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Film „VerkehrsWendestadt Wolfsburg“Ungeschönte Tristesse

Zwei Jahre haben sich Wolfsburger Verkehrswende-Aktivist*innen bei Protestaktionen aufgenommen. Jetzt gehen sie mit dem Film auf Tour.

Straßenbahnen statt Autos: Ak­ti­vis­t*in­nen verkleiden einen Autozug über dem Mittellandkanal mit einem Straßenbahn-Transparent Foto: VW-Film

Zwei Aktivisten stehen auf einer Brücke, die über den Mittellandkanal zur Autostadt führt. Umringt von Po­li­zis­t*in­nen, gefilmt durch die Lücke in einem Bauzaun erzählen sie, was es mit der Abseilaktion und dem eben entrollten Banner auf sich hat. Und sie erklären vor dem im Hintergrund erkennbaren VW-Mutterwerk, warum sich diese Fabrik aus ihrer Sicht prima eignen würde für die Produktion von Trams, Straßenbahnen.

Die Wasserstraße ist zu sehen, die Silhouette der Stadt Wolfsburg auch, aber Zufallspublikum, Schaulustige, die fehlen. Und so hat es sich die vergangenen zwei Jahre oft zugetragen, wenn die Ak­ti­vis­t*in­nen aus dem Projekthaus Amsel44 loszogen: die Kamera parat, tiptop Öffentlichkeitsarbeit, und vor Ort irgendwie tote Hose.

Eine Handvoll Ak­ti­vis­t*in­nen war vor zwei Jahren nach Wolfsburg gekommen, in eine ihnen fremde Stadt, hatte ein Haus gekauft und ließ den Schlüssel fortan von außen stecken. Ihre Zeit ist nun vorbei. Zum Abschluss geht die Gruppe mit einem Film drei Monate lang auf Tour, der die zwei Jahre zusammenfasst: „VerkehrsWendestadt Wolfsburg – Den automobilen Konsens aufbrechen“ heißt er. Er soll in 50 Städten in Deutschland und der Schweiz gezeigt werden.

Die Optik ist ungeschönt: Er zeigt die unverputzte Wand im Projekthaus, die Tristesse der VW-Fabrikgebäude, die leeren Straßen. Und doch emotionalisiert er: An diesem besonderen Ort, in der von den Nazis für ihre Industrie- und Autopolitik gegründeten Stadt, macht der Film den Antrieb der Ak­ti­vis­t*in­nen deutlich, sich für eine umfassende Verkehrswende einzusetzen.

Die Krisen der Welt sind hier noch nicht bis in den Vorgarten gerückt

Laura Riesenbeck, Gärtnerin aus der Region, hat sich dem Protest angeschlossen

Gezeigt wird eine große Bandbreite an Aktionen: vom Abseilen bis zur Intervention bei der Aktionärsversammlung, vom Flyerverteilen bis zur Blockade eines Autozuges. Für je­de*n was dabei, sagt Laura Riesenbeck, Gärtnerin aus der Gegend, die sich der Gruppe angeschlossen hat. Überhaupt sei endlich mal was los. „Ich erlebe Wolfsburg als unpolitisch“, sagt sie. Das Geld fließt, die Eigentümerfamilien scheinen zufrieden, die Leute in der Stadt auch: „Die Krisen der Welt sind hier noch nicht bis in den Vorgarten gerückt“, sagt Riesenbeck.

Umso größer sei der Druck, findet Lars Hirsekorn, VW-Betriebsrat aus Braunschweig: „Wir müssen definitiv einfach handeln“ appelliert er. „Die Besitzer von Volkswagen, die Familien, werden das nicht tun. Sie werden nie versuchen, einen vernünftigen ökologischen Weg zu gehen.“

Handeln – das heißt in den Augen der Prot­ago­nis­t*in­nen: eine echte Verkehrswende herbeiführen. E-Autos halten sie für Schnickschnack. Eine Antriebswende würde die umfassende Verkehrswende eher blockieren, weil sie Ressourcen wie Zeit und Geld verschwende. Sofern VW also von sich aus die Produktion nicht auf Straßenbahnen umstellt, müsse man das Werk vergesellschaften.

Für ihr Ziel sind die Ak­ti­vis­t*in­nen auch den Eigentümern persönlich auf die Pelle gerückt. Der Film erinnert an den Tortenwurf Richtung Wolfgang Porsche bei der VW-Hauptversammlung, der 2023 für internationale Presse sorgte. Nacktprotest und Farbbomben folgten, um „den Alltag der Zerstörung mal infrage zu stellen“, sagt Aktivist Tobi Rosswog.

