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Berliner GrüneNachholbedarf in Sachen Vielfalt

Die Grünen wollen in ihren Strukturen die gesamte Stadtgesellschaft abbilden. Eine parteiinterne Umfrage zeigt, dass sie davon noch weit entfernt sind.

Milieufragen: Die Berliner Grünen bei ihrem Parteitag im Mai Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | Der Berliner Landesverband der Grünen sind in den vergangenen Jahren zwar weiblicher und jünger geworden. Auch der Anteil queerer Menschen hat deutlich zugenommen. Die Partei wisse „aber auch, dass noch ein langer Weg vor uns liegt, bis wir unser Ziel erreichen: ein Spiegelbild der Stadtgesellschaft zu sein“. Das ist das Ergebnis der „Diversity-Umfrage 2023“ zu Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildungswegen und Diskriminierungserfahrungen unter den rund 400 Amts- und Man­dats­trä­ge­r:in­nen der Hauptstadt-Grünen, die der taz vorab vorliegt.

Jenseits der besagten Fortschritte – fast 60 Prozent Frauen, Durchschnittsalter 41, ein Drittel queer – offenbart das Papier tatsächlich auch die Schwächen für eine Partei, die sich den Kampf für mehr Diversität auf die Fahnen geschrieben hat. „In Sachen Vielfalt haben wir bei einigen Punkten auf jeden Fall Nachholbedarf, da gibt es nichts schönzureden“, sagt Enad Altaweel, der Sprecher für Vielfalt und Antidiskriminierung im Grünen-Landesvorstand.

Menschen mit Rassismuserfahrung, Menschen mit Behinderung und Nicht-Akademiker:innen: Sie alle sind den vorgelegten Daten zufolge auf der Ebene der Ent­schei­de­r:in­nen klar unterrepräsentiert. Nicht zuletzt das Klischee der Grünen als Partei der Aka­de­mi­ke­r:in­nen wird dabei von der Umfrage bestätigt.

So haben 84 Prozent der Amts- und Man­dats­trä­ge­r:in­nen ein Studium abgeschlossen, 14 Prozent mit einer Promotion, fast 60 Prozent sind zudem in einem Akademiker:innen-Haushalt aufgewachsen. Weniger als 5 Prozent haben dagegen kein Abitur, nur 1 Prozent gar keinen Schulabschluss.

Zahlen als Basis für den Kampf gegen Benachteiligungen

Seit 2020, als die Berliner Grünen erstmals eine „Diversity-Umfrage“ durchführten, hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas getan. Auch damals lag der Akademiker:innen-Anteil bei über 80 Prozent. Zur Wahrheit dürfte gehören, dass eine Abfrage unter den Funk­tio­nä­r:in­nen der anderen Parteien zu ähnlich großen Abweichungen vom Bildungshintergrund der „Durchschnitts-Berliner:innen“ käme. Nur gibt es diese Umfragen nicht.

„Warum das so ist, müssen die betreffenden Parteien sich selbst beantworten“, sagt Altaweel zur taz. Die Grünen machten es eben anders. „Wollen wir wirklich etwas gegen strukturelle Benachteiligungen unternehmen, sind wir als Basis auf die Zahlen angewiesen“, so der studierte Informatiker.

Laut Altaweel hätte sich bei den Grünen in den vergangenen Jahren bei dem Thema durchaus viel getan, von der Gründung des Diversitätsrats 2018 bis zu entsprechenden Satzungsänderungen Ende 2023 und der Einführung des Amts eines Sprechers für Vielfalt und Antidiskriminierung auf dem Parteitag im Mai 2024 – seines Amts.

Seine Aufgabe sieht Altaweel darin, jetzt weitere Prozesse in Gang zu setzen. Dazu zählten Workshops ebenso wie Weiterbildungen, bei denen man sich mit dem Thema Klassismus auseinandersetzen und die bessere Repräsentation von Nicht-Akademiker:innen in den Blick nehmen wolle.

