Prozesse um Reichsbürger-Putschpläne: Mit Astrologie in den Umsturz

Die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann wird von ihrer Ex-Mitarbeiterin und Astrologin Hildegard L. belastet. Die gibt sich vor Gericht unwissend.

Birgit Malsack-Winkemann im Juli in Frankfurt am Main Foto: Boris Roessler/Pool photo via AP

MÜNCHEN taz | Als die Angeklagte Birgit Malsack-Winkemann jüngst vor dem Frankfurter Oberlandesgericht zum ersten Mal das Wort ergriff, tat sie das in aller Ruhe. Die AfD-Politikerin, die als Teil der Reichsbürger-Verschwörung um Heinrich XIII. Prinz Reuß den gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben soll, gab sich überlegen, selbstbewusst, seriös. Ganz die promovierte Juristin, die sowohl ihr Amt als Richterin in Berlin als auch ihr Mandat im deutschen Bundestag stets mit maximalem Engagement sowie gesetzestreu ausgefüllt habe.

Einige hundert Kilometer weiter südlich im Münchner Oberlandesgericht klang das nun ganz anders. Da war eine Malsack-Winkemann zu hören, die sich mit überschlagender Stimme beklagte, nicht länger „Richterin spielen“ zu wollen.

Die auf die „widerliche“ AfD schimpfte, weil die sie nicht wieder als Bundestagskandidatin aufgestellt habe. Die erklärte, sie wolle etwas bewegen, aber das gehe „erst, wenn die Parteien abgeschafft sind und wir ein anderes System bekommen“. Und: nur mit Prinz Reuß.

Es waren abgehörte Telefonate, die die 59-Jährige vor rund zwei Jahren mit Hildegard L. geführt hat – einer Astrologin aus dem hessischen Heppenheim, die ihre Mitarbeiterin im Bundestag gewesen war und ebenfalls der „Patriotischen Union“ um den Frankfurter Immobilienunternehmer Reuß angehört haben soll. Die 70-Jährige muss sich derzeit in München zusammen mit sieben weiteren mutmaßlichen Mit­ver­schwö­re­r*in­nen vor dem Staatsschutzsenat verantworten.

Drei parallele Prozesse

Insgesamt 26 Angeklagte gibt es in diesem Komplex, in drei parallelen Prozessen wird verhandelt. Hildegard L. ist die Erste des inneren Zirkels, die sich zu den Terrorismus- und Hochverratsvorwürfen der Bundesanwaltschaft geäußert hat. Tagelang sagte sie vor Gericht aus, beantwortete Fragen – und bekundete Reue: „Ich verdiene keinen Freispruch.“ Was sie freilich nicht als Geständnis verstanden wissen wollte.

Laut Anklage war Hildegard L. bereits dabei, als eine Runde um die früheren Bundeswehroffiziere Rüdiger von Pescatore und Maximilian Eder im Juli 2021 erstmals beschlossen haben soll, einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag vorzubereiten. Anschließend soll die „Astrohilde“, so ihr selbst gewählter Spitzname, nicht nur Malsack-Winkemann als Mitstreiterin gewonnen haben, sondern auch etliche weitere zentrale Akteure – von einem Stabsfeldwebel des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bis zum Betreiber eines verschwörungsideologischen Telegram-Kanals, der zum Pressesprecher der Gruppe werden sollte.

Und sie soll an fast allen Sitzungen des „Rats“, der designierten Putschregierung unter Prinz Reuß, teilgenommen haben. Wo sie als Zuständige für das Ressort „Transkommunikation“ unter anderem die astrologische Zuverlässigkeit neuer Mit­ver­schwö­re­r*in­nen überprüft habe.

Bei Androhung der Todesstrafe

Nichts davon hat Hildegard L. in ihrer Aussage bestritten. Zugleich jedoch versuchte sie, sich selbst aus der Schusslinie zu manövrieren. Mal will sie nicht so genau zugehört haben, wenn die Pläne der „Patriotischen Union“ besprochen wurden, mal habe sie die Dinge „nicht für so relevant gehalten“. Zum Beispiel ihre Unterschrift unter einer Erklärung zur „Reaktivierung Deutschlands“, mit der sie sich bei Androhung der Todesstrafe zur Verschwiegenheit verpflichtete.

Mit den anderen Gruppenmitgliedern habe sie vor allem die Ablehnung der Corona-Politik verbunden, sagte Hildegard L., ansonsten habe sie ihr Tun als Beratungsauftrag verstanden. „Ich bin Geschäftsfrau, ich will Geld verdienen.“ In den abgehörten Gesprächen, die sie nicht nur mit Malsack-Winkemann führte, wirkt Hildegard L. freilich eher wie eine treibende Kraft.

Wie eine zutiefst Überzeugte, die mit größter Selbstverständlichkeit Versatzstücke rechter Verschwörungserzählungen wie dem antisemitischen QAnon-Glauben aneinanderreiht oder ankündigt, dass zur „Befreiung“ in wenigen Tagen das Kriegsrecht verhängt werde, weltweit. Und die stolz erzählt, dass „der Chef“, wie sie Reuß durchaus ehrfürchtig zu bezeichnen pflegte, und „die Birgit“ gerade dabei seien, eine neue deutsche Verfassung zu entwerfen.

Vielleicht auch deshalb lenkte Hildegard L. die Aufmerksamkeit vor Gericht lieber auf ihre ehemalige Arbeitgeberin. Mit Schusswaffen und Schießtrainings, wie sie auch die Vereinigung einmal organisierte, will die Sternendeuterin nichts zu tun gehabt haben. Das sei eine „Bubensache“, nichts für Frauen. „Birgit Malsack-Winkemann war in dieser Hinsicht eine Ausnahme.“ Auch mit dem Reichsbürger-Narrativ des angeblich fehlenden Friedensvertrags für die Bundesrepublik habe nicht sie sich beschäftigt, sondern die AfD-Politikerin. Und nur ihr zuliebe sei sie auch selbst in die AfD eingetreten.

Wann denn endlich alles losgehe?

Kaum ein gutes Haar lässt Hildegard L. an „der Birgit“. Was die AfD-Abgeordnete an ihrem Bundestagsmandat geschätzt habe? „Der Chauffeursdienst war ihr wichtig“, sagte die Ex-Mitarbeiterin. „Die Einladungen zu Veranstaltungen, die Flüge, die Erste-Klasse-Bahnfahrten – eben das, warum Abgeordnete an ihren Posten kleben.“ Und mit Blick auf die „Patriotische Union“, erzählte Hildegard L., habe Malsack-Winkemann immer wieder mit Fragen genervt, wann denn endlich alles losgehe. Nur deshalb habe sie ihr irgendwann gesagt: schon bald.

Zumindest das mit dem Genervtsein könnte stimmen. In einem der Telefonate insistiert eine ziemlich unsicher klingende Malsack-Winkemann, ob sie denn immer noch „ausgewählt“ sei. „Das bist du, das bist du“, antwortet Hildegard L. mit deutlich hörbarer Ungeduld und beendet danach umgehend das Gespräch: „Ich muss jetzt Salat putzen.“

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