Erklärung von US-Außenminister: USA sehen Genozid an Rohingya
US-Regierung stuft die Verfolgung der Rohingya-Minderheit durch Myanmars Militär im Jahr 2017 jetzt doch noch als Völkermord ein.
Blinken, der jüdischer Abstammung ist und dessen Stiefvater als Einziger von 900 jüdischen Mitschülern den Holocaust überlebte, sprach im Fall der Rohingya in seiner Rede von Angriffen, die „weit verbreitet und systematisch“ gewesen seien. Dabei sei „eine klare Absicht“ zu erkennen gewesen, die Rohingya „ganz oder teilweise“ zu vernichten.
Es sei überhaupt erst das achte Mal seit dem Holocaust, dass eine US-Regierung einen Genozid festgestellt habe, so Blinken. Er hatte dazu selbst eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Laut US-Medien sind zwei vorangegange Untersuchung der Regierung zu anderen Schlüssen gekommen und hätten zum Beispiel von „ethnischen Säuberungen“ gesprochen, die aber im Unterschied zum Völkermord keine juristische Kategorien seien.
Ende August 2017 hatte Myanmars Militär Angriffe einer Rohingya-Gruppe auf Polizeiposten im westlichen Rakhaing-Staat mit einer breiten Mord-, Verfolgungs- und Vertreibungskampagne beantwortet. Viele Dörfer der meist muslimischen Rohingya-Ethnie wurden niedergebrannt, Frauen vergewaltigt.
9.000 Rohingya wurden 2017 getötet
9.000 Rohingya starben innerhalb weniger Wochen, mehr als 740.000 flohen nach Bangladesch. Dort lebten nach Vertreibungen 2016 sowie aus früheren Zeiten schon mehr als 200.0000 Flüchtlinge meist in Lagern um die Stadt Cox’s Bazar.
Rohingya werden im mehrheitlich buddhistischen Myanmar, dem früheren Birma, schon seit Jahrzehnten diskriminiert. Blinken verwies auf die Vorgeschichte, die jedem Genozid eigen sei. So sei den Rohingya schon ab 1982 per Gesetz die Staatsbürgerschaft aberkannt worden.
Sie dürfen sich auch nicht Rohingya nennen, sondern werden offiziell als Bengalen bezeichnet, was sie als illegale Einwanderer aus Bangladesch abstempelt. Dabei leben die meisten von ihnen schon seit Generation im Südwesten Myanmars.
Dass die US-Regierung, im Unterschied etwa zu Kanada oder Frankreich, erst jetzt die Verbrechen des myanmarischen Militärs an den Rohingya offiziell als Genozid einstuft, beruht weniger auf neuen Erkenntnissen Washingtons, als vielmehr auf geänderten politischen Bedingungen.
Veränderte strategische Lage durch Militärputsch
Dazu gehört neben dem Wechsel der US-Präsidentschaft von Donald Trump zu Joe Biden vor allem der Militärputsch in Myanmar vom 1. Februar 2021. Bis dahin war die dort regierende Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi gezwungen gewesen, mit dem mächtigen Militär zusammen zu regieren.
Weil die Friedensnobelpreisträgerin sogar persönlich die Generäle vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen den Genozid-Vorwurf verteidigte, so twitterte Kenneth Roth von Human Rights Watch jetzt, „fürchtete die US-Regierung, dass eine Einstufung als Völkermord die Schritte der Regierung [Aung San Suu Kyis, die Red.] in Richtung Demokratie untergraben würde.“
Ein Kalkül der früheren Trump-Regierung war gewesen, Myanmar nicht weiter in die Arme des mächtigen Nachbarn China zu treiben. Dabei waren viele ausländische Unterstützer Aung San Suu Kyis entsetzt, dass sie die Generäle verteidigte, unter denen sie selbst so lang gelitten hatte.
Doch zeigte dies auch ihre nationalistische Seite und dass sie sich dem von ihrem Vater gegründeten Militär verbunden fühlt. Seit dem Putsch ist sie ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Die Generäle, die damals gegen die Rohingya vorgingen, haben jetzt die Macht und kämpfen dabei ähnlich brutal gegen die demokratische Opposition wie damals gegen die Rohingya. Diese können bis heute nicht zurückkehren, weil es keine Sicherheitsgarantien gibt.
Menschenrechtler: US-Entscheidung war überfällig
Die Einstufung der Verbrechen an den Rohingya als Völkermord, was schon UN-Gremien vorgeschlagen hatten, wird von Menschenrechtlern als überfällig bezeichnet. Direkte Konsequenzen hat die Einstufung als Genozid aber erst mal nicht, zumal Myanmars Militär schon seit 2017 von westlichen Ländern mit Sanktionen belegt wird. Diese wurden nach dem Putsch verschärft. Doch dürfte der Druck jetzt noch weiter steigen.
Die Anlehnung der Verfolgung an den Holocaust durch die Ortswahl der Verkündung wirkt angesichts von dessen weit größerer Dimension überzogen, so brutal die Verfolgung der Rohingya auch ist und so lobenswert es trotzdem ist, dass sich das Holocaust Museum auch mit aktuellen Völkermordverbrechen beschäftigt.
Aber vor allem aber macht das stark von strategischen Interessen geleitete statt prinzipienorientierte Vorgehen der US-Regierung jetzigen ihren Schritt angreifbar. Denn so treffend die jetzige Einstufung ist, so hat sich an der Situation der Rohingya seit 2017 eigentlich nichts verändert.
Trotzdem dürfte Washingtons Schritt jetzt in Myanmar von der gegen das Militär kämpfenden Opposition begrüßt werden, auch wenn dies an der Situation der geflohenen Rohingya zunächst nichts ändert. Viele oppositionelle Birmesen haben erst nach dem Putsch gemerkt, dass sie den verfolgten Rohingya mehr hätten politisch beistehen sollen. Der damalige Militärchef Min Aung Hlaing ist heute der Chef der Junta.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen