Pop-Kultur-Festival in Berlin: Zeigen, was gehen kann
Auch in der zehnten Ausgabe eröffnete das Festival Pop-Kultur Möglichkeitsräume. Als großer Gewinn erwies sich der Fokus auf Musik aus Afrika.
Puh, da muss die Popkultur doch schön ächzen, angesichts dessen, was Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihr alles aufbürden will: „Wer Pop will, will Vielfalt, will eine demokratische Gesellschaft“, konstatierte sie in ihrer Rede anlässlich Eröffnung des Pop-Kultur-Festivals.
Leider muss man das doch für Wunschdenken halten. Nicht zuletzt Rechte und Islamisten haben das Emotionalisierungspotenzial von Pop längst in ihre Strategien integriert und gehen mit einer entsprechender Ästhetik auf Seelenfang. Mal abgesehen davon, dass es sich in letzter Zeit gezeigt hat, dass es Teilen der angeblich so offenen Popwelt an Ambiguitätstoleranz mangelt – und an der Bereitschaft, im „Zweifel für den Zweifel“ zu sein.
Vielleicht einigt man sich besser darauf, dass der Pop weder sozialer Kitt noch das Allheilmittel ist, mit dem sich Diversität herbeizaubern lässt, aber im besten Fall immerhin Möglichkeitsräume eröffnet. Und genau darauf versteht sich Popkultur, wozu man das Festival anlässlich seines zehnten Geburtstags ruhig mal beglückwünschen kann.
Wieder wurden von Mittwoch bis Freitag auf dem Gelände der Berliner Kulturbrauerei unterschiedlichste Formate präsentiert; neben Konzerten verschiedenster Genres gibt es Talks, etwa zu Memes, rechter Esoterik oder Chancen und Risiken von KI, Ausstellungen und einiges mehr. Ein Alleinstellungsmerkmal dieses Festivals sind die sogenannte Commissioned Works, also Auftragsarbeiten, die es Musiker:innen erlauben, sich einem Thema zu widmen, ohne gleich dessen ökonomische Verwertbarkeit im Blick behalten zu müssen.
Teilhabe von Menschen mit Handicap
Zeigen, was gehen kann – so ließe sich der programmatische Ansatz des Festivals auch umschreiben. Sei es nun beim geschlechtergerechten Booking, das bei der ersten Ausgabe 2015 noch ziemlich bestaunt wurde – worüber man aus heutiger Sicht wiederum staunt, auch wenn da natürlich in weiten Teilen des Popbetriebs immer noch Luft nach oben ist. Oder bei der Teilhabe von Menschen mit Handicap. Ganz nonchalant und nebenbei vermittelt Popkultur zudem, was die auch im Pop globalisierte Welt an Schauplätzen jenseits hierzulande Etablierten bereithält.
So gesehen ein großer Gewinn, dass das Kurator:innenteam einen Fokus auf den afrikanischen Kontinent setzt. Gleich zum Auftakt gibt es einen sensationellen Auftritt von Kabeaushé, den man angesichts des flirrenden Hochsommer-Gefühls beim Karaoke an der Çaystube, dem Umsonst-und-draußen-Teil des Festivals, fast verpasst hätte.
In seiner Performance zerschreddert der Musiker aus Nairobi – aktuell lebt er in Berlin, seine ultrahybride Pop-Performance hat er jedoch im Dunstkreis des umtriebigen Nyege-Nyege-Kollektivs im ugandischen Kampala entwickelt – Hip-Hop und Rave-Elemente und reichert diese mit etwas Avantgarde und Afrofuturismus an. Prince darf man ebenso in der Ahnengalerie vermuten wie Ziggy Stardust.
Als deutlich mainstreamkompatibler, aber nicht minder kurzweilig erweist sich am Donnerstagabend der Auftritt von Yemi Alade. Der Superstar aus Nigeria eröffnete Anfang des Jahres als erste Frau überhaupt den Africa Cup of Nations, heute euphorisiert sie eine erstaunlich textsichere Crowd mit ihrem Mix aus Afropop, Highlife und Dancehall-Beats. Flankiert ist sie von zwei grandiosen Tänzerinnen, die humorvoll, bisweilen fast selbstironisch performen. Zum Ende nimmt ihr Auftritt dann eine gospelige Wendung, das Publikum singt ihr ironiebefreit nach: „Love and Peace“.
Reichlich beseelte Gesichter
Überhaupt blickt man in diesen drei Tagen in reichlich beseelte Gesichter. So auch beim Auftritt des Münchener Quartetts mit dem schönen Namen What Are People For – einem Projekt mit Tentakeln in die Welt von Kunst und Theater. Ihnen gelingt der Spagat, rumpeligen Art Pop gleichzeitig bunt und dark klingen zu lassen. Mit ihrem Song „Bring Back The Dirt“ stellen sie eine berechtigte Frage, die man gleich an eine zunehmend durchalgorithmisierte Popwelt weiterreichen will: „Why Are you so Squeaky Clean?“
Weniger ein Wechselbad der Gefühle, dafür höchst immersiv ist der Auftritt der Berliner Band Hope. Deren reduzierte Synthese von Postrock und Ambient wird mit Unterwasserwelten der britischen Videokünstlerin Emma Critchley bebildert und findet in erhabenen und etwas unheimlichen Bildern ein stimmiges Echo.
Nicht jedes Commissioned Work ist so gelungen: Christin Nichols war einst Teil des Duos Prada Meinhoff, gerade erschien ihr zweites Soloalbum. Sie arbeitet auch Schauspielerin, doch in der Performance „The longer I stare at you the less you make sense“ wähnt man sich eher im Schultheater.
Der Titel scheint unfreiwillig Programm zu sein. Es geht darin um die Frage, wie viel Erfolg ein:e Künstler:in braucht, um die eigene Arbeit als wertig zu empfinden. Doch wie das Ganze aufgelöst wird, kriegt die Autorin nicht mehr mit, zu viele Cringe-Momente voll lauwarmer Gags zwingen vorher zur Flucht.
Gelungene Jubiläumsausgabe
Alles in allem bleiben schön kaleidoskopartige Impressionen von dieser gelungenen Jubiläumsausgabe. Das Geburtstagswetter trägt seinen Teil zu der Vergnügtheit bei, mit der man sich durch die lauen Nächte treiben lassen kann.
Und manchmal reicht es auch, wenn sich ein Möglichkeitsraum als Klangkokon erweist, in dem man sich einfach fallen lassen kann. Mit beatgetriebenen psychedelischem Shoegaze, der wohlig vertraut wirkt, bringt britische Postpunk-Duo The KBV das Festival über die Ziellinie.
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