Krieg, Flucht und Rassismus in Myanmar: Rohingya zwischen den Fronten

Berichten zufolge werden Angehörige der Rohingya-Ethnie nun auch von Rebellen angegriffen. In Bangladesch haben die Geflohenen keine Perspektiven.

Geflohene Rohingya-Familie aus Buthidaung in einem Lager bei Cox's Bazar in Bangladesch Foto: Mohammad Ponir Hossain/REUTERS

BERLIN taz | „Auf dem Boot waren 30 Personen, darunter 18 Kinder. Nur vier haben überlebt,“ berichtete ein Augenzeuge anonym dem birmesischen Dienst des US-Auslandssenders RFA. Demnach kenterte das Boot mit Flüchtlingen der Volksgruppe der Rohingya am Montag beim Überqueren des Grenzflusses Naf, als es von Myanmars südwestlichem Rakhine-Staat nach Bangladesch fuhr.

Seit einigen Monaten fliehen Rohingya wieder vermehrt ins Nachbarland. Allein Anfang August sollen 5.000 Flüchtlinge auf einen illegalen Grenzübertritt gewartet haben. Denn im Unterschied zur letzten großen Flüchtbewegung 2017 versucht Bangladesch die Grenze geschlossen zu halten.

Rohingya-Männer fliehen nun auch aus ihrer Heimat, weil sie von der Militärjunta für deren Krieg gegen die Rebellen zwangsrekrutiert werden. Und mittlerweile sind ganze Städte und Dörfer mit einem hohen Bevölkerungsanteil der Rohingya Kampfplatz des Konfliktes geworden, was eine große Fluchtbewegung ausgelöst hat. Allein aus der Staddt Buthidaung sollen seit April 70.000 Menschen, mehrheitlich Rohingya, vor Kämpfen geflohen sein.

Früher vertrieb allein das Militär – auch mit dem Segen der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi – die bereits 1982 zu Staatenlosen gemachten Rohingya. Die werden in Myanmar offiziell als Bengali bezeichnet und damit als illegale Einwanderer aus dem Nachbarland denunziert.

Bewaffnete Rohingya-Gruppen sind Verbündete des Militärs

Doch mehren sich seit April glaubwürdige Berichte, dass auch Rebellen der buddhistischen Arakan Army (AA) Rohingya angegriffen haben, etwa im Mai bei der Einahme der Stadt Buthidaung oder Anfang August in Maungdaw.

Zum einen, weil das Militär jetzt zwangsrekrutierte Rohingya gegen die AA einsetzt. Zum anderen haben sich aber auch kleine bewaffnete Rohingya-Gruppen wie die terroristische ARSA (Arakan Rohingya Salvation Army) mit dem Militär gegen die AA verbündet.

Das jetzt zu Wochenbeginn gesunkene Boot soll Rohingya transportiert haben, die aus Maungdaw, das inzwischen von der AA kontrolliert wird, fliehen wollten. Andere Flüchtlinge berichteten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass sie seit April selbst von der AA angegriffen wurden, manche sogar noch auf Booten bei der Flucht auf dem Fluss Naf.

Die AA vertritt die buddhistischen ethnischen Rakhine und kämpft seit 2009 für die Autonomie der Region mit bis zu geschätzt 40.000 Bewaffneten. Erst nach dem Militärputsch 2021 hat sich die AA mit anderen Rebellen verbündet.

Der Name Arakan ist der bis 1989 offizielle Name für Rakhine, wobei historisch Arakan ein von Birma unabhängiges Königreich mit der Hauptstadt Mrauk-U war. Die daher symbolisch wichtige Stadt fiel bei der jetzigen Offensive der AA als eine der ersten, bald folgte die bei Touristen beliebte Region um Ngapali-Beach. Heute hält das Militär nur noch Rakhines Hauptstadt Sittwe.

Auch Rebellen denunzieren Rohingya als Bengali

Die AA dementiert Angriffe auf Rohingya, wirft ihnen zum Teil Verleumdung vor und hat andererseits mehrere tausend von ihnen aus umkämpfen Orten in Sicherheit gebracht. Doch auch ihr Anführer spricht von den Rohingya als Bengali.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zählte nach dem AA-Angriff auf Maungdaw eine Zunahme von Kriegsverletzungen unter den Rohingya, denen später die Flucht nach Bangladesch gelang.

