Von der Leyens Wunsch-EU-Kommission: Männlich, konservativ, ambitioniert
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellt ihre neue Wunschkommission vor. Doch einige Kandidat:innen sorgen bereits jetzt für Ärger.
Statt um den Klimaschutz, wie noch bei von der Leyens erster Kommission vor fünf Jahren, geht es nun um Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. „Die neuen Schwerpunkte spiegeln wieder, in welcher Zeit wir leben“, sagte von der Leyen. Das Klima sei zwar weiter wichtig, doch der Wettbewerb sei härter geworden. Ihr Programm für die nächsten fünf Jahre hat sechs Prioritäten, darunter schwer verständliche Ziele wie die „technologische Souveränität“ oder den „sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang“, womit offenbar die Fortsetzung des Green Deals gemeint ist.
Ein diffuses Bild ergeben auch die neuen Jobs. Erstmals wird sich ein Kommissar, Litauens Ex-Premier Andrius Kubilius, mit Verteidigung beschäftigen. Dabei ist Brüssel dafür laut EU-Vertrag gar nicht zuständig. Neu sind auch Kommissare für Wohnungsbau (Dan Jørgensen aus Dänemark) und das Mittelmeer (Dubravka Šuica aus Kroatien). Gestrichen wurden die Stellen für Arbeits- und Sozialpolitik und für Gleichstellung. Für Verwunderung sorgte auch, dass von der Leyen ausgerechnet Österreichs Finanzminister Magnus Brunner mit der Asyl- und Migrationspolitik betraut hat, mitten im Wiener Wahlkampf ein fragwürdiges Signal.
Am meisten Ärger gibt es um den italienischen Kommissar Raffaele Fitto. Schon im Vorfeld gab es Widerstand gegen die Nominierung des Rechtsaußen-Politikers. Dass ihn von der Leyen nun zu ihrem Vizepräsidenten macht, sorgt für Unverständnis. Fitto soll sich um die Regionalförderung kümmern, was ihm Zugriff auf milliardenschwere EU-Fördertöpfe sichert.
Konstellation birgt Streit
„Kann ein Europafeind EU-Fördermittel verwalten“, fragt der Chef der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. Für die Europäische Volkspartei EVP ist dies kein Problem: Fitto sei ein „überzeugter Europäer, ein Christdemokrat, einer aus dem bürgerlichen Lager“, sagt EVP-Chef Manfred Weber.
Als rechtslastig gelten auch der designierte Transportkommissar Apostolos Tzitzikostas aus Griechenland und Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi aus Ungarn. Várhelyi gilt als Gefolgsmann des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, der regelmäßig Front gegen die EU und die „Brüsseler Diktatur“ macht. Doch gegen eine zweite Amtszeit Várhelyi hat sich von der Leyen nicht gesträubt. Dass dies durchaus möglich gewesen wäre, zeigt der Fall des Franzosen Thierry Breton: Fünf Jahre lang war er mächtiger Wettbewerbskommissar. Doch dann schmiss dieser am Montag in letzter Minute hin.
Für Frankreich kommt nun der bisherige Außenminister und frühere liberale Europaabgeordnete Stéphane Séjourné. Er soll sich um die Industriepolitik kümmern. Damit erhält der Vertraute von Präsident Emmanuel Macron ein Schlüsselressort. Allerdings verfügt er über weniger Erfahrung als Breton. Die Estin Kaja Kallas ist als Außenbeauftragte vorgesehen. Sie gilt als Hardlinerin in der Russlandpolitik. Die bisherige spanische Umweltministerin Teresa Ribera soll für die Umsetzung der Klimaziele sorgen. Dabei muss die Sozialistin mit dem konservativen Niederländer Wopke Hoekstra zusammenarbeiten, der für neue Klimagesetze zuständig ist. Da ist Streit programmiert.
Insgesamt fällt die neue EU-Kommission konservativer und männlicher aus als die letzte. Die CDU-Politikerin von der Leyen belohne nicht nur Rechtsnationale, sondern habe nur elf Posten weiblich besetzt, bemängelte der Vorsitzende der Europa-SPD, René Repasi. Sie habe für mehr Frauen gekämpft, rechtfertigte sich von der Leyen. Ob ihr neues Team wie geplant am 1. November die Arbeit aufnimmt, ist nicht sicher. Zunächst werden alle Kandidaten noch vom Europaparlament „gegrillt“. Dabei werden immer wieder Kommissare abgelehnt oder die Aufgaben neu verteilt. Zudem kann es Verzögerungen geben – als realistischer gilt daher ein Start im Dezember.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück