Schüler über seine drohende Abschiebung: „Erst mal hatte ich Angst“
Joel A. sollte abgeschoben werden. Eine Kampagne für sein Bleiberecht konnte das abwenden. Aber dadurch geriet er auch in den Blick von Rechten.
taz: Joel, weil du trotz sehr guter Integration nach Ghana abgeschoben werden solltest, war dein Gesicht vor ein paar Wochen in allen großen Medien, auf Instagram und Tiktok zu sehen. Wie war das für dich?
Joel A.: Erst mal hatte ich Angst. Es war ein komisches Gefühl, mich überall zu sehen. Mir haben Freunde von meiner alten Schule geschrieben, mit denen ich in die Integrationsklasse gegangen bin. Die haben die Texte gar nicht gelesen, sondern nur mein Gesicht gesehen und mich gefragt: „Was hast du Schlimmes gemacht?“ Sie konnten sich wahrscheinlich nicht vorstellen, warum jemand wie ich sonst in der Zeitung stehen würde.
taz: Wie hast du darauf reagiert?
Joel A.: Ich habe ihnen dann meine Situation mit der Abschiebung erklärt und gesagt, dass die Artikel eigentlich etwas Gutes sind und den Menschen zeigen, dass ich in Deutschland bleiben sollte. Mit der Zeit habe ich mich an die Aufmerksamkeit gewöhnt, aber es war auch anstrengend. Bei Edeka, wo ich arbeite, haben mich öfters fremde Leute erkannt und angesprochen.
taz: Was wollten die?
Joel A.: Sie haben mich gefragt, ob ich „der Joel“ bin. Manchmal habe ich es ihnen gesagt, manchmal meinte ich aber auch nur „Nein, ich kenne keinen Joel“, weil es mir zu viel wurde.
taz: Rechtsextreme haben deinen Fall auf der Plattform Tiktok aufgegriffen und in einem Video deine Abschiebung gefordert. Auf X gab es einen Shitstorm gegen dich. Hast du das mitverfolgt?
Joel A.: Meine Freunde haben mir Screenshots von X zugeschickt. Da gab es Leute, die sich über mich lustig gemacht haben und so was geschrieben haben wie „Ich helfe ihm gerne beim Packen“ oder „Guten Flug!“. Auf Tiktok hatte ein Video gegen mich Hunderttausende Aufrufe. Es hat mich aber überhaupt nicht überrascht, weil ich wusste, dass in Deutschland viele Menschen so denken.
taz: Macht dir das Angst?
Joel A.: Eigentlich nicht. Ich möchte daran glauben, dass mir nichts passieren kann, wenn ich mich richtig verhalte. Diese Leute können mich auch nicht wütend machen, sondern ich versuche einfach, es zu akzeptieren. Ich kann es ja nicht ändern.
taz: Die Härtefallkommission in Hamburg, die in Einzelfällen über das Aufenthaltsrecht entscheidet, hat einstimmig dafür gestimmt, dass du bleiben kannst, wenn du möchtest. Wie ist der Tag der Entscheidung abgelaufen?
Joel A.: Ich bin an dem Tag ziemlich früh aufgewacht und war völlig verschwitzt, weil ich so nervös war. Frau Basboga hat mich angerufen und mich motiviert aufzustehen. Vor der Sitzung von der Kommission haben wir dem Vorsitzenden die Petition mit 100.000 Unterschriften übergeben.
taz: Deine Klassenlehrerin Elif Basboga hat gemeinsam mit Mitschüler*innen von dir die Petition angestoßen.
Joel A.: Ja, uns wurde dann gesagt, dass wir erst mal weggehen müssen, aber sie auf jeden Fall noch heute über meinen Fall entscheiden werden. Ich bin nach Hause gefahren und musste mich erst mal hinlegen, weil ich so ausgelaugt war. Dann hat mich Frau Basboga angerufen und mir gesagt: „Joel, du darfst bleiben“. Ich war komplett sprachlos. Sie hat mich verstanden und gesagt, dass ich nichts sagen muss und ich sie einfach anrufen kann, wenn was ist.
taz: Wie hat deine Familie in Hamburg reagiert?