Neben der Öffnung für nicht-akademische Milieus geht es Altaweel auch um die verstärkte Einbindung von Menschen, die wie er selbst eine Migrationsgeschichte haben. Auch an diesem Punkt werde die Partei nicht ihrem eigenen Anspruch gerecht. 24 Prozent der Amts- und Man­dats­trä­ge­r:in­nen haben nach eigenen Angaben zwar einen deutschen Pass, aber einen Migrationshintergrund – deutlich mehr als im Berliner Durchschnitt, der hier bei 14 Prozent liegt.

Der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass, die in Berlin immerhin ein Viertel der Bevölkerung stellen, ist aber so verschwindend gering, dass er in der Umfrage gar nicht ausgewiesen wird. Altaweel, der 2016 aus Syrien kam und ein Jahr später Mitglied der Grünen wurde, war einer von ihnen. Seit Ende Juni hat auch er einen deutschen Pass.

Er sagt, schon aufgrund seiner eigenen Geschichte sei es ihm ein Anliegen, dass nicht nur das „Wahlrecht für alle“ eingeführt wird. Auch in seiner eigenen Partei müsse sich etwas ändern. „Ich habe auch keine Allheilmittel, wie wir mehr Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ansprechen können. Aber ich weiß, dass es notwendig ist, wenn wir wirklich die gesamte Stadtgesellschaft abbilden wollen.“

Abfrage mit Unsicherheiten

Die „Diversity-Umfrage 2023“ der Grünen gibt durchaus interessante Einblicke in die Parteistrukturen. Wer hätte gedacht, dass fast ein Drittel der Amts- und Man­dats­trä­ge­r:in­nen der Partei christlich ticken, aber nur unter 2 Prozent muslimisch, womit sie im ersteren Fall auffällig über und im letzteren Fall auffällig unter dem Berliner Schnitt liegen?

Gleichwohl bleibt die Abfrage mit Unsicherheiten behaftet. Denn letztlich nahmen nur 45 Prozent der Angeschriebenen an der Onlinebefragung teil. Zum Vergleich: Bei der analog durchgeführten Umfrage 2020 waren es rund 80 Prozent. „Natürlich wünscht man sich immer eine höhere Beteiligung, aber eine Rücklaufquote von 45 Prozent für eine Onlineumfrage gilt allgemein als guter Wert“, sagt Altaweel.

Gut möglich, dass auch der Zeitpunkt der Befragung eine Rolle gespielt hat. Durchgeführt wurde sie Anfang April 2023, also kurz nachdem die SPD-Spitze die Tür zu einer fast sicher geglaubten Fortsetzung von Rot-Grün-Rot mit lautem Krach zugeschlagen hatte. Die Aufregung war groß. Das Ausfüllen eines parteiinternen Fragebogens könnte von vielen in der Situation als eher nachrangig betrachtet worden sein. Die nächste Umfrage steht 2025 an. Die Grünen wollen dann für eine größere Beteiligung werben.

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2 Kommentare

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  • Och, ich habe überhaupt kein Problem wenn die Grünen wirklich nicht die gesamte Stadtgesellschaft abbilden. Dafür gibt es verschiedene Parteien weil auch die Städter verschiedene Interessen haben.

  • Ob wohl die Umfrage an sich oder das Online-Format ein Hindernis für Nicht-Akademiker:innen war? Oder ein Desinteresse an Politik allgemein eines ist?



    Die vielen Christ:innen überraschen angesichts von Bündnis '90 nicht wirklich, die Überraschung zeigt eher Unkenntnis der Parteigeschichte.



    Schließlich ist und bleibt das Wahlrecht ein Bürger-, kein Menschenrecht. Insofern ist ein Ausländer:innen-Wahlrecht unsinnig und demzufolge auch eine Repräsentation in einer politischen Partei. Einzig Ausnahmen bei Kommunalwahlen für Ausländer:innen mit Aufenthaltstitel oder allgemein für EU-Ausländer:innen kommen in Betracht. Dann dürften die Zahlen aber niedriger ausfallen.



    Schließlich bleibt die Frage, ob heterosexuelle, bio-deutsche Cis-Männer nicht massiv unterrepräsentiert sind und sich manche Probleme der Grünen, die Gesellschaft insgesamt abzubilden, nicht auch damit erklären lassen, dass eine Proporzrepräsentation innerhalb einer Partei ein fragwürdiges Anliegen ist.