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Krieg in RusslandAngespannte Lage

Behörden im russischen Gebiet Kursk ordnen weitere Evakuierungen an. Insgesamt sollen bereits 121.000 Menschen ihr Zuhause verlassen haben.

Ukrainische Soldaten unterwegs in der Grenzregion bei Kursk Foto: Viacheslav Ratynskyi/reuters

Berlin taz | Russische Behörden haben für Gebiete, die an die Ukraine grenzen, am Montag weitere Evakuierungen von Zi­vi­lis­t*in­nen angeordnet. Das teilte der Gouverneur der Region Krasnojaruschski, Wjatscheslaw Gladkow, in einer Videobotschaft auf seinem Telegram-Kanal mit. „Wir haben einen unruhigen Morgen“, heißt es da mit Verweis auf „feindliche Aktivitäten“.

Um das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, sei damit begonnen worden, die Menschen, die im Bezirk Krasnojaruschski leben, an sicherere Orte zu bringen, für Transportmöglichkeiten sei gesorgt worden. Auch russische Militärblogger berichteten im Kanal Rybar (Fischer) von Angriffen ukrainischer Streitkräfte in der Region. Ziel sei der Checkpoint Kolotilowka gewesen. Der Verwaltungschef der Region Belowski, Nikolai Wolobujew, rief die Bevölkerung ebenfalls zum Verlassen ihrer Wohnorte auf, die Lage sei sehr angespannt. Es würden Busse für den Transport bereitgestellt.

Der Gouverneur der Region Kursk in der Russischen Föderation, Alexei Smirnow, berichtete Kremlchef Wladimir Putin, dass 28 Siedlungen in der Region Kursk „unter feindlicher Kontrolle stehen“. 121.000 Menschen hätten die Region verlassen, weitere 180.000 Personen müssten evakuiert werden.

Ukrainische Truppen waren am vergangenen Dienstag erstmals auf russisches Territorium vorgedrungen. In der Nacht zum 11. August waren sie auch in das Gebiet Belowski eingerückt und sollen jetzt 30 Kilometer ins Landesinnere vorgestoßen sein. Am 9. August war in den Grenzregionen Belgorod, Brjansk und Kursk ein „Antiterroroperationsregime“ eingeführt worden.

Spekulationen gehen weiter

Angaben des russischen Verteidigungsministeriums vom Montag zufolge habe die Luftabwehr elf Drohnen abgefangen, die von der Ukraine über Nacht auf das westliche Gebiet Kursk abgefeuert worden seien. Zudem sollen fünf Drohnen über dem Gebiet Belgorod und zwei über dem Gebiet Woronesch zerstört worden sein. Angaben, wie viele Drohnen die Ukraine insgesamt abfeuerte, machte das Ministerium nicht.

Unterdessen gehen die Spekulationen über die tatsächlichen Zielsetzungen Kyjiws weiter. Die Minimalaufgabe sei ein Abzug russischer Truppen aus den Frontabschnitten in den Gebieten Charkiw und Donezk, zitiert der Economist eine anonyme Quelle im ukrainischen Generalstab. Die Ergebnisse seien bislang jedoch nicht überzeugend, wenngleich ein Teil der russischen Soldaten vom Frontabschnitt in Richtung Charkiw zurück gezogen worden sei.

„Die Kommandeure der russischen Truppen sind keine Idioten. Sie bewegen Kräfte, aber nicht so schnell, wie wir es gerne hätten. Sie wissen, dass wir die Logistik nicht über 80 oder 100 Kilometer ausdehnen können“, zitiert der Economist die Quelle.

Dessen ungeachtet müsse Wladimir Putin jetzt handeln, schreibt der russische Oppositionspolitiker Leonid Gozman in einem Beitrag für die Novaya Gazeta Europe. Geschlossene geschützte Grenzen hätten sich als Mythos herausgestellt. Stattdessen seien die bösen Banderisten durchgegangen wie ein Messer durch Butter. Die Wahrheit sei, dass russische Generäle in der Lage seien, fremde Länder anzugreifen, aber nicht ihr eigenes Land zu verteidigen, so Gozman. Und: „Wann dies den Großteil der Bevölkerung erreicht, wissen wir nicht. Aber der Moment wird kommen.“

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11 Kommentare

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  • 1.. zur Legitimität des Angriffs der Ukraine auf russisches Territorium- siehe - Völkerrecht in den Kommentaren taz.de/Ukrainische...bb_message_4812173

    2.. ""fernab von jeder Bedrohung und Krieg"" ????

    Die russische Operationsführung in der Ukraine ist durch Hybridität geprägt. Sie bedient sich des irregulären Kampfes sowie der indirekten Unterstützung und verbindet beides mit Elementen



    konventioneller Kriegsführung.

    Dem hat der Westen nichts entgegen zu setzen.



    www.swp-berlin.org...ll/2015A27_tga.pdf

  • Schön wäre eine Karte. Bietet das die Möglichkeit, hinter die russischen Befestigungsgürtel zu kommen?

  • Es ist nicht verwerflich, die ukrainische Militärtaktik nicht zu verstehen.



    Aber es ist sinnlos, ohne dieses Verständnis Kommentare auf dieses Geschehen abzugeben.



    Dieses Störfeuer kam in Russland sehr gut an. Es hat eine "Zwangsreisewelle" ausgelöst, es ist im Grunde gar nicht medial zu verheimlichen, auch wenn selbstverständlich die russische Propaganda dafür wieder ansatzweise passende Lügen erfindet und verbreitet.



