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Berliner Plattenladen vor dem AusJimi Hendrix darf als Letzter raus

Lange 40 Jahre sorgte der Plattenladen Groove Records in Kreuzberg für den richtigen Sound. Jetzt bricht die Gentrifizierung den Groove.

Typische Handbewegung im Schallplattenladen Foto: Hannes P Albert/picture alliance/dpa

A lles muss raus“, steht am Schaufenster. Eine Woche noch, dann wird der Plattenladen Groove Records in Kreuzberg Geschichte sein. Weggentrifiziert, wie so viele Läden im Kiez in den letzten Jahren, die nicht mehr mitziehen können bei den Mieten, die hier inzwischen verlangt werden.

Die Umstellung von Vinyl auf CD hat er überlebt und dann die wieder zurück zum Vinyl

Groove gibt es seit 40 Jahren und damit zählt er zu den ältesten aktiven Plattenläden Berlins. Er hat die Umstellung von Vinyl auf CD und in letzter Zeit wieder zurück zum Vinyl überlebt und die Zeiten, in denen Plattenläden komplett out waren, weil sich alle ihre Musik lieber im Internet kostenlos besorgten. Das ist keine geringe Leistung.

Aber als dem Betreiber von Groove Ende April von einer Londoner Immobilienfirma mitgeteilt wurde, dass der bestehende Mietvertrag nicht verlängert werden würde, war ihm schnell klar, dass es das jetzt war für ihn. Er könne gerne bleiben, wurde ihm gesagt, nur müsse er dann eben künftig statt rund 700 Euro etwa 2.500 Euro monatlich abdrücken.

Als man Detlef Müller in seinem Laden darauf anspricht, antwortet er erst ganz ruhig, um dann völlig erregt zu sagen: „Ich werde denen doch keine solche Summen monatlich bezahlen.“ Und schaut einen dabei so wütend an, als wäre man selbst ein eben eingeflogener Abgesandter aus London.

In Nachbarschaft zur Markthalle 9

Groove Records liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Markthalle 9. Für viele gilt diese mit ihren ganzen ausgesuchten Spezialitäten für Foodie-Hipster als Motor der Gentrifizierung im Kiez. Als vor einigen Jahren der Aldi in der Markthalle raussollte, wurde dagegen protestiert. Der Aldi, wurde gesagt, sei der einzige Grund für Leute, die finanziell eher in der Bratwurstliga spielen, überhaupt noch diesen Ort zu besuchen.

Für Groove Records wird der Aufstieg seines Nachbarn zum Hipsterzentrum Kreuzbergs nicht nur schlecht gewesen sein. Hipster lieben Vinyl. Allerdings schlabbern sie neben dem Stöbern in den Plattenkisten auch gerne noch einen Cappuccino mit Mandelmilch oder so etwas. Ein Bedürfnis, auf das sich der neue schicke Rough-Trade-Store in Berlin-Neukölln ganz selbstverständlich eingestellt hat.

Groove Records ist das genaue Gegenteil eines solchen Ladens, der den schnöden Akt des Plattenkaufs zu einem Shopping­erlebnis machen möchte. Detlef Müller ist vielmehr noch Plattenhändler alten Schlags. In Internetbewertungen seines Ladens finden manche, er sei ein echt super Typ. Nicht wenige beschweren sich aber auch darüber, dass sie nach einer Frage angeschnauzt und wie Idioten behandelt worden seien.

Leicht erregbar ist Müller in jedem Fall. Was eine Woche vor der unfreiwilligen Beendigung seines Lebenswerks auch verständlich ist. Man fragt ihn, ob es denn gar keine Möglichkeit gäbe, einfach an anderer Stelle weiterzumachen. Da gibt es nichts, sagt er. Rund 30 Euro Miete pro Quadratmeter seien inzwischen normal, und andere Plattenläden könnten nur durchhalten, weil sie noch alte Mietverträge hätten. Und dann wird er wieder aufbrausend und vermittelt einem erneut das Gefühl, als sei man selbst der Hauptverantwortliche dafür, dass Groove Records nun dichtmachen muss.

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Eine Woche vor dem Ende ist der Laden halb leergekauft. Die große Wühlerei ist bereits vorüber, an diesem sonnigen Nachmittag inspiziert gerade nur ein Kunde das Angebot. Was nicht mehr weggehe für die 20 Prozent Rabatt, werde er später im Internet verkaufen, sagt Müller. Verramschen werde er in den letzten Tagen die feinen Platten von Chet Baker, Sun Ra oder Erykah Badu, die noch in den Regalen stehen, jedenfalls nicht.

In einer Ecke des Ladens hat er eine Art Erinnerungswand eingerichtet. Auf einem Foto sieht man ihn, fast 40 Jahre jünger, in enger Lederhose direkt vor seinem Laden stehend. „Hier, das bin ich mit Lynyrd Skynyrd“, sagt er über ein weiteres Bild, „und das bin ich als Goa-DJ“.

Ein Leben für die Musik wird hier noch einmal Revue passieren gelassen. Müller zeigt dann noch auf ein Poster von Jimi Hendrix an der Wand. Das werde er als Letztes abnehmen, sagt er, bevor er seinen Laden schließlich für immer schließen wird.

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14 Kommentare

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  • Ich bin selbstverständlich komplett auf der selben Seite. Muß aber zugeben, daß ich 700€ Miete für ein Ladenlokal UNGLAUBLICH niedrig finde. Das klingt komplett anachronistisch, einfach in Relation zum restlichen Preisniveau.

