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Bürgerschaftliches EngagementSondervermögen Demokratie

Gastkommentar von Andreas Willisch

Weil die große Politik versagt, wird bürgerschaftliches Engagement vor Ort wichtiger. Aber das muss finanziert werden – von der großen Politik.

Demokratieförderung sollte auch in finanzieller Hinsicht eine Selbstverständlichkeit sein Foto: dpa

W ie wäre es mit 100 Milliarden Euro, um unsere verletzte Demokratie fit für die Zukunft zu machen? Demokratietragende Ideen haben drastisch an Überzeugungskraft verloren. So überzeugt die sozialdemokratische Vision von Gerechtigkeit spätestens seit Hartz IV niemanden mehr. Der Liberalismus, die Vision eines freiheitlichen Miteinanders, hat sich dem staatsskeptischen Neoliberalismus an den Hals geworfen.

Der Konservatismus irrt zwischen Gendern, Patchwork-Familien und Zuwanderung hin und her. Unklar bleibt, wie wir mit Krieg und Frieden umgehen, das Leben auf dem Planeten erhalten und unseren Alltag für eine enkeltaugliche Zukunft einrichten. Aber vor allem sind die institutionellen Grundpfeiler eines demokratischen Austauschs erodiert.

Bei den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise konkurrieren in zwei Dritteln der Gemeinden lose politisch verknüpfte Dorflisten um Plätze in den Gemeinderäten. Dorfliste 1 gegen Dorfliste 2 gegen 3, manchmal Windkraftgegner, manchmal die Freiwillige Feuerwehr, mitunter die Landfrauen und ganz selten mal jemand von den Parteien, die im Bundestag vertreten sind.

Das zeugt vom Mitgestaltungswillen vieler Menschen vor Ort, die sich zusammenfinden und dann zum Teil aufwändigen Wahlkampf betreiben. Dabei geht es um ganz praktische Fragen: Wann soll das Heimatfest stattfinden? Wie gehen wir mit dem Müll in der Landschaft um? Wo muss Rasen gemäht und wo die Straße ausgebessert werden? Zu entscheiden ist über den Haushalt, der zu kleine Spielräume für zusätzliche Leistungen hat. Die umstrittensten Themen drehen sich um Windeignungsgebiete oder Freiflächen für Photovoltaik.

„Die da oben“ und „die da unten“

Eine gesamtgesellschaftliche politische Meinungsbildung findet durch diese Vereinzelung politischen Engagement indes nicht statt. Mit der Folge, dass mehr und mehr ein „die da oben“ und „die da unten“ entsteht. Doch Gesellschaft wird nicht nur in den Parlamenten gemacht, sondern zu großen Teilen in einem politischen Vorfeld.

Wie wir zusammenleben wollen, wie wir über die Vergangenheit denken und was wir uns für die Zukunft wünschen, verhandeln wir tagtäglich an öffentlichen Orten und durch unzählige Vereine, Bürgerinitiativen, zufällige Begegnungen. Doch durch Umstrukturierungsprozesse in Wirtschaft und Verwaltung wurden Gelegenheiten des Zusammentreffens, des Austauschs geschleift.

Kein Dorfladen, keine Kneipe und die Verwaltung wenigstens eine Stunde Autofahrt entfernt. In vielen Gegenden gibt es keinen ÖPNV, keine Jobs und keine Parteiversammlungen. Und nur die Freiwillige Feuerwehr, ein paar Kaninchenzüchter, Heimatmuseen und unzählige temporäre Initiativen für und gegen dies und jenes.

Ohne Menschen, die im Grunde ständig im Gespräch miteinander sind, gibt es keine demokratische Gesellschaft. Nur zu wählen reicht nicht nur nicht, sondern hinterlässt gigantische soziale Krater, in die Internet, Schwurbler und Faschisten ihren gesamten Mist kippen.

Die Blockierer von der FDP

Das Demokratiefördergesetz, das genau hier dauerhaft Unterstützung leisten sollte, wurde vom Bundeskabinett beschlossen und wird seitdem von der FDP blockiert. Dabei geht es der Obfrau der FDP im Innenausschuss, Linda Teuteberg, um das Begriffspaar „Vielfalt gestalten“. Das sei nur das Einfallstor für bestimmte NGOs – wie beispielsweise die Amadeu-Antonio-Stiftung – „ihre eigene politische Agenda zu betreiben“. Es sei, so Teuteberg, nicht ihre Aufgabe, Gesellschaft zu gestalten, sondern Würde und Rechte zu schützen.

Demnach darf die Zivilgesellschaft nicht den Anspruch haben, mit Steuergeld gefördert zu werden. Wer, wenn nicht die Zivilgesellschaft, darf Anspruch auf das Geld erheben, das sie zu großen Teilen selbst erwirtschaftet? Genau das verspricht die FDP in ihrem Grundsatzprogramm: Vielfalt als Chance für individuelle Selbstentfaltung sowie die Selbstorganisation freier Bürger zu schützen und zu fördern.

Einen Punkt haben die Gegner großer staatlicher Förderprogramme: Die sind wahnsinnig bürokratisch. Im Grunde senden sie vor allem das Misstrauen gegenüber jenen, die Ideen haben, sich vor Ort zu engagieren. Da müssen Zielgruppen benannt werden, die für viele gar nicht erkennbar sind. Da werden Förderthemen kreiert, die von der Realität vor Ort weit entfernt sind und später vom Bundesrechnungshof überprüft und am Ende mit der Feststellung bewertet werden, dass die zugesagte Wirkung ausgeblieben ist.