Joel A.: Mein Vater ist an dem Tag zu Hause geblieben und hat die ganze Zeit gebetet. Er war die erste Person, der ich es gesagt habe. Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen, er ist richtig gehüpft. In den Wochen vorher dachte er, dass ich abgeschoben werden soll, weil ich etwas gemacht habe. Er hat mich ständig danach gefragt, aber ich konnte ihm nichts sagen, weil es ja nicht stimmte. Mit den Zeitungsartikeln hat er dann verstanden, dass es nicht meine Schuld war. Seine Arbeitskollegen haben sie ihm auf dem Handy gezeigt und er ist dann extra zum Kiosk gelaufen und hat die richtige Zeitung gekauft. Er ist vor allem Frau Basboga sehr dankbar für ihren Einsatz, so wie ich auch.
taz: Und deine Familie in Ghana?
Joel A.: Da hat das niemand mitbekommen. Ich habe überhaupt keinen Kontakt zu meiner Mutter. Mein Vater hat sie zusammen mit mir verlassen, als ich noch ganz klein war. Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich bei meiner Tante und meinem Onkel in Accra gelebt, aber meine Tante ist mittlerweile gestorben. Zu meinem Onkel habe ich keinen Kontakt mehr. Das war ja genau das Problem: Wenn ich abgeschoben worden wäre, hätte ich gar nicht gewusst, wo ich hingehen soll.
taz: Glaubst du, dass dein Fall nur ein Beispiel für ein größeres Problem ist?
Joel A.: Meine Anwältin hat mir erklärt, dass in Deutschland ein Gesetz geändert wurde. Sie betreut mehrere junge Menschen wie mich, die 18 geworden sind und darum kein Bleiberecht mehr haben. Obwohl sie gut integriert sind und nach dem alten Gesetz einen Aufenthaltstitel bekommen hätten.
taz: Du sprichst das Bleiberecht aus humanitären Gründen nach Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes an. Diese Regelung galt für junge Volljährige, die in der Ausbildung sind oder noch zur Schule gehen. Die Voraussetzungen wurden zu deinem Nachteil geändert.
18, kam vor vier Jahren zu seinem Vater und seiner kleinen Schwester nach Deutschland. In seiner Integrationsklasse ermutigten ihn die Lehrer dazu, Abitur zu machen. So kam er in die Oberstufe der Nelson-Mandela-Schule in Hamburg-Wilhelmsburg. Er möchte nach dem Abi in Deutschland studieren.
Joel A.: Es ist also ein Problem im Gesetz, was mehr Menschen betrifft. Nicht nur mich. Ich weiß nicht, ob die Politiker das extra gemacht haben oder es einfach nicht wussten, bevor sie das Gesetz geändert haben. Aber das heißt ja, dass sie uns entweder nicht in Deutschland haben wollen oder es ihnen nicht so wichtig ist, dass sie darüber nachdenken, was das Gesetz für uns bedeutet.
taz: Könntest du dir vorstellen, selbst politisch aktiv zu werden?
Joel A.: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. In meinem Kopf passen Politik und ich gar nicht zusammen. Ich kriege auch nichts davon mit, weil ich eigentlich nur mit Schule und Arbeit beschäftigt bin.
taz: Wie hat deine drohende Abschiebung deine Sicht auf Deutschland verändert?
Joel A.: Es war eine sehr stressige Zeit für mich und ich hatte Angst. Ich finde es nicht gut, dass Politiker die Gesetze so geändert haben. Und auf Social Media hat man gesehen, wie viele Menschen gegen Ausländer wie mich hetzen – egal, wie gut wir integriert sind. Aber in meinem Fall gab es mehr als 100.000 Menschen in Deutschland, die sich dagegen gestellt haben. Und die waren stärker.
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