Keine Sozialleistungen im Jugendarrest: Nach Entlassung droht Mietrückstand
Im Jugendarrest können Sozialleistungen gestrichen werden, auch Wohngeld. Das Urteil aus Celle ist umstritten, trotzdem gab es keine Revision.
Jugendliche, die im Jugendarrest sind, haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle Ende Juni entschieden. Am Montag legte das Gericht die Begründung für sein Urteil vor. Ob der Jugendarrest als freiheitsentziehende Maßnahme gilt und deswegen Leistungen gekürzt werden sollen, darüber sind sich Fachleute uneins.
Dem 1998 geborenen Kläger hatte das Jobcenter Peine für zwei Wochen, die er im Jugendarrest verbringen musste, Grundsicherungsleistungen gestrichen, rund 400 Euro. Gegen diese Entscheidung legte er Widerspruch ein. Das Jobcenter rechnete den Tag der Entlassung aus den Kürzungen heraus, die grundsätzliche Logik der Leistungsverweigerung behielt es jedoch bei. Die anschließende Klage wies das Sozialgericht Braunschweig ab.
Auch das Landessozialgericht urteilte nun zu Ungunsten des Klägers. Er hatte beantragt, die Entscheidungen des Jobcenters aufzuheben, da es einen rechtlichen Unterschied zwischen dem Jugendarrest und einer Freiheitsentziehung gebe.
Resozialisierung oder Strafe?
Theresia Höynck von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen kann die Begründung des Gerichts mit Blick auf die Rechtslage nachvollziehen, kritisiert aber die Regelungen im Sozialgesetzbuch und vor allem die Ergebnisse, zu denen sie führen: „Dass ein Jugendlicher wegen zwei Wochen Jugendarrest Leistungen gekürzt bekommt, ist absurd, und gefährlich“, sagt Höynck. „Denn es verhindert den im Jugendgerichtsgesetz wichtigen Aspekt der Resozialisierung.“ Insbesondere die enthaltenen Wohngeldkürzungen hätten nichts mit Resozialisierung zu tun, sondern seien reine Strafe.
Theresia Höynck, Professorin für Jugendrecht
Auch das Landessozialgericht erkennt in seiner Urteilsbegründung Unterschiede zwischen Jugendarrest und Freiheitsstrafe. Der Arrest ist in „seiner konkreten Vollstreckung variabel und kann in Abhängigkeit von den individuellen Lebensumständen des Betroffenen jederzeit geändert werden“. Ein Arbeits- oder Bildungsangebot des Jobcenters könnte im Sinne des Erziehungsaspekts eine Entlassung aus dem Jugendarrest zur Folge haben.
Denn das Jugendgerichtsgesetz schreibt vor, dass eine Arrestform eine Ausbildung oder Arbeit des Jugendlichen nicht beeinträchtigen darf. Außerdem gebe es viele verschiedene Arten von Zuchtmitteln, anders als beispielsweise bei freiheitsentziehenden Maßnahmen wie einer Jugendstrafe ohne Bewährung.
Andere Gerichte hatten den Jugendarrest in der Vergangenheit deshalb nicht als freiheitsentziehende Maßnahme gewertet. Betroffene wären somit berechtigt, Leistungen zu beziehen.
Die Celler Richter erkennen die unterschiedlichen Einschätzungen in der Rechtsprechung an und haben wegen der grundsätzlichen Bedeutung Revision beim Bundessozialgericht zugelassen. Das Urteil ist aber inzwischen rechtskräftig, ein Antrag auf Revision ist laut einer Sprecherin des Bundessozialgerichts nicht fristgerecht eingegangen.
Verzicht auf Revision könnte taktisch motiviert sein
Für Theresia Höynck, die auch Professorin für Jugendrecht an der Uni Kassel ist, kann das verschiedene Gründe haben: „Solche Prozesse sind langwierig. Gerade im Jugendrecht kommt es deshalb häufig vor, dass Prozesse nicht durchgefochten werden, auch wegen der Belastung der Jugendlichen.“ Andererseits könne der Verzicht auf eine Revision taktische Gründe haben. Denn ein höchstinstanzliches Urteil könnte die rechtlichen Spielräume in der Zukunft einschränken. „Im Zweifel ist es jetzt sinnvoller, rechtspolitisch auf die Gesetzgebung einzuwirken“, sagt Höynck.
Auch aus ganz praktischen Gesichtspunkten kritisiert Höynck die Entscheidung und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wenn einem Jugendlichen, der ohnehin schon in einer Krise stecke, auch noch die Miete gekürzt werde. „Man muss sich mal überlegen – am Ende sind die Betreuer in der Arrestanstalt mehr damit beschäftigt, die Angelegenheit mit der unbezahlten Miete zu klären, als sich um echte Wiedereingliederungsmaßnahmen zu kümmern.“
Berthold Wesseler, Leiter der Jugendgerichtshilfe in Osnabrück, sind aus den vergangenen Jahren keine Fälle wie der vom Jobcenter in Peine bekannt. Er bestätigt aber, dass solche Kürzungen die Situation für junge Leute nicht leichter machten.
Im niedersächsischen Justizministerium will man noch prüfen, welche Auswirkungen das Urteil auf die Praxis des Jugendvollzugs hat, wie eine Sprecherin mitteilte.
Das Urteil ist auch aus verwaltungstechnischer Perspektive fragwürdig: Denn im Zweifel rutscht die Person aus der einen Maßnahme in eine andere. Dann muss sich wieder eine neue Abteilung damit beschäftigen, „und das wegen vier Wochen, die ein Jugendarrest höchstens dauert“, wie Höynck zu Bedenken gibt.
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