Die Wahrheit: Gehobenes Gequieke und Geblöke
An immer mehr deutschen Universitäten sind zum neuen Herbstsemester spezielle Gaststudenten unterwegs. Ein lehrreicher Bericht aus dem Hörsaal.
Beliba Tulff hat ihren Traum verwirklicht: Die große, langbeinige Studentin der Forstwirtschaft wohnt, lebt und arbeitet seit diesem Semester endlich störungsfrei mit ihrem geliebten Balu zusammen. Klein, kurzbeinig und eher länglich in die Waagerechte gebaut, sieht der so anders formatierte Freund mit Dackelaugen freudig zu seinem Frauchen empor, das mit sanften Menschenaugen zu ihm niederblickt und eine volle Fleischwurst aus der Umhängetasche schüttelt.
„In Wald, Forst und Studentenwohnheim passen Mensch und Tier ohne Knick und Knack zusammen“, sagt Beliba stellvertretend auch für Balu und fügt an: „Hier an der Baum- und Wiesenuniversität Bergisch-Allmenau hält natürlich jeder Zweibeiner einen Vierbeiner. Und umgekehrt!“
Anders als Hirsche oder Wildschweine dürfen Hunde ihren Besitzer mit in die Vorlesungen, Seminare und Tutorien nehmen und haben in der Bibliothek selbstverständlich eine eigene kleine Leseecke, wo sie – eine Parallele zum Leseverhalten der Menschen – Boden und Tischbeine fachkundig beschnüffeln können.
Dass manche Leute von Vorurteilen geplagt werden und Angst vor den vierbeinigen Gebissträgern haben, kann Beliba, die sich nebenher in der Haustierschutzpartei engagiert, nicht verstehen. „Die ärztliche Versorgung funktioniert doch gut!“
Kein Lot Verständnis
Heile Welt also? Weder ganz noch gar, denn viele Hochschulen schämen sich nach wie vor nicht, den besten Freund des Menschen zu diskriminieren wie einst Randgruppen. „An der Berliner Humboldt-Universität haben Professoren kein Lot Verständnis, wenn Hundi mitten in einem hochspannenden Seminar über schmucke altgriechische Vasenmalerei aufs optisch eher reizlose Örtchen muss, weil man ihn nicht allein zurücklassen will“, zürnt Studiosus Hano Pötter. „Oder wenn Hasso in der Vorlesung dazwischenbellt, weil der Dozent Unsinn erzählt. Und die wenigsten schätzen es, wenn sich Wusel im mündlichen Examen meldet, weil der Prüfer sein Herrchen mit tückischen Fangfragen genüsslich zerlegt, und zubeißt. Dabei ist es doch eine mündliche Prüfung!“
Dass man Hunde auch mit Ballspielen und Stöckchenwerfen bei Lust und Laune halten kann, statt ihnen mit der hunderttausendsten Goethe-Interpretation auf den Wecker zu gehen, fällt, so ist die Lage an den meisten Universitäten des Bildungsstandorts Deutschland, den wenigsten ein. Dabei ist der Reformbedarf groß und allen bewusst, den Politikern, den Wissenschaftlern und nicht zuletzt den Vierbeinern selbst. „Die Zauberformel hört auf dieses eine Wort: Das ganze Potenzial ausschöpfen!“, mahnt Lugo Berger, Rektor des Kollegiums Emsthal-Cloppenberg, und fügt zum Beweis an: „Wir leben im 21. Jahrhundert!“
Und zwar in Emsthal-Cloppenberg! Schon auf dem Weg in den Hörsaal des Fachbereichs Agrarwissenschaft gibt man besser acht, um nicht in einen Kuhfladen zu treten, und während der Vorlesung haben ungeübte Studenten, vor allem die Erstsemester, manche Mühe, inmitten des Gemuhes, Gequiekes und Geblökes dem menschengemachten Vortrag zu folgen, den erstmals auch Gasthörer aus Thailand mit Trompetenschall begleiten.
Durchlässigkeit der Artengrenzen
„Na und? Geschnatter kennt man doch aus den Seminaren der herkömmlich eingespurten Hochschulen, ebenso das Gequake unserer Minister aus den Pressekonferenzen und Interviews“, klärt der Rektor auf. „Und das Gemecker ist den jungen Leuten doch von den Eltern und jetzt vom Partner oder der Lebensgefährtin vertraut.“ Berger nimmt innerlich Anlauf und holt weit aus: „Man muss seine Vorurteile mal abschnallen! Dann kann jeder erkennen, dass die Artengrenzen durchlässig geworden sind und Rinder, Schweine, Schafe, Gänse und Frösche Wesen wie wir sind, wie unsere thailändischen Gäste ja auch. Ich bin mir sicher wie eine Eins: Die Anthropozentrik, die unser Leben durchtränkt und vergiftet, wird bald überwunden und nur noch zum Lachen sein!“ Berger atmet tief ein und aus, rollt sich in seinem Sessel zusammen und schnurrt zufrieden.
Zufriedenheit herrscht auch an der Maritimen Akademie im vorpommerschen Flotow. Hier, im Fachbereich Ichthyologie, versteht es sich von selbst, dass die Studiosi in einem Einweckglas ihr kleines treues Haustier mitbringen. „Goldfische sind ideale Zuhörer und stören nicht durch altkluge Bemerkungen den Lehrbetrieb wie Papageien“, erinnert sich Dozentin Zira Zehse ungern an ihre Zeit am Philosophischen Institut der Uni Bielefeld.
Dort, in Westfalen, sieht man das naturgemäß anders und lässt inzwischen Schimpansen und Orang-Utans zu. „Zuletzt hat im mündlichen Bachelor-Examen ein Bonobo-Weibchen sogar den menschlichen Prüfling vertreten und es mit dem Prüfer getrieben“, lobt Professor Omni Laubensack, der Prüfer: „Note eins mit Sternchen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen