piwik no script img

Aufgeregte Medien und BSW-PolitikerinJagd nach RAF- und Gender-Phantomen

In nachrichtenarmen Zeiten muss sich die Springer-Presse ihre News selbst erzeugen. Ob man sich da schon auf den Wahlherbst freuen kann? Eher nicht.

Phantome in deutschen Innenstädten Foto: Christian Ditsch

D as war eine Aufregung am Mittwoch. Bild und B.Z. meldeten die Verhaftung von Burkhard Garweg, dem flüchtigen mutmaßlichen ehemaligen RAF-Terroristen. Er sollte bereits am Dienstagabend gefasst worden sein, in einem ICE in Berlin-Spandau. Aus Sicherheitskreisen wollte die Springer-Presse erfahren haben, dass es sich tatsächlich um den Weggefährten der im Februar festgenommenen Daniela Klette handele.

Aber konnte das wirklich sein? Seit einem halben Jahr wird intensiv nach ihm gefahndet. Es ist schon erstaunlich, dass er so lange unentdeckt geblieben ist. Aber dann in einen ICE steigen und sich von Mitreisenden erkennen lassen? Andere Medien blieben vorsichtiger in ihren Formulierungen. Und dann stellte sich auch heraus: Er war es gar nicht. Die Bild veröffentlicht einen Tag später direkt ein Interview mit dem fälschlich Festgenommenen. Sie erzeugt, so kann man fast den Eindruck gewinnen, ihre eigenen News, wenn das Sommerloch sonst nichts zu bieten hat.

Dabei passiert doch gar nicht nichts. In gerade einmal zwei Wochen wird in zwei Ost-Bundesländern ein neuer Landtag gewählt, und der Wahlkampf ist in vollem Gange. Sowohl in Thüringen als auch Sachsen steht das Bündnis Sahra Wagenknecht in Umfragen derzeit auf Platz 3. Doch das Zwischenergebnis will die Namensgeberin mit populistischen Sprüchen offenbar noch verbessern.

Blödsinn hoch Drei

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte sie am Dienstag, Kinder lernten in den Schulen nicht rechnen, sondern nur gendern. Das ist aus mehrerlei Hinsicht völliger Blödsinn. In Sachsen ist das Gendern mit Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich in Schulen sogar verboten. In Thüringen scheiterte die CDU mit einem ähnlichen Vorstoß. (Man „gendert“ übrigens auch, wenn man – oder frau – nur das generische Maskulinum verwendet). Und wenn man nicht gerade an einer Freien Schule lernt, dann sind Mathe- und Sprachunterricht noch immer getrennte Fächer.

Derweil hob das Bundesverwaltungsgericht Nancy Faesers Verbot des rechten Magazins Compact wieder auf (die Hauptverhandlung steht aber noch aus), die AfD feiert und gewinnt vermutlich noch ein paar mehr Wäh­le­r*in­nen­stim­men hinzu, obwohl sie in Umfragen zumindest in Thüringen sowieso bereits auf Platz eins gesehen wird. Dass sich die rechte Hegemonie nun also auch in einem Landtag manifestiert, ist nicht nur reale Gefahr, sondern fast schon Realität.

Die demokratischen Kräfte wälzen Konzepte, um den Faschisten Björn Höcke als Ministerpräsident zu verhindern. Während die Kampagnenorganisation Campact linke Ge­gen­kan­di­da­t*in­nen – auch mit Geld – unterstützt, bleibt die CDU bei ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken (den mit der AfD nehmen zumindest auf kommunaler Ebene nicht alle ganz so genau) und fragt sich, wie sie in Thüringen eine Mehrheit ohne AfD zustande kriegen soll, wenn es die SPD möglicherweise nicht einmal in den Landtag schafft. Die steht, sowohl in Sachsen als auch Thüringen, in Umfragen derzeit bei 6 Prozent.

