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Grosz, Brecht und Piscator in BerlinSein Herz ist eine Schreibmaschine

George Grosz, Bertolt Brecht und Erwin Piscator arbeiteten in den 1920ern zusammen fürs Theater. Eine Ausstellung im Kleinen Grosz Museum erzählt davon.

Eine Figurine von George Grosz im Museumsgarten Foto: Andreas Domma

„Gefährte glücklicher Zeiten! Seit einigen Monaten haust Dein Freund in einem strohgedeckten Hause auf einer Insel mit einem alten Radiokasten: Wie so manchen Andern hat auch ihn der Zorn des Volkes hinweggespült. Vorüber sind die Zeiten der Asphaltliteratur“, schreibt Bertolt Brecht im Mai 1934 aus Dänemark an seinen guten Freund George Grosz.

Der revanchiert sich mit einer Postkarte aus Downtown Manhattan. 1927 hatte Grosz, der unerbittliche Gesellschaftssezierer, den coolen Literaturstar ironisch-liebevoll in einer Karikatur verewigt: Brechts Herz ist eine Schreibmaschine, aus der Blitze fahren, und an der Angel, die er auswirft, hängen als Köder Hammer und Sichel.

Das Kleine Grosz Museum in Schöneberg zeigt Postkarte und Zeichnung in der Ausstellung „Was sind das für Zeiten? Grosz, Brecht & Piscator“. Im Fokus steht die Zusammenarbeit der drei bei der Inszenierung „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ an der Piscator-Bühne am Nollendorfplatz.

1927/28 hatte George Grosz dafür hunderte Zeichnungen angefertigt, die sich an der Bühnenrückwand zeichentrickhaft zusammensetzten. In der Ausstellung wird das Verfahren am „Paragraphenbaum“ demonstriert. Dadurch, dass sich das Bild schrittweise „weiterentwickelt“, gelingt es, politische Entwicklungen in eine bildliche Metapher zu überführen. Konkret wird hier die Rolle der Justiz während des Ersten Weltkriegs exemplarisch vorgeführt.

Jaroslav Hašeks Schelmenroman

In der Ausstellung ist die „Paragraphenbaum-Skizze“ mit einer Drei-Phasen-Einteilung zu sehen – und Grosz’ Kommentar: „Freiheit ist ein bürgerlicher Vorteil.“ Brecht machte sich zusammen mit Piscators engem Mitarbeiter Felix Gasbarra und Leo Lania an die Dramatisierung von Jaroslav Hašeks Schelmenroman, in dem Schwejk, ein junger Mann, der zum Kriegsdienst eingezogen werden soll, das System aber mit seinen eigenen Waffen schlägt.

Die Ausstellung

„Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht & Piscator“: Das Kleine Grosz Museum Berlin. Bis 25. November

Extrem innovativ sind die Bühnenmittel, die in der Inszenierung zum Einsatz kommen: Film, Grosz’ Bildentwicklungen und zwei Laufbänder, die Figurinen und SchauspielerInnen von der Seitenbühne auf die Bühne transportieren. Eine Konstruktionszeichnung von Piscators technischem Mitarbeiter Julius Richter, die sich der Regisseur Ulrich Rasche als bekennender Laufband-Fan bestimmt schon auf Zimmerhöhe vergrößert hat, liegt neben einem Szenen-Foto, in dem der österreichische Schauspielstar Max Pallenberg als Schwejk seinem Offizier, einer menschengroßen Karikatur, entgegenkommt. Dass Menschen und Puppen mechanisch bewegt werden, vermittelt das Foto gut, weil es wie ein Stillleben wirkt.

Tout Berlin ist Ende Januar 1928 bei der Premiere, alle Folgevorstellungen sind ausverkauft. Max Pallenberg geht als genialer Schwejk-Darsteller in die Theatergeschichte ein. Erwin Piscator errichtet sich mit dieser Inszenierung langfristig ein Denkmal als Revolutionär für Bühnenbild und Bühnentechnik.

Entlarvende Zeichnungen

Grosz’ Zeichnungen entlarven das kriegstreiberische, menschenverachtende System, das den Ersten Weltkrieg möglich machte, in seiner Essenz. Sie benennen Justiz und Militär als Hauptstützen der Kriegsmaschinerie. Wieland Herzfelde gibt im Malik-Verlag die Mappe „Hintergrund – 17 Zeichnungen von George Grosz zur Aufführung des ‚Schwejk‘ in der Piscator-Bühne“ heraus.

George Grosz, „Musterung“, 1927 Foto: Estate of George Grosz, Princeton, N.J./VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg führt eine Zeichnung, die den Pazifisten Jesus gekreuzigt mit Gasmaske und Soldatenstiefeln zeigt, zum breit rezipierten „Gotteslästerungsprozess“. Als Konsequenz muss die Zeichnung, Blatt 10 der Mappe, eingestampft werden. Grosz hatte einige Exemplare beiseitegeschafft, und so steht man 2024 vor „Maul halten und weiter dienen“ und anderen Zeichnungen aus der Mappe mit der Erkenntnis, dass Grosz’ Stil und seine Botschaft eine frappierend zeitlos-aktuelle Dringlichkeit auszeichnet.

Grosz’ Schwägerin Lotte Schmalhausen fotografiert Grosz 1928, als der Prozess läuft, auf dem Dach des Hauses Savigny-Platz 5. Grosz ist 35, über Augen und Nase haben sich tiefe Falten eingegraben. Müde sitzt er auf der Backsteinmauer, nur die Punkte auf der Krawatte scheinen zu tanzen. Brecht schreibt sechs Jahre später an ihn: „Vorläufig halten uns die Emigrantenzeitungen aufrecht. Wir sehen aus ihnen mit Freude, dass unsere Landsleute ohne uns nicht glücklich sind, Die Kultur soll (dort) sehr nachgelassen haben. Daraus schöpfen wir die Hoffnung, dass man uns bald wieder holen wird.“

1947 fordert er George Grosz auf, zusammen „etwas für das alte Kulturland zu tun“. Grosz lehnt dankend ab. 1959 kehrt er doch nach (West)Berlin zurück, fällt die Treppe runter und stirbt.

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