Die Fragen aber, die den Menschen vor Ort unter den Nägeln brennen, bleiben liegen. Hier könnte der Liberalismus mal seine Überzeugungen und Stärken zeigen: Nehmt die Hürden weg und lasst die Bürger frei entscheiden! Die Sozialdemokratie könnte die Empathie für jene einbringen, die sich gegen diesen autoritären Wahnsinn mit aller Kraft stemmen. Und der Konservatismus könnte für Dauerhaftigkeit sorgen, um aus der grassierenden Projektitis aussteigen zu können.

Ein eigenes Budget für jedes Dorf und jeden Stadtteil

Das kann so organisiert werden, wie die Freiwilligen Feuerwehren organisiert sind: Es gibt sie in jeder Gemeinde und diese muss die Mittel dafür bereitstellen. Solch eine Art Katastrophenschutz gegen Verwahrlosung und für Zusammenhalt brauchen wir jetzt. Jedes Dorf, jeder Stadtteil muss eine Art Budget haben.

Wenn sich dann einige Leute zusammentun, dann erhalten sie die nötige Unterstützung für ihre Ideen, wie die Feuerwehren Helme, Schläuche, Fahrzeuge. Und ja, diese Leute gibt es, in beinahe jeder Stadt, jedem Dorf. Vermutlich werden 100 Milliarden Euro nicht reichen, um das zu finanzieren, aber es sollte reichen, um langfristig wieder Leben in die Bude Bürgergesellschaft zu bringen.

Erfahrungen zeigen, dass sich die Leute ins Zeug legen, wenn sie Sinn und Anerkennung erhalten für das, was sie tun. Die Hebelwirkung ist entscheidend: Der Staat gibt den Bürgern Geld und Freiraum – und die Leute zahlen es mit Demokratie zurück.

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6 Kommentare

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  • Nun im Gegnesatz zu "Demokaratieprogrammen" erfüllen die Freiwilligen Feuerwehren einen unpolitischen Zweck - sie helfen bei Unfällen und Bränden.



    Nutzen - sofort und für alle erkennbar.



    Gleiches gilt im Grunde für Vereine (Sport, Musik usw.) die in meinen Augen auch mehr gefördert werden sollten.

    SOLCHE Dinge bringen Menschen zusammen. Und zwar unpolitisch.

    Politische "Meinungsbildung" hingegen wäre im Zweifel genau das - "Du denkst links/rechts/mittig? Nein ,das ist ja vollkommen falsch weil zu links/rechts/mittig... Denk doch mal anders..."

    Sorry, dafür sollte das (und damit auch MEIN) Geld nicht ausgegeben werden.



    Ich denke dann wäre es in gemeinschaftlichen Organisationen (wie oben genannt - Feuerwehr, Sport/Musik/Vereine allgemein) sicher besser aufgehoben.

  • Der Text ist vollkommen unverständlich. Ist das Absicht?

    Die Politik (?) versagt (wobei eigentlich) und soll bezahlen (wen den eigentlich und mit welchem Zweck?)

    Hier werden locker 100 Mrd. Euro in den Raum gestellt und es bleibt vollkommen unklar, an wen das wofür gehen soll. Schlimmer noch, es taucht die Formulierung "sondern zu großen Teilen in einem politischen Vorfeld" auf. Das lässt doch wirklich Schlimmes befürchten.

    Am Ende werden Aktivisten und Parteinahe Gelder erhalten. Möglicherweise blieb der Autor ja mit Absicht nebulös.

  • Also, laut Kommentar ist Demokratie in armen Staaten nicht möglich. Man nehme genug Geld (aka Wertschätzung) verteile es und die Demokratie blüht?



    Irgendwie könnte man an dieser Einstellung zweifeln. Denn in Thüringen etc sind sicher jetzt schon oder noch Vereine, Verbände und freiwillige Feuerwehren aktiv. Ohne dass eine linke Mehrheit entsteht.



    Wahrscheinlich ist aber eh nicht gemeint alle Initiativen zur Kommunikationsförderung zu unterstützen, sondern nur manche. Wer will das dann konfliktfrei entscheiden? Ein Dorf oder Stadtteil-Budget führt selbstverständlich dazu, dass manche was bekommen und andere nicht. Der eine kann dann die Bratwurst auf dem Stadtteilfest günstiger abgeben, der andere muss die veganen Häppchen teuer verkaufen.

    • @fly:

      Die bereits benannte Freiwillige Feuerwehr ist das mit Abstand schlechteste Beispiel, den diese untersteht der jeweiligen Kommune. Wird diese auch dann noch gefördert, wenn die AFD den Bürgermeister stellt.

      Und was passiert, wenn im örtlichen Leichtatletikverein Wehrsportübungen abgehalten und der Ton etwas drilliger wird?

      Was passiert, wenn sich der Ortsverein der Landfrauen für oder gegen Windräder, für oder gegen Asylheime einsetzt?

  • Eine Reform der Kommunalfinanzierung wäre hier auch zu nennen. Dann ergeben sich hoffentlich auch wieder mehr Freiräume für die vielen Bürgerinitativen und zivilen Projekte...

  • Sprich: Wenn sich die großen Parteien von der Bevölkerung entfremden, dann soll man den Spalt mit viel Geld zukitten?

    Letztendlich ist es eine indirekte Finanzierung von Vorfeld-Organisationen der Regierungsparteien. Oder wird das Fördergeld auch an, sagen wir, Windkraftgegner gehen, wenn das ein Stadtteil so möchte?



    Demokratie heißt, die Entscheidungen der jeweiligen Bevölkerung ernst zu nehmen - ob sie einem passt oder nicht. Das Förderungsgesetz riecht allerdings sehr nach regierungskonforme Vorselektion. Das wäre Hohn für den Namen Demokratie!