    Es geht darum, den Krieg jetzt nach Russland zu tragen, um dort für ihn Werbung zu machen!



    Dank der weitgehenden westlichen Zurückhaltung mit Waffenlieferungen (warum nun auch immer!), und dem drohenden US-Wahldebakel, ist die Ukraine zu "lauten" Aktionen quasi gezwungen. Hätte man gleich zu Beginn der Auseinandersetzungen ohne jegliches Geschwätz massive Waffenunterstützung realisiert, würden wir zweifellos heute eine andere Situation haben. Auch eine andere, als sich defätistische Zeitgenossen ständig vorstellen.

  • Russland meldet Kämpfe 30 Kilometer hinter der Grenze

    Das russische Verteidigungs-Ministerium hat von einem Durchbruch mobiler Gruppen (...) in der Tiefe des russischen Territoriums berichtet die in 4 Siedlungen verhindert worden seien.

    Damit räumt Russland Kämpfe weit hinter der derzeit vermuteten Frontlinie in Kursk ein: 3 der angegebenen Siedlungen, in denen Kämpfe stattgefunden haben, liegen knapp 30 Kilometer nordöstlich der russisch-ukrainischen Staatsgrenze.

  • Da wird wohl nicht gar so sehr wegen tatsächlicher Gefahren durch die ukrainische Armee evakuiert. Sondern eher, um zu vermeiden, dass die lokale Bevölkerung ganz praktisch während der Besatzung durch die ukrainische Armee erfährt, dass die Ukraine nicht alles blutrünstige Faschisten sind und diese Armee auch nicht durch die Straßen marodiert und wahllos Menschen von Fahrrädern herunterschießt.



    Dann käme nämlich die ganze Putin'sche Erzählung über die Gründe für diesen Krieg du

  • Die Ukrainische Führung wähnt sich auf dem "Siegespfad", weil es gelungen ist weitgehend entvölkertes (evakuiertes) Gebiet in Russland anzugreifen.

    Angreifen ist das eine, unter Kontrolle haben etwas völlig anderes.

    Während sich Herr Selensky im kurzzeitigen Erfolg sonnt, geht der Kampf der Russen in der Ukraine unvermindert weiter und die russischen Angreifer besetzen unter großen Verlusten an Menschenleben Stück für Stück Ukrainisches Gebiet.

    Ich wünschte, Russland hätte die Ukraine nie angegriffen.



    Ich wünschte, die Ukraine und westliche Unterstützer würden sich von der Illusion verabschieden, dass sie den von Russland aufgezwungenen Krieg gewinnen könnten.



    Ich fürchte, das Intermezzo in Kursk wird den Krieg nur verlängern, statt ihn (wie von westlicher Seite erhofft) abzukürzen.



    Ich fürchte es werden noch viele Menschen auf beiden Seiten ihr Leben, Arme, Beine oder das Augenlicht verlieren, bevor sich Menschlichkeit und Vernunft durchsetzt und endlich Verhandlungen über Friedensvereinbarungen stattfinden.

    • @Bürger L.:

      Das Völkerrecht und der Tenor ihres Kommentars stehen in einem schreienden Widerspruch.



      Wie halten sie das aus?

      Wenn Putin enscheidet keine 1.000 Russen täglich in den Tod zu schicken ist der Krieg beendet.

      • @zartbitter:

        Ihre Einschätzung bezüglich des Völkerrechts liegt möglicherweise an ihrer Interpretation "des Tenors meines Kommentars" ...

        Zu ihrer Frage wie ich das aushalte, kann ich nur empfehlen etwas weniger zu dramatisieren.

        Ich sitze - vermutlich wie sie auch - fernab von jeder Bedrohung und Krieg sicher und konfortabel in Deutschland.... und weder im Bunker noch im Schützengraben. Da ist das Kommentieren eines Artikels in der Taz gut auszuhalten.

        An einem Punkt sind wir uns einig:



        wenn keiner mehr schießt und Soldatenleben opfert, ist der Krieg beendet.

  • Wo bleiben eigentlich die Kommentatoren die uns unisono mit Medwedev für diesen Fall den Einsatz russischer Atomwaffen versprochen hatten? Ist das nicht die Begründung für all die roten Linien von Scholz?

  • Was will denn die Ukraine dort? Jedem ist klar, dass der Ukraine die Nachhut fehlt um das feindliche Gebiet zu halten. Die Russen zum Meutern gegen Putin bringen, weil der russisches Gebiet verliert? Das wird nicht funktionieren, das russische Volk will bis zum Ende gehen. Und ich sehe die Nato auch nicht eingreifen sollte Russland jetzt zum Großschlag ausholen.



    Also ja, vielleicht jagen die Russen ihn tatsächlich vom Hof, dann aber für einen richtig Durchgedrehten. Man kann nur hoffen in der Armee gibt es noch ein paar Klardenker.

    • @FancyBeard:

      Na, was soll sie dort schon wollen? Genug Bedrohung anstellen, damit die Front im Osten entlastet und die Fähigkeit Russlands, im eigenen Hinterland Logistik und Angriffe vorzubereiten, stören.

      Oder glauben Sie ernsthaft, das Ziel wäre hier, diese Regionen dauerhaft an die Ukraine anzuschließen.