Über den Naf fliehen schon seit Jahren muslimische Rohingya nach Bangladesch. Vor sieben Jahren, am 25. August 2017, begann Myanmars Militär damit, gemeinsam mit buddhistischen Milizen über Wochen Rohingya zu massakrieren, ganze Dörfer anzuzünden, Frauen zu vergewaltigen und rund 740.000 Rohingya über die Grenze nach Bangladesch zu vertreiben.

Vorwurf ethnischer Säuberungen und des Völkermords

Menschenrechtler sprechen von ethnischen Säuberungen oder gar einem Genozid, den auch US-Außenminister Antony Blinken attestierte. Auch an diesem Sonntag gedenken Rohingya wieder dem Beginn der Massenvertreibung von sieben Jahren.

Auslöser waren damals Überfälle der terroristischen ARSA auf myanmarische Grenzposten und Polizeistationen gewesen. Damit hatte erstmals eine islamistisch orientierte und mutmaßlich aus Pakistan und Saudi-Arabien unterstützte Rohingya-Splittergruppe unter dem Vorwand des Widerstands gegen jahrzehnlange Diskriminierung bewaffnet zugeschlagen.

Doch gab ARSA damit dem Militär auch einen Vorwand, möglichst viele Rohingya nach Bangladesch zu treiben. Dort lebten bei Cox’s Bazar bereits zuvor zehntausende Flüchtlinge, die in den Jahren zuvor geflohen waren.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sieht in der jetzigen Fluchbewegung ein „erschreckendes Echo der Massengewalt von 2017“. Heute sind bei Cox’s Bazaar in Kutupalong und angrenzenden Camps rund eine Million Rohingya im größen Flüchtlingslager der Welt untergebracht. Sie sind auch dort völlig rechtlos, dürfen nicht arbeiten, die Camps kaum verlassen und die Kinder keine Schulen außerhalb besuchen.

Perspektivloses Leben im Flüchtlingslager

Die Lage der Menschen dort ist so trost- wie perspektivlos. In den letzten Jahren hat es eine Zunahme der Gewalt gegeben – zuletzt auch, weil zur Bekämpfung der regierungskritischen Proteste in Bangaldeschs Hauptstadt Dhaka Polizisten abgezogen wurden.

Bandenkriege, immer wieder wütende Brände und Schlammlawinen nach schweren Regenfällen erschweren das Leben der Flüchtlinge. Hinzu kommen die zunehmenden Kürzungen der überlebenswichtigen internationalen Hilfe.

Bangladesch Regierung hat bisher rund 30.000 Menschen auf die unbewohnte, unwirtliche und abgelegene Insel Basan Char im Golf von Bengalen umgesiedelt, einer Art Freiluftgefängnis fernab vom Rest des Landes.

Verzweifelte Rohingya sehen deshalb die einzige Perspektive darin erneut zu fliehen oder wenigstens ein Familienmitglied ins Ausland zu schicken, etwa eine Tochter dort zu verheiraten.

Bangladesch will die Rohingya loswerden

Die Flucht per Boot nach Malaysia oder ins nordwestindonesische Aceh ist aber nicht nur teuer, sondern auch äußerst riskant. Laut UNHCR ertranken allein im Jahr 2023 mindestes 569 Rohingya-Boat-People. Inzwischen weigern sich die meisten Anrainerstaaten, Flüchtlingsboote mit Rohingya in ihre Hoheitsgewässer zu lassen. Die Küstenwachen schleppen sie wieder auf hohe See.

Bangladeschs neuer Übergangspremier Muhammad Yunus sagte zwar inzwischen zu, dass seine Regierung die Rohingya-Flüchtlinge weiter unterstützen werde. Doch scheint auch er allein auf ihre Rückkehr zu setzen.

Die vorherige Regierung lehnte jede Integration der Rohingya in die Gesellschaft Bangladeschs ab wie auch eine Vermittlung in andere Länder. Dhaka sieht die Rohingya nicht als Bengali, sondern als Bürger Myanmars und besteht auf ihrer Rückkehr.

Da Myanmars Militär aber Sicherheitsgarantien wie Rückkehrhilfen verweigert, denen Rohingya auch nur eine Perspektive in neuen Lagern bietet und der eskalierende Krieg neue Risiken gebracht hat, ist eine Rückkehr der Flüchtlinge, die angesichts anderer Krisen in Vergessenheit zu geraten drohen, nicht einmal in Ansätzen absehbar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.