Aktivistin Lotte Herzberg intervenierte zudem bei der Online-Hauptversammlung von Porsche. Sie nutzte das Rederecht der kritischen Aktionäre, um „eine Frage an Ferdinand Junior Porsche“ zu stellen: „Möchten Sie sich nicht distanzieren von Ihrem Urgroßvater, dem Kriegsverbrecher, dessen Namen Sie tragen?“ Hektik auf dem Podium: „Aus!“, rufen die Konzernlenker, schauen sich hilfesuchend um, motzen die Rednerin an, fordern Ruhe. Herzberg redet weiter, bis es der Technik wenig später gelingt, sie stumm zu schalten. Eine kuriose Szene.

Der Film und seine Vorführungen

„VerkehrsWendestadt Wolfsburg“, 57 Minuten, Regie und Produktion John Mio Mehnert.

Vorführungen Oldenburg 3. 9.; Leer 4. 9.; Osnabrück 5. 9.; Lübeck 6. 9.; Göttingen 12. 9.; Celle 23. 9.; Hamburg 25. 9. und 1. 11.; Lüneburg 24. 10.; Heide (Holst.) 2. 11.; Hannover 3. 11.; Braunschweig 4. 11.; Wolfsburg 6. 11.; Weitere Infos auf film.verkehrswendestadt.de

Einige VW-Arbeiter haben die Ak­ti­vis­t*in­nen erreicht. Toto Bleibaum saß im anfänglichen Protestcamp abends mit am Lagerfeuer. „Hinter den langhaarigen Bombenlegern verstecken sich auch ganz geile Typen, die richtig was draufhaben.“ Die Arbeiter erzählen im Film, dass sie darauf gewartet haben, dass sich endlich mal was tut. Und von der Angst, die in der Automobilindustrie herrscht. Auch von der Skepsis gegenüber dem E-Auto.

Die fehlende Resonanz bei den Aktionen zeigt, wie besonders Wolfsburg ist, wie getaktet durch die Arbeitszeiten im Konzern. So sind, bei der alternativen Hauptversammlung, die im Mai dieses Jahres an einem Werkstor abgehalten wurde, einmal eben doch volle Fußwege zu sehen – weil Schichtwechsel ist. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Massen vor Ort, sondern um die Wirkung nach außen. Rosswog hofft, dass die Menschen sich erinnern, wenn der Moment gekommen ist, etwas zu verändern. Und das hängt nicht an Wolfsburg und noch nicht einmal an VW allein. Das hängt an uns allen.

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6 Kommentare

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  • Wenn die Verkehrswende kommt, werden weniger Autos verkauft. Also passen die Artikel "Verkehrswendestadt Wolfsburg" und "VW will Mitarbeiter entlassen" gut zusammen.

  • „Möchten Sie sich nicht distanzieren von Ihrem Urgroßvater, dem Kriegsverbrecher, dessen Namen Sie tragen?“

    Muss man sich jetzt aktiv von seinem Urgroßvater distanzieren, weil dieser ein Nazi war und man den selben Nachnamen trägt? Erbsünde bis in die 4. Generation? Da war es ja fast leichter im 3. Reich einen Ariernachweis zu erlangen.

    • @Tom Tailor:

      Wenn dieser Mensch von dem unrechtmäßigen durch Sklavennarbeit geschaffenen Reichtum lebt, davon profitiert und weitere Verbrechen an der Menschheit ausnutzt (Uiguren), muss er das!

      • @Florian Henig:

        Mit der Argumentation kannst du den gesamten Westen delegitimieren.

        Wenn du jemanden anklagst, weil sein geerbtes Haus vor 120 Jahren unter mit heutigem Arbeitsrecht nicht zu vereinbarenden Bedingungen errichtet wurde, dann kannst du Eigentum gleich abschaffen.

        • @Gorres:

          Das ist doch genau das Geile: Eigentum abschaffen! Mensch. Fast kapiert.

        • @Gorres:

          Ferdinand Porsche war einer der ersten, der massiv Zwangsarbeiter in seinen Betrieben eingesetzt hat. Es hat das nicht nur akzeptiert sondern bewusst vorangetrieben. Er hat weiblichen Zangsarbeitern die Kinder wegnehmen und in Heime geben lassen, in denen mehr als die Hälfte an Hunger und Krankheiten gestorben sind, wärend Mama als Porschsklavin in der Fabrik schuftete. Porsches Wirtschaftlicher Erfolg basierte auf der Anbiederung an und die Förderung durch die Nazis. Das Vermögen, was er damit gemacht hat, durfte er behalten.

          Kann man alles in einer Veröfentlichung der Stadt Linz nachlesen, die sich vom Namen Porsche losgesagt und die entsprechende Straße umbenannt hat.

          Ich glaube, diesen Vorwurf kann man nun wirklich nicht dem "gesamten Westen" (wenn überhaubt konnte man diesen Vorwurf nur einer bestimmten Klasse der Menschen im Westen machen).

          Es ist aber natürlich auch ein Statement, wenn man den Enkel des einkalten Opportunisten und Kriegsproffiteuers benennt. Allerdings hat sich Ferdinand junior diesen Namen nicht selber ausgesucht.