Aber spätestens bei den Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA haben wir gelernt, nicht allzu sehr auf Vorwahlumfragen zu vertrauen. Es kann also genau wie damals viel schlimmer kommen – oder, so Gott will! (man denke sich ein Emoji mit betenden Händen hinzu) – auch besser. Apropos: Nachdem Joe Biden seine Kandidatur für die US-Demokraten zurückgezogen hatte, jammerte Konkurrent Donald Trump, weil er seine ganze Wahlkampagne auf ihn ausgerichtet hatte.

Nun fällt ihm offenbar nichts Besseres ein, als Kamala Harris zu beleidigen – und das will er auch weiter tun. „Dumm“ und „verrückt“ nannte Trump Harris bereits, spricht ihren Namen falsch aus (korrekt wird das erste A in Kamala betont) und greift sie rassistisch an. Nun sagte Trump: „Ich habe ein Recht darauf, sie persönlich zu attackieren.“ Und erklärte: „Alles, was wir machen müssen, ist, unsere Gegnerin als Kommunistin oder Sozialistin zu bezeichnen oder als eine, die unser Land zerstören wird.“ Eine Strategie ist das nicht. Funktionieren wird sie bei seinen Anhängern dennoch.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Johanna Treblin
Redakteurin taz.eins und Themenchefin
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Gendern ist für die Gesellschaft nicht mehr relevant. Die Thematik wird nur noch in ultrakonservativen oder extrem linken Medien am Leben gehalten. Die überwiegende Mehrheit der Menschen haben sich an einige Innovationen (z. B. m/w/d gewöhnt) gendern aber im allgemeinen Sprachgebrauch nicht. Schon gar nicht in der Schluckaufversion der gesporchenen Sprache.

    • @Lars Sommer:

      An Hochschulen und Universitäten wird ganz selbstverständlich geschlechtergerechte Sprache benutzt - nicht von allen natürlich, aber von vielen. Sie wird intern in Firmen benutzt und in Medien sowieso. Es sind v.a. die Jungen, für die es beteits alltäglich ist. Die Diskussion ist also noch lange nicht abgeschlossen.

  • Was soll’s,die Wähler im Osten wollen keine Vernunft, sondern die Vorführung der Vernunftdemokraten. Einfach umbrich selbst mal wieder auf der Siegerseite zu sehen. Muss man wohl ertragen, bis sichere Erkenntnis durchsetzt, dass „dagegen sein“ immer noch kein Beweis geistiger Reife ist.

  • Jedes medium bedient halt sein klientel. ;-)

  • Ist das grundlegend Schlimmste was Wagenknecht, ihren Gefolgsmenschen vorzuwerfen ist: Bedienen zynisch eine (Massen)Psychologie, von der jede Klippschülerin, jeder Schulabbrecher weiss: Klar funktioniert das. Hat schon immer funktioniert. Niemand musste dafür je besonders klug sein. Es reicht nur bisschen zynische Schläue.

    Und das vor dem Hintergrund einer "Partei" die gar keine ist. Sie hat nämlich gar keine Strukturen, in denen Realpolitik ganz langweilig und auf der Basis von Expertise, Kompetenz oder auch nur Erfahrung Alltagsarbeit sein kann.

    Zum Schluss wird diese "Strategie" zur Bespielung von Instinkten, reaktionären Reflexen und Affekten Erwartungen, Erzählungen und Bewegungsmuster mästen, die sie selber politisch gar nicht mehr eingrenzen kann.



    Das ist der Überheblichkeit begriffsloser Egomaninnen geschuldet, die glauben nachher, ganz nachher dann, kriegen sie den Geist schon wieder in die Flasche, den sie selbst frei liessen.



    Wenn das passiert ist, wird die Person Wagenknecht wie schon so oft wieder einmal einfach gehen. Es nicht gewesen sein wollen. Es anders gemeint haben wollen.



    Die galoppierend retardierende Rechtsreaktion aber bleibt und schreitet voran.