innen zu einem Drittel aus Nazis besteht?

    Bitte keinesfalls falsch verstehen: Natürlich ist die AfD eine faschistische Partei. Natürlich muss sie bekämpft werden. Wenn man aber an dem Punkt ist, wo die AfD derartige Wahlergebnisse hat, ist eine "konsequente Ausgrenzung" aller Wähler*innen in einer Demokratie ja gar nicht mehr möglich.

    • @Agarack:

      Dazu gesellen sich ja noch gerne um die 25 Nichtwähler. Grob macht das die Hälfte aller Wähler, welche die "demokratischen" Parteien nicht mehr erreichen. Das wird in meinen Augen zu wenig berücksichtigt, da es die Situation noch schlimmer macht.

      Demokratisch ist in "", da ich derzeit kein Wille sehe dieser Parteien die auch nur annähernd versuchen dem Problem auf den Grund zu gehen oder etwas zu verändern. Schlicht verweigern sie sich komplett der Realität.

      Wenn man bedenkt, dass 88 Prozent der AFD Wähler mit ihrer wirtschaftlichen Lage unzufrieden sind könnte man noch zu anderen Schlüssen kommen und falls es da wirklich einen Zusammenhang geben sollte, was ich nicht glaube da die Parteien riesige Apparate haben, werden wir bei der derzeitigen Entwicklung und Politik gegen die unteren Schichten, die alles irgendwie tragen sollen noch viel mehr Menschen haben die in Zukunft rechts wählen.



      Die Menschen müssen natürlich auf die Straße und die Demokratie verteidigen, aber das bringt nur was wenn auch die Politiker den Ernst der Lage sehen und für sich einräumen können, auch mit an der Situation schuldig zu sein. Daran wird es hapern, zu selbstverliebt,zu überzeugt und Karrieregeil.

  • „Wer AfD wählt, ist ein Nazi. Das ist kein Protest oder Rebellentum.“ nicht mehr jedenfalls.

    • @Cornelia Gliem:

      Und?



      Was schlagen Sie vor, was daraus folgen soll?

  • Sorry, das ist viel zu einfach und hilft der Debatte nicht.

    Ja, es tut emotional gut, AfD-Wähler einfach als Nazis abzustempeln. Damit befriedigen wir unser Bedürfnis nach Stereotypisierung, nach Einordnung in und Sortierung in Schubladen. Genauso unsensibel, undifferenziert und unpassend ist es aber, wie Rechtspopulisten die Grünen als das erklärte Feindbild von "links-grün-versiffter Wokeness" bezeichnen.

    Ja, der Unterschied zwischen den Grünen und der AfD ist natürlich, dass die AfD zu wesentlichen Teilen ethnozentrisch und ultranationalistisch ist und die Grünen hingegen wesentlich gemäßigter. Das muss man aus politikwissenschaftlicher Perspektive so anerkennen. Wenn wir uns aber derselben Rhetorik und Dialektik bedienen, wie die Gegenseite, werden wir sie niemals von unserer überzeugen können. Auch wenn ich nicht weiß wie man das kann, weiß ich, dass es so NICHT sein kann. Wir müssen wie Pazifisten agieren, die Krieg nicht mit Krieg bekämpfen. Das Aufgreifen der Rhetorik von Rechtspopulisten hetzt uns als Gesellschaft in allen Bereichen nur stetig auf.

    Wir sind es, die besser diskutieren müssen. Sachlicher, emotionsfreier, respektvoller.

  • Die Andauernde Verwendung des Begriffes "Nazi" zu jedem AfDummheit Wähler wird nur dazu führen, dass der Begriff "Nazi" unglaublich abstumpfen, statt abschrecken wird. Wer jeden AfDummheit Wähler als Nazi bezeichnet, vergeht sich an den Opfern der wirklichen Nazis, die damals schrecklichstes erleben mussten. Diese angebliche Alternative ist schlimm, teilweise hat es auch Faschisten dort, aber es sind ganz sicher nicht 30% der Thüringer Wähler Nazis.

    • @Rudi Hamm:

      Vielleicht nicht. Obwohl ich mich schon manchmal frage, ob nicht vielleicht doch. Aber 30% der thüringer Wähler sind deren Steigbügelhalter.



      Und ob sie sich weniger angepisst fühlen, wenn man sie AfDummheit-Wähler nennt statt Nazis, da bin ich mir jetzt nicht ganz so sicher.



      Und könnte man darin nicht auch eine Verharmlosigung von Nazis sehen, wenn man sie als dumm statt als gefährlich bezeichnet?



      Mein ja nur...

    • @Rudi Hamm:

      Welche Nazis meinen Sie? Die Nazis der 20er, der 30er oder der 40er? Die Nazis waren auch nur eine Partei, mit der z.B die SPD gegen Kommunisten (zweite Hälfte der 20er) zusammengearbeitet hat. Die meisten denken natürlich an die Nazis der 40er, aber die Nazis der 20er und der 30er sollten uns eine Warnung sein, besonders für die Mitte. Nazis waren und sind keine Aliens. Pragmatisch betrachtet, wie gesagt, auch nur eine Partei....

    • @Rudi Hamm:

      Das ist wie das Wort unmenschlich...Wie oft ich das mittlerweile höre, wegen "banalem" stellt man sich auf die gleiche Stufe mit Menschen die gefoltert werden oder im Mittelmeer ertrinken oder mit Kindern die unter richtigen miesen Arbeitsbedingungen leiden.

      Aber Stigmatisierung ist super, trivial für den einfachen Menschen um gut und Böse einordnen zu können ... Wird alles gerne verwendet von links wie rechts ohne Abwägung, nachdenken oder sonst was. Alles in einen Topf, dann wundern wenn die Menschen sich irgendwann einfach denken, weißt du was scheiß drauf..... Es lebe die Gewaltfreie Kommunikation die man gerne von anderen erwartet.

    • @Rudi Hamm:

      Sie verharmlosen die afd Wähler.