    • @Hinkelstein:

      Genau! Die Miete ist ja viel zu niedrig! Das geht ja gar nicht! Erhöhung bis es quitscht! Wo kommen wir denn dahin!

    • @Hinkelstein:

      Nur weil gewerbliche Mieten üblicherweise einen überhöhten Mittelwert aufweisen, kann das nicht bedeuten, dass jede Miete sich zwingend daran orientieren MUSS!



      Ich finde es bedenklich, wenn sich Leute an Übertreibungen derart gewöhnen, dass sie sie schon einfach als "gegeben natürlich" ansehen!

  • Wie lange wird der Zerstörung von Lebenswerten, Sozialem, Gesellschaftlichem, Umwelt und Lebensraum durch Kapitalismus noch zugeschaut?



    Vermutlich so lange, bis die existenzbedrohten Massen gar nicht mehr anders können, als dagegen gewaltsam vorzugehen.



    Wahrscheinliche Chance auf eine günstigere Lösung? Sehe ich keine!

  • Und keiner wendet Selbstverteidigung gegen Gentrifizierung an?



    Soll das etwa normal werden?

  • Leute, die eher in der Bratwurstliga spielen also.

    Auch eine Art Menschen verächtlich zu machen.

    • @Jim Hawkins:

      🏴‍☠️ - ? - kann zwar nicht ganz folgen. But

      Mein tiefes Mitgefühl - das letzte Mal - daß ich in eingezwängt zwischen Regalmetern der schwarzen Scheiben - LPies - vollgestellt gespielt habe - der beste Platz fand ich nach ner Weile: der ebenfalls umRegalierte Klosettdeckel - war in einem ähnlichen Unikat in der (kleinen) Hauptstadt an der SchrankeBonn. Wunderbar.



      & Däh =>



      Nobbis Plattenladen - hat wohl - was Miete angeht der Berlin/Bonn Tausch nicht die Glocke geläutet. Fein. Masel tov weiterhin & danke für den feinen Gig.

  • Und irgendwann ist Berlin nur noch uninteressant. Der Hype scheint ja schon etwas abgeflaut zu sein, aber der Spekulantenhype noch lange nicht. Dann sind die Kreativen nach woanders gezogen oder verdrängt, und die zahlungskräftige Kundschaft kann in Berlin in schicken Restaurants dinieren und die Leerstelle repräsentieren.

    • @uvw:

      Sieht nicht so aus, der Mythos der 80er und 90er ist gross und stark.

  • Und Mietspiegel beeinflussen Lohn- und Gehaltsforderungen. Die beeinflußen Kommunalfinanzen und internationale Konkurrenzfähigkeit.



    Das Geld dafür ist da. Nicht zuletzt in China. Das Knowhow und die Skrupellosigkeit im internationalen Wettbewerg auch.



    Nur die Intelligenz, die Phantasie, sich das klar zu machen, die fehlt in der deutschen Politik völlig.



    Wie gesagt. Bis die AfD das Thema entdeckt. Dann ist eben nicht Holland in Not.



    Aber Jottsaidank liest bei der AfD ja niemand taz-Kommentare...

    • @Monomi:

      Eins noch: Wen interessiert, wie folgenreich es werden kann, wenn Grundbesitz großflächig einigen wenigen Akteuren gehört, kann mal in die schottische Geschichte schauen...



      Schottische Highlands sind beeindruckend kahl und leer. Sie waren einmal weder das eine noch das andere. Bis die Landlords die Schafzucht wollten.

  • Es wird wohl noch dauern, bis in der Politik -ich meine, in der bisher als "etablierte Parteien" gelabelten Politik - es als Problem angekommt, nicht zu wissen, wem in Deutschland der Grund und Boden samt Immobilien darauf gehört. Wenn die AfD das Thema aufgreift - dann ist das ebenso ein Stimmenbringer wie "Migration".



    Es mag sein, dass die Kommunen ja das Grundbuch führen. Aber die politischen Ebenen darüber haben keinen Zugriff darauf (ich wette, das erste was in "nicht-zuständig-fühlenden" entsprechenden Beamten--Beamtinnenköpfen widerhalt ist "Datenschutz").



    Aber es wäre wichtig, diese Daten zu aggregieren, zusammenzuführen und zu analysieren. Denn internationale Investoren können strategisch -nicht nur in Berlin, nicht nur ikonische Plattenläden- Flächen zusammenkaufen, ganze Stadtteile unter einheitliche Preisvorgaben bekommen - ohne dass das in Deutschland irgend jemand merkt. Man versteckt dieselben Investoren einfach in eine Vielzahl von Firmen in einer vielzahl ausländischer verschwiegener Steuerparadiese.



    Aber mit dieser Gestaltungsmacht kann man nicht nur über Kauf und Verkauf Rendite machen. Sondern auch Mieten bestimmen, Mietspiegel nach oben treiben.

    • @Monomi:

      "Es mag sein, dass die Kommunen ja das Grundbuch führen."

      Wo denn das? Die werden - genauso wie die Handelsregister - von Gerichten geführt. War in Preußen gefühlt schon immer so. Inzwischen dank "Verschlankung der Verwaltung" oft genug von einem oder maximal zwei ausgewählten Gerichten pro Regierungsbezirk.



      Grundbuchämter der Kommunen waren nur im Auftrag oder als Außenstelle des zuständigen Gerichts tätig - die letzten entsprechenden "Übergangsregelungen" (jene für den ehemaligen Freistaat Baden) dürften vor rund zwei Jahrzehnten ausgelaufen sein...

    • @Monomi:

      Oh, don't worry. It's the globalization knocking at your door.



      It will be beautiful. We are all citizens of one world. Okay, of course not at the same level.